Corona-Querschläger wüten in Leipzig
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Auch in Sachsen gelten die mit Wirkung vom 2. November verschärften Corona-Schutzmaßnahmen.
Sie wurden verschärft, weil die Infektionen drastisch angestiegen und nicht mehr kontrollierbar waren. Auch die Zahl der Schwererkrankten, die auf Intensivstationen behandelt werden müssen, stieg rapide an, zudem forderte die Seuche täglich weitere Todesopfer. Am Ende der Infektionskette stehen Ältere und Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen; am Anfang aber Leichtsinnige, die ohne Risiko- und Verantwortungsbewusstsein das Virus übertragen, ohne selbst Symptome zu zeigen (über mögliche Spätfolgen lässt sich derzeit nichts aussagen).
Da sich Covid-19 durch Kontakte von Mensch zu Mensch überträgt und sich im ersten „Lockdown“ gezeigt hatte, dass Kontaktreduzierungen in besonders gefährdeten Bereichen zu einer deutlichen Abnahme der Infektionen führte, blieben Bundesregierung und Länderregierungen nur dieses eine Mittel der Wahl. Dass vor allem Gastronomie und Kulturveranstalter erneut von diesen Schritten einschneidend betroffen sind, liegt an ihrer wesentlichen Eigenschaft: Sie sind Sammelplätze und nicht nur theoretisch, sondern auch real Infektionsherde. Dagegen helfen nur in wenigen Fällen so genannte Hygienekonzepte. Den meisten Gaststätten mangelt es an Fläche und Höhe sowie an getrennten Be- und Entlüftungsanlagen. Vielfach wurden auch die Abstandsgebote nachlässig angewandt.
Und auch die Kultureinrichtungen erweisen sich nicht immer als geeignet. In der Frankfurter Theaterdoppelanlage ist zwar Platz, um ein Viertel der üblichen Zuschauer mit notwendigen Abständen unterbringen zu können. Aber Be- und Entlüftung sind seit Jahren defekt (Immobilienspekulanten und ihre Vertreter in Stadtparlament und Magistrat setzen auf Abriss und Neubau) und können mangels Ersatzteilen nicht mehr repariert werden.
Ja, diese Maßnahmen sind lästig, aber es steht Höheres auf dem Spiel als das individuelle Amüsement. Deswegen habe ich kein Verständnis für Rücksichtslose, die meine Gesundheit und mein Leben aufs Spiel setzen. Selbstverständlich darf man gegen ein Gesetz bzw. eine Verwaltungsanordnung protestieren und demonstrieren, aber man darf es bzw. sie nicht selbst außer Kraft setzen, also die AHA-Regeln als für sich nicht verbindlich erklären.
Letzteres war durch die „Querdenker“-Aktion in Leipzig zu erwarten, nachdem ähnliche Aufmärsche in Berlin, Stuttgart oder München bereits eskaliert waren. Und es musste auch damit gerechnet werden, dass auch diese Demonstration Rechtsextremisten und Schlägertruppen anziehen würde. Außerdem ist nachweisbar, dass sich „Querdenken“ längst selbst zu einer verfassungsfeindlichen Organisation entwickelt hat, die sämtliche Merkmale des Straftatbestands der Volksverhetzung erfüllt. Nämlich Verstöße gegen die Menschenwürde und den öffentlichen Frieden sowie die Verharmlosung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, insbesondere die des Nationalsozialismus. Diese kriminellen Akte werden durchweg nicht von der grundgesetzlich garantierten Meinungsfreiheit gedeckt.
Die Demonstration in Leipzig lief, wie es zu erwarten war, nicht nur aus dem Ruder; sie war von vornherein als Gewaltaktion gegen Gesundheit und Leben sowie gegen Polizei und Presse geplant. Warum die Leitung der Polizei keine Wasserwerfer eingesetzt hat, erschließt sich mir nicht. Da entsteht der Verdacht, dass es in Sachsen darauf ankommt, wer das Recht bricht. Der blau-braune Plebs scheint bevorzugt zu werden.
Den beteiligten Richtern des sächsischen Oberverwaltungsgerichts in Bautzen hätte die Gesamtlage bewusst sein müssen, als sie diese Großdemonstration in der Leipziger Innenstadt genehmigten. Sie setzen sich mit ihrer Entscheidung dem Verdacht aus, das Recht gebeugt zu haben (§ 339 Strafgesetzbuch). Und ich frage mich, was in Sachsen vielleicht noch alles möglich wird. Naheliegend wäre ein Marsch mit der Forderung nach einer Euthanasie für Corona-Schwersterkrankte. Vorstellbar ist auch eine Demonstration für die Freigabe von Kinderpornografie. Oder ein Aufmarsch der Immobilienhaie für die Straffreiheit von gewaltsamer Entmietung.
Foto:
Ausschreitungen bei Querdenken-Demo in Leipzig am 7.11.20
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