ZUR LAGE um die vorgesehene Besetzung der Leiterstelle, die in der ganzen Welt Protest hervorruft
Hanno Loewy
Hohenems (Weltexpresso) - Ein rechtsradikaler Rassist soll Vorstand der grössten Holocaust-Gedenkstätte der Welt werden (tachles berichtete, Weltexpresso am )? Klingt nach einem absurden Gedanken, an ein Paralleluniversum, wo alles auf dem Kopf steht. Aber es steht längst alles auf dem Kopf in unserem eigenen Universum.
Yad Vashem in Jerusalem, nach eigener Definition die «Welt-Gedenkstätte des Holocaust», soll in Zukunft, so wollen es Benjamin Netanjahu und das zuständige «Senior Appointment Committee», von einem ehemaligen rechtsextremen Politiker und vormaligen Brigadegeneral geleitet werden: Effi Eitam.
Eitams militärische Karriere gipfelte in der Bekämpfung der palästinensischen Intifada. Vier seiner Soldaten schlugen damals auf seinen Befehl hin einen palästinensischen Gefangenen zu Tode und wurden – immerhin – verurteilt. Eitam kam mit einer Massregelung davon, wurde aber nicht mehr befördert.
Konsequenterweise zog es ihn in die Politik, wo er als Knessetmitglied und als Minister unter anderem mit rassistischen Äusserungen auffiel, als er Palästinenser als Krebsgeschwür bezeichnete und ihre Vertreibung aus dem Westjordanland forderte – so wie er auch verlangte, den arabischen Israelis das Wahlrecht zu entziehen.
Die geplante Ernennung hat weltweit Proteste ausgelöst, von Überlebenden des Holocaust genauso wie von Wissenschaftlern, Gedenkstätten, Archiven und Jüdischen Museen. Schliesslich ist Yad Vashem auch eine wissenschaftliche Institution und eines der bedeutendsten Archive der Welt. Soll es in Zukunft der Spielball nationalistischer Politik und der ausdrücklichen Unterdrückung von Minderheiten sein? Am Dienstag gingen in Israel Überlebende der Shoah auf die Strasse und protestierten vor den Büros des zuständigen Ministers Ze’ev Elkin. «Wie Eitam über unsere Bürger und Nachbarn spricht, erinnert mich daran, was ich hörte, als ich ein Kind war», sagte eine der greisen und offenbar wach und junggebliebenen Demonstrantinnen, die 92-jährige Eva Morris, der Jerusalem Post.
Im Konflikt um diese Besetzung werden freilich nur jene Widersprüche auf grotesk übersteigerte Weise offenbar, die schon lange ein Problem sind. Und nicht nur in Israel. Gedenkstätten sind und waren schon immer ein Spielball nationalistischer Politik. Ob in Polen, wo in Auschwitz jahrzehntelang das polnische Leiden als «Jesus unter den Völkern» zelebriert wurde und die jüdischen Opfer unter den polnischen vereinnahmt wurden. Oder in Buchenwald, wo das «wahre» Deutschland, befreit von Faschismus und Kapitalismus, sich unter die Völker der Welt einreihte, deren Erlösung im Kommunismus bestand. Ob in der «ZentralenGedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft», wo eine aufgeblasene Kopie einer «Pieta» von Käthe Kollwitz seit 1993 auch an alle jüdischen und anderen Opfer der Massenvernichtung in christlicher Ikonographie und als anonym gefallene Soldaten erinnert. Und damit zugleich zu Opfern eines ebenso anonymen Bösen erklärt, das mit Deutschland nichts zu tun hatte. Oder eben in Yad Vashem, das als Memorial nicht nur einen universellen Anspruch als Weltgedenkstätte erhebt, sondern zugleich alle Opfer des Holocaust nicht nur einem verständlicherweise jüdischen, sondern einem nationalistischen Narrativ einverleibt. Als «Gedenkstätte für die Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust» erklärt Yad Vashem (einem israelischen Gesetz folgend) die Toten nämlich posthum zu israelischen Staatsbürgern. Mein Grossvater würde sich im Grabe umdrehen, wenn er denn je ein Grab bekommen hätte.
