Paula White Cain schwort Gott auf Donald Trump einUnd das evangelikal-reaktionäre Amerika ist eine Ära Gottes, wo seine (ungläubigen und demokratischen) Feinde zerschmettert werden

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein zweieinhalbstündiger Gottesdienst in der Kirche "City of Destiny" in Apopka / Florida gerät zum Akt des politischen Exorzismus.

Die evangelikale Predigerin Paula White-Cain spricht von Wahlbetrug, Fehlberechnungen und Leuten, die versuchten, die Wahl zu kapern. Und meint damit Joe Biden und die Demokratische Partei. "Wir entfesseln die Macht und die Autorität des Herrn gegen jeden Dämon, der dieser Wahl begegnet ist", predigt sie. Und steigert sich in eine Ektase aus Gebet und politischer Indoktrinierung. Im „Bible-Belt“ der USA scheint so etwas nicht ungewöhnlich zu sein.

Das ist Anlass, sich mit Glauben und Kirche unter dem Aspekt von Wahrheit und Freiheit von Religion eingehender auseinander zu setzten. Vor allem mit der Frage, ob ein unreflektiertes religiöses Bekenntnis der Demokratie schaden könnte.

Die Synonyme des Verbs „glauben“ reichen in der Alltagssprache von „nicht wissen“ über „annehmen“ oder „vermuten“ bis „für wahrscheinlich halten“. Damit erweist sich das Wort als untauglich für die präzise Beschreibung von Tatsachen. Denn letztere besitzen eine Qualität jenseits der bloßen Mutmaßung, eben weil sie real sind und sich verifizieren lassen. Unter der Voraussetzung, dass die demokratischen Strukturen eines Staats funktionieren, kann man der Verbindlichkeit seiner Verfassung und seiner Gesetze nicht nur vertrauen, sondern kann ihre Anwendung einfordern und sich auf sie berufen. Dieses Vertrauen ist kein Glaube, sondern die Summe der demokratischen Rechte (einschließlich der Möglichkeit, seine verfassungsmäßigen Rechtstitel bei Gericht einklagen zu können).

Hingegen ist religiöser Glaube nur als empirische Größe vorhanden. Es gibt soundso viele Christen, Juden, Muslime, Buddhisten oder Hindus. Die Quantität sagt weder etwas über die ethische Qualität noch über die Wahrheit (Wirklichkeit) der jeweiligen Heilsbotschaft aus. Wobei der Frage nach dem Sinn einer Aussage Vorzug einzuräumen ist gegenüber der nach der Wahrheit. Denn sinnlose Aussagen sind weder wahr noch falsch. Sie bringen keinen Erkenntnisgewinn und verschleiern lediglich den tatsächlichen Gehalt (oder die tatsächliche Leere) einer Aussage.

Die Verfechter religiöser Wahrheiten unterliegen zudem permanent der Versuchung, die logischen Ebenen zu verwechseln. Denn man kann nicht an den Glauben appellieren, wenn es zunächst darum gehen müsste, seine Inhalte formallogisch zu bestimmen. Und man darf nicht die Zustimmung zu einem Glauben voraussetzen, um über seine Inhalte diskutieren zu können. Selbst die Sprachphilosophie bietet kein System logischer Sätze zur Erkenntnis an. Ihr Anliegen ist die Methode, konkret die logische Analyse, mit deren Hilfe der Sinn bzw. der logische Status von Wörtern und Sätzen untersucht werden kann. Dadurch bewahrt sie vor unsinnigem Sprachgebrauch und sie ist dazu in der Lage, einen solchen zu entlarven.

Ludwig Wittgenstein hat im Vorwort zu seiner sprachwissenschaftlichen Abhandlung „Tractatus logico-philosophicus“ (1921 erschienen) den Gegenstand logischer Sprache so beschrieben:
„Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen. Das Buch will also dem Denken eine Grenze ziehen, oder vielmehr – nicht dem Denken, sondern dem Ausdruck der Gedanken: Denn um dem Denken eine Grenze zu ziehen, müssten wir beide Seiten dieser Grenze denken können (wir müssten also denken können, was sich nicht denken lässt). Die Grenze wird also nur in der Sprache gezogen werden können und was jenseits der Grenze liegt, wird einfach Unsinn sein.“

In Deutschland sind Christentum, Judentum und Islam faktisch Teile einer pluralistischen Gesellschaft, wobei das Grundgesetz die Trennung von Staat und Kirche (und als rechtliche Konsequenz auch die von Staat und Synagoge sowie von Staat und Moschee) bestimmt. Das verfassungsmäßige Recht auf freie Religionsausübung versteht sich folglich im Kontext des Rechts der Anders- und Nichtgläubigen, vor Religion im gesamten öffentlichen Raum geschützt zu sein. Denn im öffentlichen Raum kann nur das Tatsächliche, das fassbar Reale einschließlich von Verfassungsgrundsätzen und Gesetzen, zur Sprache gebracht werden und es kann nur unter Einhaltung bestimmter methodischer Voraussetzungen darüber gestritten werden. Kommunikation gibt es nur auf der Grundlage öffentlicher Kommunikationsregeln (siehe oben). Und diese ergeben sich einerseits aus der logischen Methode und andererseits aus Semantik und Grammatik der deutschen Sprache.

