Nazi Spracheoder Wie Kulturschaffende die Kultur zerstören

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – „Dieser gewalttätige Satzbau, diese verkümmerte Grammatik, dieser monströse und zugleich krüppelhafte Wortschatz. Das war nach unserer Meinung der typische Ausdruck der Gewaltherrschaft.“

So leiteten 1957 der Politologe Dolf Sternberger, der Literaturwissenschaftler Gerhard Storz und der SZ-Redakteur Wilhelm E. Süskind die Buchausgabe ihres „Wörterbuch des Unmenschen“ ein, dessen einzelne Beiträge ursprünglich von 1946 bis 1948 in der Zeitschrift „Die Wandlung“ erschienen waren. Und sie fuhren fort:

„Ihr Ausdruck oder ihre bleckende Maske. Und so hofften wir, dass dies alles auch zusammen mit dem Dritten Reich in Trümmer sinken würde. Es ist auch mit ihr in Trümmer gesunken. Aber kein reines und neues, kein bescheideneres und gelenkigeres, kein freundlicheres Sprachwesen ist erstanden. Sondern der durchschnittliche, ja, der herrschende deutsche Sprachgebrauch behilft sich mit diesen Trümmern bis in unsere Tage. Das »Wörterbuch des Unmenschen« ist das Wörterbuch der geltenden deutschen Sprache geblieben. „Der eine totale Unmensch lebt in tausend partikularen Unmenschlein fort, und keiner von ihnen weiß, was er tut - was er tut, indem er redet. Denn ringsum wimmelt es von Erfassern, Betreuern, Durchführern und Gestaltern, und alle strecken sie ihre klapperdürren Finger aus, um uns die Kehle zuzudrücken. Die einzige Neuerung besteht darin, dass sie vielfach Handschuhe übergezogen haben, die aus Flicken von feinerem, sanfterem Stoff gemacht sind.“

Im Vorwort zur Neuauflage von 1967 betonen die Autoren, dass hinsichtlich der Bedeutung von Sprache und ihrer Wörter nach wie vor die Meinung verbreitet sei, es gebe keine böse Sprache, sondern nur böse Sprecher. Und man würde ihnen vorwerfen, keine Sprachkritik zu betreiben, sondern Gesellschaftskritik. „Dies letztere mag zutreffen, nur ist die Sprache und sind die Wörter nie jenseits ihres Gebrauchs zu denken, daher auch nicht jenseits ihres Missbrauchs.“

Zu jenen Wörtern, die dem Gebrauch durch Unmenschen oder dem unmenschlichen, inhumanen Gebrauch typischerweise zugerechnet werden, zählt neben Einsatz, Härte, Propaganda, Querschießen oder Sektor auch Kulturschaffende.

Der Begriff „Kulturschaffende/r“ war gegen Ende der 1920er Jahre ein Kampfbegriff innerhalb der so genannten „Konservative Revolution“ (Ernst Jünger, Ernst von Salomon, Arthur Moeller van den Bruck, Carl Schmitt). Von dort ging er nahtlos in den Sprachgebrauch der Nationalsozialisten über. Bereits 1934 erschien im „Völkischen Beobachter“ der „Aufruf der Kulturschaffenden“, in dem die Unterzeichner Treue zum Führer gelobten. Und in der Begründung des Gesetzes über die Einrichtung der Reichskulturkammer im September 1937 hieß es: „Die Aufgabe des Staates ist es, innerhalb der Kultur schädliche Kräfte zu bekämpfen und wertvolle zu fördern, und zwar nach dem Maßstab des Verantwortungsbewusstseins für die nationale Gemeinschaft. In diesem Sinne bleibt das Kulturschaffen frei. Wohl aber ist es [...] notwendig, die Schaffenden auf allen ihren Gebieten unter der Führung des Reiches zu einer einheitlichen Willensgestaltung zusammenzufassen.“

