Deutschland muss angesichts islamistischer Attentate Position beziehen
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Der aus religiösem Fanatismus begangene Mord an dem Lehrer Samuel Paty scheint die französische Öffentlichkeit wachgerüttelt zu haben.
Und allem Anschein nach noch stärker als bei den Attentaten auf „Charlie Hebdo“ und das Bataclan-Theater. Präsident Macron sieht das Erbe der Französischen Revolution, jenes „Liberté, Égalité, Fraternité“, sowie die demokratischen Traditionen der Republik bedroht. Und er beließ es nicht beim Reden, er handelte. Eine den Islamisten nahestehende Moschee wurde geschlossen, Razzien im Milieu des Mörders führten zu Festnahmen von Sympathisanten. Weitere strenge Kontrollen der islamistischen Szene wurden angekündigt. Darauf reagierte der türkische Präsident Erdogan, mittlerweile einer der Wortführer des fundamentalistischen und politisch agierenden Islam, auf seine Art. Er wandte sich an „diese Person namens Macron“ und forderte sie auf: „Gehen Sie Ihre geistige Gesundheit testen!“
Die Bundesregierung solidarisierte sich zwar mit den französischen Nachbarn. Aber das Statement von Außenminister Heiko Maas fiel bemerkenswert schwach aus. Man konnte sogar den Eindruck gewinnen, dass der Minister lediglich eine Pflichtübung absolvierte. Vor wem fürchtet er sich? Vor wem hat die Bundesregierung Angst?
Ich beobachte bereits seit längerem mit Sorge, wenn Mitbürger, die hier geboren wurden und teilweise auch deutsche Staatsbürger sind, dem Autokraten Erdogan zujubeln. Und ich habe kein Verständnis dafür, wenn in diesen Milieus Männer- und Frauenbilder propagiert werden, die in demokratischen Gesellschaften keinen Platz haben. So wenig die unhistorische Lesart einer christlichen Bibel als Rechtfertigung für katholischen und evangelischen Dogmatismus taugt, so wenig ist der Koran geeignet, die Lebens- und Glaubensvorstellungen aus dem Arabien des siebten Jahrhunderts auf die Welt des 21. zu übertragen. Ja, sie dem Grundgesetz dieses Landes überzustülpen.
Genauso wie gegenüber Neonazis und Rechtspopulisten wird es auch gegenüber orthodoxen Muslimen nötig sein, deutlich „nein“ zu sagen, wenn von dieser Seite Rechte reklamiert werden, die dieser nicht zustehen.
Wie ich schon andeutete: Dogmatiker gibt es in sämtlichen Religionen, ebenso in politischen Weltanschauungen. Vielfach sind sie miteinander verknüpft. Zu nennen sind die Evangelikalen in den USA und Teile der Republikaner. Für die evangelische Kirche im Kaiserreich war das preußische Staatswesen die irdische Erfüllung der göttlich verheißenen Ordnung (der Theologe Adolf von Harnack verfasste den Kriegsaufruf von Wilhelm II zum Ersten Weltkrieg). Im Deutschland der 1950er Jahre gingen katholische Kirche und CDU eine unheilige Allianz ein (mit bis heute untilgbaren Spuren). In den so genannten Gottesstaaten wie Saudi-Arabien und Iran fließen unreflektierter Glaube und Politik völlig ineinander, was Auswirkungen auf den gesamten arabischen Raum hat und demokratische Bewegungen bereits im Keim erstickt.
Als die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ die dänischen Mohammed-Karikaturen veröffentlichte, empfanden das Millionen von Muslimen als Affront. Sie konnten und wollten nicht verstehen, dass diese Zeichnungen zugespitzte Darstellungen der tatsächlichen Verhältnisse in der muslimischen Welt bzw. in den islamischen Parallelgesellschaften des Westens waren. Ja, dass sie, die Gläubigen, von ihren religiösen und politischen Führern seit Jahrzehnten belogen und um ihr Leben betrogen werden. Man kann den Aufschrei durchaus in jenem Sinn verstehen, wie ihn Karl Marx beschrieb:
„Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist“ (in: „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“, 1844). Doch billigen kann man ihn nicht. Und man kann und darf sich nicht auf die korrumpierte Ethik von Menschen einlassen, die von ihresgleichen bewusst dumm gehalten werden.
Türken stellen seit vierzig Jahren das größte Einwandererkontingent in Deutschland. Die verfehlte Integrationspolitik des Staats, die sich auch in einer unangebrachten Toleranz gegenüber anti-emanzipativen religiösen Vorschriften äußert, und eine Integrationsunwilligkeit seitens der Zuwanderer selbst haben zu Parallelgesellschaften geführt.
Der religiösen Verdummung lässt sich nur durch die Vermittlung von Wissen entgegentreten. Vor allem im Religionsunterricht der allgemeinbildenden Schulen, der zu einem wissenschaftlichen Fach werden müsste und sich ausschließlich der Religionsgeschichte und der historisch-kritischen Erforschung „heiliger“ Schriften widmen dürfte. Denn jede religiöse Offenbarung ist von Menschen verfasst worden. Jedes - auch subjektiv ernst gemeinte - Glaubenszeugnis ist nicht dazu in der Lage, die Existenz einer göttlichen Gewalt, die Macht über den Menschen besitzt, zu beweisen. Deswegen kann dem Irrationalen in demokratischen Gesellschaften kein Einfluss zugebilligt werden.
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Plakat aus den Jahren der Revolution, datiert auf 1793.