Der christliche Glaube, den ich hier als Beispiel herausstelle (auch weil er auf jüdischen Wurzeln steht und dadurch eine gemeinsame Geschichte von ca. 3500 Jahren nachweisen kann), basiert erstens auf nachweisbaren historischen Vorgängen, zweitens auf geglaubter Geschichte und Geschichten sowie drittens auf erhoffter Zukunft. Gemeint sind zunächst die Kriege der Israeliten um das „gelobte Land“ Kanaan, die Babylonische Gefangenschaft, die Okkupation Judäas durch das Römische Reich, das Toleranzedikt Kaiser Konstantins und schließlich die Dogmatisierung des christlichen Glaubens durch die alte (frühkatholische) Kirche im vierten Jahrhundert. Dann die zwei Schöpfungsberichte, die heilsgeschichtliche Interpretation alttestamentlicher Erzählungen und Prophezeiungen und die neutestamentlichen Evangelien. Am Ende die Zukunftsperspektiven: Ankunft bzw. Wiederkunft des Messias, des weltlichen und geistlichen Befreiers, die Auferstehung der Toten.

Walter Benjamin hat dieses Wechselspiel aus erzählter Vergangenheit, Zukunft, realer Historie und Verkündigung „Erinnerte Zukunft und erhoffte Vergangenheit“ genannt (Walter Benjamin: Ein Sturm vom Paradiese her). Dies korrespondiert mit Horkheimer und Adornos These „Nicht um die Konservierung der Vergangenheit, sondern um die Einlösung der vergangenen Hoffnung ist es zu tun“ („Dialektik der Aufklärung“). Man erkennt, dass auch religiöse Schriften formalkorrekte Aussagen beinhalten können und nicht zwangsläufig ein Ausweichen in metaphysische Sphären bedeuten müssen.

Die äußeren Bestandteile von Religion lassen sich nachweisen, insbesondere ihre Entstehung und dass sie uneingeschränkt Menschenwerk sind. „Der Mensch macht die Religion“ konstatierte Karl Marx zu recht, aber Religion kann auch den Menschen machen, kann ihn determinieren, insbesondere infantilisieren und obrigkeitshörig machen, sofern die gesellschaftlichen Verhältnisse das zulassen (z.B. im europäischen Mittelalter, in katholisch geprägten Ländern und in islamischen „Gottesstaaten“). Gerade weil das Religiöse immer wieder wirkungsvoll in die Geschichte der Menschheit eingegriffen hat und seine diesbezüglichen Absichten tendenziell fortbestehen, muss man von ihm verlangen, den Sinn seiner Aussagen offenzulegen.

Der nächste und unverzichtbare Schritt nach einer Besinnung auf sprachlogisch möglich Aussagen könnte in einem Dialog zwischen Religion und säkularer Welt bestehen. Nicht im Sinn eines Wahrheitsbeweises, der nicht zu führen ist, sondern als ihr möglicher und wünschenswerter Beitrag zu einer gerechteren Gesellschaft. Hierzu wäre es notwendig, die religionsgeschichtlichen und theologischen Einzelwissenschaften heranzuziehen, die sich um eine Exegese im Kontext der historischen Hintergrundereignisse bemühen. Allen voran die historisch-kritische Forschung über die Entstehung „heiliger“ Texte.

Der evangelische Theologe Rudolf Bultmann hat die bereits zur Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzende Leben-Jesu-Forschung (Hermann Samuel Reimarus, David Friedrich Strauß, Bruno Bauer, William Wrede u.a.) durch seine Methode der Entmythologisierung der neutestamentlichen Schriften zwar nicht endgültig abgeschlossen, aber doch zu einem Erkenntnisstand geführt, der bei der weiteren wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Gegenstand nicht unberücksichtigt bleiben kann. Die Quintessenz seiner Untersuchungen lässt sich in dem Satz zusammenfassen: Glaube ist nur auf der Grundlage von Wissen und wissenschaftlichem Verstehen möglich.

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Paula White-Cain schwört Gott auf Donald Trump ein

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