Klaus Jürgen Schmidt
Nienburg//Weser (Weltexpresso) - Als mir „ver.di“ 2013 mit einer Urkunde bestätigte, seit 40 Jahren Mitglied zu sein, blieben die 10 Jahre unerwähnt, die ich zuvor der „RFFU“ angehört hatte, Abkürzung für „Rundfunk-Fernseh-Film-Union“, heute bei „ver.di“ die „IG Medien/Fachgruppe Rundfunk/Film/Audiovisuelle Medien“. Ich bin als Journalisten-Rentner nach wie vor „ver.di“-Mitglied, und ärgere mich nach wie vor darüber, wie unreflektiert meine Gewerkschaftshäuptlinge in Sprachfallen tappen, die leider auch die meisten meiner aktiven Journalisten-Kollegen und -Kolleginnen nicht erkennen.
Im Juni 2017 schrieb Roland Karassek in der Zeitschrift für historische Studien „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ zum Thema: „Arbeitnehmer und Arbeitgeber – eine begriffsgeschichtliche Spurensuche“:
>> Die Hersteller der Produkte heißen heute „Arbeitnehmer“. Die Auftraggeber werden heute „Arbeitgeber“ genannt. Diese Begriffe sind aus dem „Dienstnehmer“ und dem „Dienstgeber“ des 18. Jahrhunderts hervorgegangen. <<
Und schon im Vorwort zur dritten Auflage von „Das Kapital“ schrieb Friedrich Engels:
>> Es konnte mir nicht in den Sinn kommen, in das „Kapital“ den landläufigen Jargon einzuführen, in welchem deutsche Ökonomen sich auszudrücken pflegen, jenes Kauderwelsch, worin z. B. derjenige, der sich für bare Zahlung von andern ihre Arbeit geben lässt, der Arbeitgeber heißt, und Arbeitnehmer derjenige, dessen Arbeit ihm für Lohn abgenommen wird. Auch im Französischen wird „travail“ im gewöhnlichen Leben im Sinn von „Beschäftigung“ gebraucht. Mit Recht aber würden die Franzosen den Ökonomen für verrückt halten, der den Kapitalisten französisch „donneur de travail“, und den Arbeiter französisch „receveur de travail“ nennen wollte. <<
Bei WIKIPEDIA heißt es dazu:
>> In diesem Sinne erscheint der Begriff „Arbeitnehmer“ missverständlich, da doch diejenige Arbeitsperson, die als Arbeitnehmer bezeichnet wird, eben nicht Arbeit, sondern Lohnzahlungen dafür in Empfang nimmt, dass sie ihre Arbeitskraft dem Vertragspartner zur Verfügung stellt. Insofern wäre die Bezeichnung „Arbeitgeber“ für einen abhängig Beschäftigten angemessener. Der Begriff „Arbeitnehmer“ verdunkelt, dass es sich um Menschen handelt, die ihre Arbeitskraft zur Sicherung ihrer Existenz verkaufen (müssen), denn sie verfügen selbst über keine Produktionsmittel. Der Begriff verdunkelt darüber hinaus, dass dies eine gesellschaftliche bedingte Abhängigkeit ist, die sich historisch durch den fortschreitenden Prozess der Arbeitsteilung ergeben hat und dass die Arbeiter eben diese Gesellschaft erst ermöglichen. Weiterhin suggeriert das sprachliche Verhältnis Arbeitgeber – Arbeitnehmer, dass der Arbeitgeber etwas gibt, der Arbeitnehmer etwas nimmt. Der Begriff Arbeitgeber hat insofern einen gönnerhaften, der Begriff Arbeitnehmer eine ausnutzerische Konnotation. Jedoch spiegelt dieses sprachliche Verhältnis den Zustand wider, den der Arbeitsmarkt manchmal hat, nämlich dass ein großes Angebot von Arbeitskräften auf eine erheblich kleinere Nachfrage trifft. Vor diesem Hintergrund wird es zuweilen auch als vorteilhaft empfunden, Nachfrage nach der eigenen Arbeit zu haben, also Arbeitnehmer sein zu dürfen. <<
©
Seit 1968 gewährleistet das Grundgesetz in Art. 9 Abs. 3 das Recht zum Arbeitskampf, ohne auf diesen Widerspruch einzugehen, auf das Recht von Produktionsmittelbesitzern, die Nachfrage nach Arbeit als Druckmittel einzusetzen.
Und was erleben wir gerade?
Der Öffentliche Dienst ist kein privater Produktionsmittelbesitzer. Auf kommunaler, regionaler, föderaler und Bundes-Ebene entscheiden gewählte Politiker über Größe und Verwendung von Etats und damit auch über die Arbeitsbedingungen öffentlicher Angestellter.
Solche Entscheidungen stehen regelmäßig auf dem Kalender jeder Behörde und der für sie zuständigen Politiker. Und diese schaffen es alle Jahre wieder, die für den Öffentlichen Dienst zuständige Gewerkschaft u n d die darüber berichtenden Medien in eine Streik-Falle laufen zu lassen – in das oft medial vermittelte Missverständnis, sie trügen keine Verantwortung für streikbedingte Alltagsstörungen.
In meinen gut 50 Jahren Gewerkschaftsmitgliedschaft habe ich in keinem Medium eine Recherche darüber gelesen, gesehen oder gehört, weshalb Politiker und die von ihnen kontrollierten Behörden es darauf ankommen lassen, dass erst öffentliches Leben still stehen muss, bevor sie sich bewegen.
Wer streikt hier eigentlich?
Foto:
© zdf.de
© zdf.de