Die Stadt Frankfurt am Main hatte Anlaß, einen solchen Vertrag zu unterzeichnen
Roswitha Cousin
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Es ist viel zu wenig bekannt, daß die Stadt Frankfurt im Dritten Reich eine besonders schlimme Naziherrschaft ausübte. Seltsamerweise sind auch in der Nachkriegszeit die jüngste Frankfurter Vergangenheit nicht zum Thema geworden. Inzwischen sind zwar einzelne Stätten wie die Adlerwerke öffentlich aufgearbeitet worden, aber die vorhandene Kontinuität in Politik und Gesellschaft sind nicht weiter bekannt. Das ist um so seltsamer, als ja gerade in Frankfurt eine große jüdische Bevölkerung unter den Nazis besonders zu leiden hatte. Das sieht man an der Häufung der Stolpersteine, die den großen Anteil von Juden unter den Frankfurtern aufzeigen.
Ein Problem war früher durchaus, daß die heutige Jüdische Gemeinde fast nichts mit der zu tun hat, die schon vor 1933 schikaniert wurde, dann durch die Deportationen in die KZs durch Mord ausgelöscht wurde. Die heutige jüdische Gemeinde setzt sich zusammen aus sogenannten Ostjuden, die in den Fünziger Jahren vor allem aus Polen kamen, dann von Rückkehrern, die sich nach Israel , in die USA, nach Südamerika etc. retten konnten, und dann mit großem zeitlichen Abstand, aus russischen Juden mit deutschen Wurzeln, was der Häufung und anderer Sozialisation wegen große interne Probleme in Jüdischen Gemeinden verursachten. Es ist also eine andere Population, die sich nun als Jüdische Gemeinde mit den aufgefundenen jüdischen Kultgegenständen von gestern beschäftigen müssen, die in ihren Besitz übergehen, was sicher zum historischen Interesse der Heutigen am Gestern führt.
Und jetzt zum Aktuellen: Kulturdezernentin Ina Hartwig hat am Mittwoch, 30. September, für die Stadt Frankfurt einen Restitutionsvertrag mit der Jüdischen Gemeinde unterzeichnet. Der Restitutionsvertrag wurde im Rahmen des Kooperationsprojekts „Gekauft. Gesammelt. Geraubt?“ angebahnt. Im Zuge des Projektes übertrug das Historische Museum fünf jüdische Ritualgegenstände an die Sammlung des Jüdischen Museums, die in Teilen nur noch als Fragmente erhalten sind. Das Jüdische Museum stellte im Zuge von Provenienzforschungen fest, dass fünf der Gegenstände aus synagogalem Gebrauch stammten und der Israelitischen Gemeinde gehört hatten.
„Diesen Weg gilt es konsequent weiterzugehen und alle Objekte in den städtischen Instituten einer kritischen Revision zu unterziehen. Auch wenn mögliche Restitutionen die Häuser im Einzelfall schmerzen: Die Sammlung eines modernen Museums muss vollumfänglich rechtmäßig erworben sein. Kein Frankfurter Museum soll sich in Zukunft noch mit Raubkunst schmücken“, erklärt Stadträtin Hartwig.
Die Israelitische Gemeinde war bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme die größere der beiden Jüdischen Gemeinden Frankfurts und beging ihre Gottesdienste unter anderem in drei prächtigen Synagogen, der Westendsynagoge, der Börneplatzsynagoge und der Hauptsynagoge. Drei der restituierten Gegenstände wurden in diesen Synagogen oder in den kleineren Betstuben genutzt, die insbesondere im Ostend zahlreich waren. Die beiden anderen Gegenstände, ein Zinnteller und eine Wasserfontäne, weisen Inventarnummern auf, die als Leihgaben der Israelitischen Gemeinde an das Museum Jüdischer Altertümer dechiffriert werden konnten.
Das Museum Jüdischer Altertümer war das erste jüdische Museum, das in Frankfurt im Jahr 1922 eröffnet und von der Gesellschaft zur Erforschung jüdischer Kunstdenkmäler unterhalten wurde. Es präsentierte vor allem Zeremonialgegenstände, welche die Gesellschaft gesammelt hatte, sowie Leihgaben des Historischen Museums und der Israelitischen Gemeinde. Das Museum wurde im Novemberpogrom 1938 zerstört, die Zeremonialobjekte aus seiner Ausstellung und seiner Sammlung geraubt. Die heutige Jüdische Gemeinde Framkfurt versteht sich als Nachfolgeeinrichtung der Israelitischen Gemeinde, die 1942 liquidiert wurde.
Marc Grünbaum, Mitglied des Vorstands und Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde, sagt: „Bei der heutigen Restitution geht es nicht nur um die restituierten Gegenstände aus dem Besitz der Vorgängergemeinden der heutigen Jüdischen Gemeinde Frankfurts. Vielmehr setzt die Stadt Frankfurt am Main ein längst überfälliges Zeichen, was wir außerordentlich begrüßen. Es ist gut, dass vor der Neueröffnung gerade des Jüdischen Museums historisches Unrecht vergegenwärtigt wird und die Präsentation der Zeremonialobjekte in der neuen Dauerausstellung des Jüdischen Museums auf einer historisch verantwortungsvollen Grundlage aufbaut.“
Die Leiterin des Jüdischen Museums, Mirjam Wenzel, erklärt: „Mit der Restitution von fünf Objekten, die dem Jüdischen Museum von Seiten des Historischen Museums übergeben wurde, an die Jüdische Gemeinde Frankfurt beginnt ein neues Kapitel im Verhältnis zwischen der Jüdischen Gemeinde und der Stadt Frankfurt. Das Jüdische Museum versteht sich als ein Brückenbauer in diesem Verhältnis und setzt sich dafür ein, dass die Jüdische Gemeinde Frankfurt auch in materieller Hinsicht die Nachfolge der Israelitischen Gemeinde antreten kann.“
Jan Gerchow, Direktor des Historischen Museums, ergänzt: „Das Historische Museum hat in den 2000er Jahren begonnen, seine Sammlungen systematisch auf unrechtmäßig erworbene oder aufbewahrte Objekte hin zu untersuchen. 2018 konnten wir mehrere Objekte mit jüdischer Provenienz an das Jüdische Museum übergeben. Wir freuen uns sehr, dass davon nun fünf Objekte mit Bezug zur ehemaligen Israelitischen Gemeinde an die Jüdische Gemeinde zurückgegeben werden. Auch wenn das spät - 75 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus - geschieht, ist es nicht zu spät und erst recht nicht ‚verjährt‘. Diese große Bringschuld deutscher Museen ist noch lange nicht erfüllt.“
Alle fünf Objekte, die mit dem Restitutionsvertrag an die Jüdische Gemeinde übergeben werden, wurden in den vergangenen zehn Jahren in den Depots des Historischen Museums gefunden und zwischen 2003 und 2011 als Teil von dessen Sammlung inventarisiert.
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Marc Grünbaum, Mirjam Wenzel, Salomon Korn und Ina Hartwig betrachten die Gegenstände
)Marc Grünbaum, Mirjam Wenzel, Salomon Korn und Ina Hartwig mit restituierten Objekten
Vertragsunterzeichnung: Mirjam Wenzel, Direktorin Jüdisches Museum, Salomon Korn, Vorsitzender Jüdische Gemeinde Frankfurt, Marc Grünbaum, Mitglied des Vorstands und Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und sitzend Kulturdezernentin Hartwig
© Stadt Frankfurt, Stefanie Kosling