Der Planungsdezernent löst Irritationen aus
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Was sind die Gründe für politisches Scheitern?
Scheitern Menschen, die sich für fachlich kompetent halten und in die Politik gehen, an den nicht vorausgesehenen Schwierigkeiten eines öffentlichen Amtes? Oder ignorieren vor allem bereits Gescheiterte ihre mangelhafte Eignung und stürzen sich selbst und andere in nicht mehr kalkulierbare Abenteuer?
Über diese Frage denke ich häufig nach. Und immer fällt mir dabei der Frankfurter Planungsdezernent Mike Josef ein, dem es nicht gelingt, die Immobilienspekulanten aus der Stadt zu verbannen. Stattdessen plant er, ein Getto für Durchschnittsverdiener entlang der Autobahn zu errichten, das vom Volksmund bereits Josefstadt genannt wird. Was daraus wird, ist derzeit noch offen. Denn allzu vieles wurde bei der Planung nicht bedacht.
Nach den Tumulten auf dem Platz vor der Alten Oper wendet er sich nun mit einer E-Mail an die SPD-Mitglieder und fordert kurzfristige Maßnahmen für den öffentlichen Raum.
Die Corona - Pandemie habe das bisherige Leben komplett auf den Kopf gestellt. Mike Josef zieht daraus diese Schlüsse: "Außergewöhnliche Zeiten brauchen außergewöhnliche Maßnahmen. Mögliche Plätze, die für geregelte Freizeitangebote geöffnet werden sollten, sind aus meiner Sicht Rossmarkt, Rathenauplatz, Goetheplatz, Hauptwache und die Weseler Werft. Ich kann mir außerdem sehr gut vorstellen, dass wir mehr Verkehrsflächen wieder für die Bevölkerung zurückgewinnen. Dazu gehören neben Parkplätzen im öffentlichen Raum auch die Parkdecks mit Skyline Blick in der Innenstadt.“
Beim Lesen des letzten Satzes stelle ich mir vor, wie Mülltonnen, Bierflaschen, Molotow-Cocktails und anderes von oben auf die Straßen geschleudert werden. Paradiesische Zustände für Hooligans.
Weiter heißt es in Josefs Mail: „Sowohl der Hotel- und Gastronomieverband (DEHOGA) als auch die Initiative Frankfurter Gastronomie Frankfurt e.V. (IGF) haben sich in den vergangenen Wochen bereit erklärt, kurzfristig Kultur- und Freizeitangebote zu realisieren. Diese ausgestreckte Hand müssen wir als Stadt Frankfurt ergreifen. Ich bin daher mit meiner Kollegin Rosemarie Heilig und meinem Kollegen Klaus Oesterling im Gespräch, um die genannten Orte für kulturelle und gastronomische Angebote zu öffnen."
Gerade Corona habe gezeigt, dass die Menschen ein großes Bedürfnis haben, sich auf den öffentlichen Plätzen zu treffen. Und er fügt hinzu: "Der öffentliche Raum ist für alle da. Ich finde es wichtig, dass auf dem Opernplatz und auf weiteren Plätzen in der Innenstadt weiter friedlich gefeiert wird. Aber eben mit bestimmten Regeln. Diejenigen, die auf die Plätze kommen, um Stress zu machen und zu randalieren, müssen bestraft werden."
Hat ein maßgeblicher Politiker dieser Stadt Wichtiges nicht verstanden? Als ob das Problem in der beschränkten Verfügbarkeit von Plätzen bestünde. Tatsächlich erfordert die Corona-Pandemie neue Rahmenbedingungen. Die es jedoch längst gibt und die Erfolge zeitigen, falls sie eingehalten werden bzw. ihre Einhaltung auch spürbar kontrolliert wird.
Deswegen ist es unerheblich, ob Leute vor der Alten Oper den Mindestabstand nicht einhalten und den Mund-Nase-Schutz nicht anlegen oder auf einem Parkdeck in der Innenstadt, auf den Treppen der Hauptwache oder auf dem Gelände der Weseler Werft. Wenn die Schutzmaßnahmen nicht befolgt werden, ist die Ansteckungsgefahr groß. Der Dezernent müsste lediglich einen Blick in die Qualitätsmedien werfen, um sich über die feierwütigen Dummköpfe in den USA zu informieren, die tagtäglich viele ihrer Mitmenschen um Gesundheit und Leben bringen.
Die Rücksichtslosigkeit des Party-Milieus zieht, wie die jüngsten Erfahrungen hier und in anderen Städten zeigen, den gewaltbereiten Pöbel geradezu magisch an. Die Vorgänge in der Nacht vom 18. auf den 19. Juli in Frankfurt belegen das. Und die Zuständigen im Magistrat zeigen sich trotz Vorwarnungen verwundert bis hilflos.
Die soeben veröffentlichte Sinus-Jugendstudie, die u.a. von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegeben wird, weist schlüssig nach, dass Jugendliche zwischen 14 bis 17 Jahren zum allerüberwiegenden Teil keine Schnittstellen mit der so genannten Party-Kultur aufweisen. Dies ließ sich bereits aus der Shell-Jugendstudie des vergangenen Jahres herauslesen. Eine deutliche Mehrheit in dieser Altersgruppe beschäftigt sich mit den großen Herausforderungen der Zeit. Dazu gehört vor allem der Klimawandel. Viele sehen hier angesichts der fortschreitenden Zerstörung der Lebensgrundlagen auf der Erde die Gefahr einer Katastrophe. Auch die Corona-Pandemie wird mit letzterem in Zusammenhang gebracht. Die Jugendlichen heute seien überwiegend "ernst und problembewusst". Neben dem Klimawandel sorgt auch das Thema soziale Gerechtigkeit für Unmut, heißt es in der Sinus-Studie, aber auch die Migration. "Trotz überwiegender Akzeptanz von Vielfalt in der Gesellschaft verunsichert die anhaltende Zuwanderung weite Teile der Jugend", schreiben die Autoren.
Mike Josef hingegen sorgt sich offensichtlich vor allem um eine Parallelgesellschaft, die der wesentliche Teil des Problems ist, nicht aber dessen Lösung. Und Corona bringt an den Tag, was seit langem falsch läuft: Frankfurt ist von einer menschenfreundlichen städtischen Infrastruktur weit entfernt. Denn dazu bedarf es bezahlbarer Wohnungen, attraktiver Einkaufsmöglichkeiten, eines vielgestaltigen Kulturangebots (darunter auch Gaststätten mit zeitgemäßen Standards) und eines zuverlässigen öffentlichen Nahverkehrs. Stattdessen verhandelt Mike Josef über bessere Bedingungen mit Verbandsvertretern über Erleichterungen für jene Gastronomiebetriebe, die wegen ihrer Enge und ihrer unzureichenden Belüftung in einer Pandemie dem Publikum nicht zumutbar sind und deswegen schließen mussten. Das erinnert daran, dass Frankfurts Magistrat die Theaterdoppelanlage am Willy-Brandt-Platz seit dreißig Jahren systematisch verkommen lässt. Und jetzt zwei Neubauten fordert, ohne zu wissen, wie diese bezahlt werden sollen.
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Die Frankfurter Hauptwache. Demnächst ein zentraler Corona-Hotspot?
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