Bildschirmfoto 2020 09 30 um 02.10.39Gestern Dienstag sollten Donald Trump und Joe Biden erstmals persönlich aufeinander treffen

Andreas Mink

New York (Weltexpresso) - Drei Viertel der Wähler wollen laut einer Umfrage die erste Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden am Dienstagabend verfolgen. Das gigantische Interesse reflektiert sicher auch die Erwartung eines Dramas der Sonderklasse. Denn Demoskopen gehen davon aus, dass die ganz überwiegende Mehrheit der zu einer Stimmabgabe entschlossenen Bürger ihre Entscheidung längst getroffen hat. In etlichen Gliedstaaten laufen bereits die Früh- oder Briefwahlen.

Bei Umfragen liegt Biden im Schnitt seit dem Frühjahr stabil mit sieben bis zehn Prozentpunkten vor Trump, also deutlich besser als Hillary Clinton 2016 Auch bei den acht bis zwölf «Swing States» von Arizona über Florida bis Pennsylvania und Wisconsin hat der 77-jährige Vizepräsident unter Barack Obama meist die Oberhand Eine solide Performance – und darum geht es bei diesem Show-Duell – sollte Biden der Präsidentschaft daher ein gutes Stück näher bringen.

Zudem findet er Hilfe von vielen Seiten. Zahlreiche ex-Mitarbeiter der Trump-Regierung gehen an die Öffentlichkeit und kritisieren etwa dessen Versagen bei Covid-19. Daneben reisst die Serie von Enthüllungen nicht ab. Brachte Jonah Goldberg im «Atlantic» die Verachtung Trumps für Amerikas Kriegshelden an den Tag, dokumentierte Bob Woodward, dass er die Gefahr von Covid-19 bewusst «heruntergespielt» hat. Und schliesslich kam die «New York Times» am Sonntag mit dem Heiligen Gral des amerikanischen Journalismus und enthüllte die Steuer-Erklärungen und finanziellen Machenschaften Trumps.

Was Kenner der New Yorker Immobilienszene schon lange behauptet haben, steht nun ziemlich fest: Er ist ein Scharlatan und gar kein erfolgreicher Unternehmer. Trumps Genie besteht nur darin, mit Hilfe kluger Berater Steuern zu sparen, Schulden zu machen und Kreditgeber darauf sitzen zu lassen. Der Report gibt zumindest ein starkes Argument für eine grundlegende Reform des Steuerrechtes ab, um derlei Manövern vorzubauen.

Genug Steilvorlagen also für Biden, um gegen Trump zu punkten. Ob er Amerika vor einem Absturz in eine autoritäre Herrschaft, Chaos und eine offene Rebellion demokratisch geführter Gliedstaaten gegen das Weisse Haus retten kann, liegt nun allein in Bidens Hand. Bleibt zu hoffen, dass er sich zumindest nicht ständig selbst in seinen Antworten unterbricht, weil die Zeit dafür abgelaufen ist. Mit dieser demütigen Geste hat Biden bei den Vorwahl-Debatten der Demokraten eine schwache Figur gemacht. Trump wird alles daran setzen, dominant zu erscheinen. Kann Biden dies kontern und einen kühlen Kopf bewahren, wäre das schon ein halber Sieg.

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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 29. September 2020