Bildschirmfoto 2020 08 14 um 01.13.51Premier Netanyahu kann inmitten der politischen Krise diplomatischen Erfolg verkünden

Richard C. Schneider

Tel Aviv (Weltexpresso) - Eine Überraschung und ein unglaublicher Befreiungsschlag für den in arge Bedrängnis geratenen israelischen Premier Benjamin Netanyahu. Am Donnerstagnachmittag wurde bekannt, dass Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate einen Friedensvertrag abschließen, vielleicht sogar Botschafter austauschen und ihre Beziehungen normalisieren wollen. Netanyahu, in drei Fällen wegen Korruption angeklagt, erlebt seit Wochen wachsende Demonstrationen: gegen ihn, gegen seine Corona-Politik, vor allem aber wegen des Versagens der Regierung, Millionen von Arbeitslosen vernünftige Hilfe und Aussichten auf neue Jobs zu garantieren.

Jeden Samstagabend versammeln sich nun schon seit Wochen Zehntausende Israelis vor dem Amtssitz des Premiers in der Balfour Straße in Jerusalem und demonstrieren lauthals gegen den „Crime Minister“, wie einer ihrer Slogans lautet.

Nun aber kann sich Netanyahu wieder mal als der Größte darstellen, als derjenige, der Frieden mit einem wichtigen arabischen Land schließt, ein Land, das sich vom Iran ähnlich bedroht fühlt wie Israel. Die Beziehungen zwischen den VAE und Israel waren in den letzten Jahren zunehmend besser geworden. Nach dem Motto: „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ näherten sich die beiden Länder an. Als Israel noch vorhatte, ab 1. Juli Teile des Westjordanlands zu annektieren, schrieb der Botschafter der VAE in Washington, Yousef al Otaiba, einen offenen Brief an Netanyahu, der zeitgleich in der New York Times und in Haaretz erschien. al Otaiba flehte Israel an, die Annexion nicht durchzuziehen, um die guten Beziehungen mit seinem und anderen arabischen Staaten nicht zu gefährden. Mit anderen Worten: Besatzung ist ok, Annexion aber nicht.

Genau das schlägt sich jetzt in diesem Friedensschluss nieder. Im Gegenzug für die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen, die US-Präsident Trump vermittelt hat, verzichtet Israel auf die Annexion des Westjordanlands. Vorläufig – wie man aus Kreisen um Netanyahu hört. Doch natürlich ist die Einverleibung von 30% von Judäa und Samaria in Wirklichkeit vom Tisch. Netanyahu dürfte erleichtert sein. Sein Wahlversprechen bereitete ihm nur Kopfschmerzen. Von allen Seiten hagelte es Kritik und Drohungen. Von der internationalen Staatengemeinschaft, von den radikalen Siedlern, die nicht einmal diesen Rumpfstaat „Palästina“, wie der „Friedensplan“ von Donald Trump ihn vorsieht, akzeptieren wollten, bis hin zu den israelischen Sicherheitskräften, die in einer Annexion massive Risiken sahen und sehen. Und selbst Trump war gegen Netanyahus Pläne, er hatte zu viele Probleme daheim (Black Lives Matter, schlechte Wahlumfrageergebnisse), um sich mit dem verrückten Nahen Osten zu beschäftigen.

Nun konnte sich Netwnyahu  äußerst elegant aus der Schlinge befreien, die er sich selbst um den Hals gelegt hatte. Der Friedensschluss mit den Vereinigten Arabischen Emiraten ist das erste solche Abkommen seit dem Friedensvertrag mit Jordanien, den noch einst König Hussein und Yitzhak Rabin miteinander geschlossen hatten.

Kronprinz Mohamed Bin Zayed twitterte aus Abu Dabi, der Haupstadt der VAE, man habe mit dem Abkommen erreicht, dass weitere Annexionen palästinensischer Gebiete von Israel gestoppt worden seien. Jeder ist hier also Sieger: Netanyahu sowieso, Bin Zayed, weil er den Palästinenser scheinbar die Hoffnung gibt, doch noch einen eigenen Staat zu bekommen. Aber auch Donald Trump, der in seinem verzweifelten Wahlkampf dringend einen Erfolg vorweisen muß. Verlierer des Tages: Iran. Denn man kann davon ausgehen, dass die neue Freundschaft auch von strategischer Bedeutung sein dürfte. Für Israel sind die VAE als unmittelbarer Nachbar zu Iran ein wichtiger Brückenkopf im Falle eines militärischen Konflikts.

In den Ankündigen des Tages hieß es, man werde bald bilaterale Verträge im Bereich Investment, Tourismus, Flugverkehr, Sicherheit und anderes abschließen. Vor allem aber: man wolle gemeinsam an einem Impfstoff gegen Covid-19 arbeiten. Es wäre ja schön, wenn aus diesem Frieden Heil für die ganze Welt entstehen würde.

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Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 13. August 2020