Der Weg durch das vor 15 Jahren neu eröffnete Geschichtsmuseum von Yad Vashem endet nicht mit einer architektonischen Geste des Traumas, mit keinem wie auch immer authentischen oder eben inszenierten Ausdruck dessen, womit die Überlebenden seit 1945 zu ihren Rechten kommen müssen. Nein der Weg durch das Museum endet auf einem herrschaftlichen Balkon, einem Blick von oben im Triumph über das Land – und mit einem Seitenblick auf jenen Hügel, auf dem das Dorf Deir Yassin stand, dessen Bewohnerinnen und Bewohner von rechten Milizen unter dem Befehl von Menachem Begin 1948 massakriert wurden. Schon 1988 fasste Yehuda Elkana den inneren Widerspruch jedes Holocaust-Gedenkens in die einprägsame Formel. Es gibt zwei widerstreitende Imperative, die zu gänzlich verschiedenen Konsequenzen führen: «das soll nie wieder geschehen» – oder «das soll UNS nie wieder geschehen».
Zugleich offenbart sich im Konflikt um Eitam aber auch das grundsätzliche Dilemma des israelischen Staates, der zugleich eine Demokratie und ein jüdischer Staat sein will. Omri Boehm hat dies in seinem neuen Buch «Israel – eine Utopie» mit guten Gründen als den Versuch beschrieben, so etwas zu sagen wie: «Ein Quadrat ist quadratisch, insofern es rund ist, und ein Kreis ist rund, insofern er quadratisch ist. Man behauptet nichts weiter als einen Widerspruch, aber mit Pathos, und glaubt daran.»
Auch Yad Vashem soll, als «nationale Gedenkstätte», eine Quadratur des Kreises sein, ein Manifest gegen Rassismus und die Unterdrückung von Minderheiten, und zugleich eine Institution der Herstellung jüdisch-israelischer Identität, die einen wachsenden Teil der israelischen Staatsbürger symbolisch ausschliesst. Effi Eitam wäre tatsächlich der Mann dafür, diesen Widerspruch «aufzulösen». Freilich mit fatalen Konsequenzen.
Denn Yad Vashem ist auch eines der wichtigsten Archive der Welt, eine Forschungsstätte, an der viele Menschen ihr Leben ernsthaft der Erinnerung an das grösste Menschheitsverbrechen gewidmet haben. Ein Verbrechen, an das man nur erinnern kann, wenn man seine universelle und seine jüdische Dimension gleichermassen in den Blick nimmt. Ohne es für nationale politische Zwecke, also für Herrschaft über andere, zu missbrauchen.
Und schliesslich offenbart sich im Streit um Yad Vashem ein wachsender Widerspruch zwischenJuden in der Diaspora und dem israelischen Staat, der Juden auch gegen ihren Willen vereinnahmt, tot oder lebendig, und gegen die arabischen Bürger Israels und gegen die Palästinenser in den besetzten Gebieten ausspielt. Ein Streit, der inzwischen sogar die Besetzung führender Positionen in zionistischen Organisationen weltweit erfasst, Entscheidungen, die die israelische Regierung zur alleinigen Angelegenheit ihrer inneren Koalitions-deals gemacht hat, statt sie wie bisher mit jüdischen Organisationen in der Diaspora abzustimmen.
Wenn es nun auch über die Besetzung des Vorstands von Yad Vashem zu einem Koalitionsstreit zwischen Israels «besten Feinden», Benjamin Netanjahu und Benjamin Gantz, kommt, dann nicht, weil Benny Gantz Probleme damit hat, Yad Vashem als Ort nationalistischer Gehirnwäsche zu missbrauchen, sondern, weil auch innerhalb Israels gerade wieder eine Reihe von Top-Posten zu besetzen sind. Und dabei wollen beide einen guten Schnitt machen. Netanjahu braucht schliesslich in der Justiz Leute in führenden Positionen, die ihm den drohenden Prozess ersparen. Der für Yad Vashem zuständige Minister Zeʼev Elkin, der an EitamsBesetzung eisern festhalten möchte, hat indessen schon den Gipfel der zynischen Verlogenheit erklommen: Er hoffe doch, sagte er der israelischen Tageszeitung Haaretz, dass «Yad Vashem nicht Geisel in einem politischen Spiel wird. Es gibt Dinge, die stehen über der Politik.» Wenn es gelingt, Effi Eitam zu verhindern, wird ein bitterer Beigeschmack bleiben. Und viel zu tun. Das müssen wir wissen.
Foto:
Hanno Loewy
©bruno-kreisky-forum.at
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 27. November 2020
Hanno Loewy ist der Direktor des Jüdischen Museums Hohenems.