Corona-Leugner und ihr gesellschaftliches Umfeld
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Gesundgevögelt in 12 Wochen“ heißt ein populär-medizinisches Buch des Goldegg – Verlags (Berlin und Wien), der eine große Anzahl ähnlich innovativer Veröffentlichungen im Programm hat.
Hier einige Beispiele: „Mental gegen Krebs“, „Krebs innovativ geheilt“, „Es lebe die Unvernunft“, „Unheilbar gibt es nicht“, „Einmal sterben und zurück“ . Ein neues fragwürdiges Druckwerk, das sogar die SPIEGEL-Bestsellerliste erreichte, trägt den Titel „Corona-Fehlalarm?“. Seine Autoren sind die Biologin Karina Reiss vom Quincke-Forschungszentrum der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und ihr Ehemann, der Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie Sucharit Bhakdi. Er war bis 2012 Professor an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Der schmale Band von 160 Seiten Umfang, der die Grundlagen des Nichtwissens für Corona-Leugner aller Schattierungen zusammenfasst, genießt in diesen Kreisen Kultstatus.
Das Buch strotzt vor Relativierungen, seine Autoren werden an keiner Stelle konkret. Obwohl sich für seriöse Wissenschaftler ein Vergleich des in seiner Zusammensetzung und Wirkung noch nicht völlig erforschten SARS-CoV-2 mit dem Influenza-Virus verbietet, wird auf der Basis von falsch oder verkürzt zitierten Fakten aufs Blaue hinaus spekuliert. Die angebliche Übersterblichkeit im Winter 2017/2018, also die im Vergleich zu früheren Jahren auffällig hohe Todesrate, ist lediglich eine statistische Theorie (des Statistischen Bundesamts), der jedoch keine medizinischen Fakten zugrunde liegen. Für die Statistiker kommt die schwere Grippe als mögliche Ursache in Betracht. Aber auch nur darum, weil sich dieses Phänomen in größeren zeitlichen Abständen wiederholt. Verifizieren lässt es sich nicht. Mithin müsste auch hier die Erkenntnis des Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein gelten: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“ (Tractatus logico-philosophicus).
Stattdessen wird selbst das, was nach derzeitigem Wissensstand als gesichert gilt, angezweifelt: Wie etwa, dass das Virus höchst infektiös ist. Dass es bevorzugt die Atmungsorgane befällt, aber auch in Leber, Herzmuskel und Gehirn von Verstorbenen nachgewiesen wurde. Und dass auch Infizierte, die keine Symptome zeigen, das Virus weiterverbreiten können (letzteres gilt allem Anschein nach insbesondere für Kinder bis zum zehnten Lebensjahr). Kein Wort darüber, dass Langzeitfolgen nicht ausgeschlossen werden können. Ebenso vergeblich sucht man nach Informationen, ob eine überstandene Erkrankung zur Immunität führt. Neue Berichte aus China legen nahe, dass Menschen sogar innerhalb kurzer Zeit ein weiteres Mal erkranken können. Das würde das zunächst auch in Deutschland verfolgte Ziel einer so genannten Herdenimmunität erheblich infrage stellen. Doch Karina Reiss und Sucharit Bhakdi fühlen sich nicht dem Ethos aller Wissenschaft verpflichtet. Nämlich Wissen zu schaffen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Rezeption im überwiegenden Teil der Mediziner und Virologen negativ ist. Eine Ausnahme ist die positive Besprechung der Streitschrift durch den Historiker René Schlott in der als links bis linksliberal geltenden Wochenzeitung „der Freitag“.
Die Corona-Leugnung könnte deswegen ein willkommenes Instrument in einem größeren, zutiefst politischen Zusammenhang sein. Denn der „anachronistische Zug“ (Brecht), der sich seit April durch Deutschland wälzt, versteht sich nur vordergründig als Protest so genannter „Querdenker“ gegen vermeintlich unangebrachte Schutzmaßnahmen vor der Corona-Pandemie.