Sowohl zur damaligen Zeit auch als nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der Begriff, direkt oder in sprachlicher Abwandlung, in vielen totalitären Systemen gebraucht. Immer war seine Verwendung verbunden mit der Festlegung politisch gesellschaftlicher Aufgaben der „Kulturschaffenden“ (zugunsten des jeweiligen Systems). Ein kulturschaffender Individualist war unerwünscht. In der DDR war er bis zur Wende weiter verbreitet als in Westdeutschland. Der Westableger der SED, die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) erwies sich auch in diesem Punkt als gelehriger Schüler. Sie verfügte durch geschickte Fraktionsbildungen über einen großen Einfluss im Deutschen Schriftsteller-Verband, der diese Vokabel im Verlauf der 1970er Jahre unhinterfragt übernahm. Aber auch undogmatische Linke hielten diese Bezeichnung für angesagt und schick. Als selbsternannte „Arbeiter der Stirn“ mogeln sich manche Intellektuelle „Seit an Seit“ neben die „Arbeiter der Faust“ (auch synthetische Wörter aus Joseph Goebbels Giftküche) und marschieren zumindest virtuell mit. Damit wollen sie ausdrücken: Auch wir sind „solidarisch“ mit allen sozial Guten im Land, auch wir sind „Kollegen, Genossen“ gar und keine elitären Einzelgänger. Auch wir sind bereit, zuzupacken und innerhalb des Systems bestimmte Aufgaben zu übernehmen, etwa schädliche Elemente im Bereich der Kultur zu eliminieren.
Man erkennt: Der Begriff ist nachweislich kontaminiert. Menschen mit Sprachgefühl benutzen ihn allenfalls in satirischer Absicht, denn er steht für die mehr oder weniger erzwungene Anbiederung an gesellschaftliche Konventionen, gar an Unrechtsregime.

Doch was genau sind eigentlich Kulturschaffende? Und was unterscheidet sie von Künstlern? Schaffen sie persönlich Kultur (an?) oder sind sie nur an ihrer Ermöglichung beteiligt? Der vom Leipziger Bibliografischen Institut herausgegebene Ost-Duden versah 1951 das Stichwort „Kulturschaffende“ mit einer Fußnote: „sprachlich richtiger: der kulturell Schaffende“. Aber selbst diese Erläuterung greift zu kurz. Zu vermuten ist, dass die selbsternannten Kulturschaffenden sich selbst und ihre Branche als etwas Erhabenes betrachten, ja, dass sie diese Tätigkeit – das sogenannte „Kulturschaffen“ – anderen allzu gern absprechen. Wer sich selbst „Kulturschaffender“ nennt, der setzt auch voraus – bewusst oder unbewusst –, dass es andere Menschen gibt, die keine Kultur schaffen. Allerdings: Zur Kultur gehört streng genommen alles, was der Mensch schafft oder je erschaffen hat, und zwar jeder Mensch. Von Werkzeugen, Waffen und Besteck, über Literatur und Theater bis hin zum Basteln von Gartenzwergen – das alles ist Kultur. Auch unser Verhalten prägt und macht die Kultur aus. Selbst wenn wir in Feiern und bei Saufgelagen die sprichwörtliche „Sau“ herauslassen.

Der Heidelberger Schriftsteller Michael Buselmeier bekannte unlängst: „Ich habe das Wort »Kulturschaffende«“, das nun fast täglich in Zeitungen und im Internet völlig unkritisch auftaucht, immer verabscheut und gemieden, lange bevor ich um seine dubiose Herkunft wusste. Es kam mir extrem grob, spießig und bürokratisch vor und ließ sich allenfalls ironisch verwenden. Warum spricht man nicht einfach von Künstlern, Autorinnen, Malern?“
Und er führt mit Bezug auf die Corona-Pandemie weiter aus:
„Aktuell wird der kontaminierte Begriff, so mein Eindruck, eher phrasenhaft und gedankenlos eingesetzt. Er taucht, speziell in der Corona-Krise, überall dort auf, wo es um die Interessenvertretung der Branche geht. Er ist die Lieblingsvokabel aller Kulturlobbyisten, die sich als »Kreative« missverstehen: Literaturgrüppchen, freie Kunst- und Theatervereine, Rundfunkredakteure, Musiker, aber auch die für Kunst zuständigen Funktionäre der Parteien. Ich lege Wert darauf, kein „Kultur- oder Kunstschaffender“, kein „Geistestätiger“ und kein „kreativer Kollege“ zu sein, auch kein überbraves Rädchen in irgendeinem Kulturapparat, der mich, wenn ich nur lieb genug war, vielleicht auch ein wenig finanzieren und sonst wie versorgen wird.

Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

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Beispiele aus der Nazi-Sprache
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