Und ähnlich wie in Brechts Gedicht marschiert man für „Freiheit und Democracy“, die man eigentlich verabscheut. Wobei die eigenen Hohlköpfe und die Insignien des SS-Staats nur oberflächlich getarnt werden. Denn auch der Kampfbegriff „querdenken“ ist tiefbraun akzentuiert. Er schließt sprachlich und inhaltlich an jene neu-rechte „Querfront“ an, die von dem Agitator (und einstigen Redakteur der linken Zeitschrift „konkret“) Jürgen Elsässer und seiner Zeitschrift „Compact“ seit über einem Jahrzehnt propagiert wird.
Konkret soll eine „Volksfront“ aufgebaut werden, damit das deutsche Volk seine „fehlende staatliche Souveränität“ zurückgewinnen könne. Weil Deutschland ein besetztes Land sei, das von US-amerikanischen Plutokraten und anderen, zumeist zionistischen, Geheimbünden regiert werde. Linke und Rechte müssten einen „offenen Dialog“ führen, um „Dogmen“ zu überwinden und „Tabus“ zu brechen und dadurch einen gemeinsamen „Widerstand“ gegen jene Mächte zu ermöglichen.
Die Versuche, eine solche Querfront auf die Beine zu stellen, sind durchaus erfolgreich. Im März dieses Jahres bildete sich in Berlin eine „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand (KDW)“, deren Gründer aus dem Umfeld der „taz“ kommen (z.B. Anselm Lenz, Batseba N’Diaye und Hendrik Sodenkamp). Das nährt die Vermutung, dass intellektuell abgehängte Linke bereit sind, auf Elsässers Zug aufzuspringen. Dieser war ursprünglich von Otto Strasser aufs Gleis gesetzt worden, dem Vertreter des vermeintlich „linken“, „nationalbolschewistischen“ Flügels der frühen NSDAP, der „schwarzen Front“. Strasser wurde 1930 aus der Partei ausgeschlossen und emigrierte zunächst nach Portugal, von dort aus nach Kanada. In seinem Weltbild spielten Klassenkampf und Rassenkampf eine gleichwertige Rolle. Auch deswegen hat er nie, auch nicht nach dem Ende des Dritten Reichs, an den Grundsätzen des Nationalsozialismus gezweifelt. In der neu-rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“, namentlich von Claus Wolfschlag, werden Strassers „nationalrevolutionäre Thesen“ immer wieder mal herausgestellt. Dies liegt eindeutig auf der Querfront-Linie von Jürgen Elsässers Strategie.
Ein weiteres Indiz für die faschistische Ideologie der Corona-Leugner ist die von der Gruppe KDW betriebene Webseite „nichtohneuns“. Sie verbreitet statt medizinischer Aufklärung Fake-News: „Der Deutsche Bundestag beschließt sein Ermächtigungsgesetz. Wir sollen ein Jahr lang in einer de-facto-Diktatur leben.“ Eine vollständige Liste mit plumpen Desinformationen würde lang werden. Erkennbar ist eines: Es geht ganz offensichtlich nicht um die Überwindung einer gefährlichen Seuche. Es geht um den Griff nach der politischen Macht, um die Errichtung eines autoritären völkischen Staats.
Der andere, der traditionelle, Teil der Bewegung marschiert „im ruhig festen Schritt“, Reichskriegsflaggen hochhaltend, bereits mit: AfD, Pegida, Reichsbürger, Identitäre, kurzum: die Totschläger der Demokratie. Wer sich mit ihnen gemein macht, kann keinen Irrtum geltend machen. Die Corona-Leugner leugnen zumindest tendenziell auch die Verbrechen des NS-Staats. Mit ihrer nicht vorhandenen Solidarität gegenüber Mitmenschen (Verweigerung von Achtsamkeit gegen Corona) erweisen sie sich als Anhänger von Gewalt, als Feinde aller Schwachen. Gegen diese Krankheit hilft auch kein „Gesundvögeln“. Nicht in 12 Wochen, nicht in 12 Jahren.
Foto:
Corona-Leugner am 1. August in Berlin
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