Bildschirmfoto 2020 12 04 um 00.37.48Eine Mehrheit stimmt in erster Lesung für die Auflösung der Knesset und der Regierung

Redaktion tachles

Es gibt Neuwahlen in Israel. Nein, es gibt keine Neuwahlen, zumindest noch nicht, auch wenn am gestrigen Mittwoch mit 61 - 54 Stimmen die Abgeordneten der Knesset für eine Auflösung des Parlaments und damit der Regierung gestimmt haben. Allerdings gibt es - so die Gesetzeslage - noch zwei Lesungen, bis diese Entscheidung rechtsgültig wäre.

Benny Gantz, der Führer von Blau-Weiß, hatte ja am Abend zuvor in einer Fernsehansprache erklärt, er werde mit seiner Partei für den Antrag der Opposition zur Auflösung der Knesset und der Regierung, zu der er gehört, stimmen, da man mit Premier Binyamin Netanyahu nicht mehr zusammenarbeiten könne. Dieser würde nur Lügen verbreiten, sich nicht um das Corona-Virus und die wirtschaftlichen Nöte der Bevölkerung kümmern, sondern ausschliesslich um seine Interessen.

Und das heisst: «Bibi» will irgendwie aus seinem Korruptionsprozess herauskommen und Benny Gantz auf keinen Fall im November 2021 Premier werden lassen, wie der Koalitionsvertrag dies vorsieht. Knackpunkt der Auseinandersetzungen innerhalb der Regierung: Netanyahu weigert sich, ein Budget für 2021 zu verabschieden. Denn wenn er dies tut, dann ist die Koalition stabil, kann nur aufgelöst werden mit Benny Gantz als Interimspremier bis zu Neuwahlen. Und ohne Neuwahlen würde Gantz im November das Amt des Premiers ganz regulär übernehmen.

Noch aber ist Zeit. Sollten sich Gantz und Netanyahu doch verständigen und bis zum Stichtag 23. Dezember ein Budget für 2020 und 2021 verabschieden, dann könnte die Regierung weitergehen, es käme nicht zu den vierten Neuwahlen in zwei Jahren und «alles wäre gut». Doch daran glaubt im Augenblick niemand so wirklich. Es sei denn, die orthodoxen Parteien bekämen das Wunder eines Kompromisses zwischen den beiden Rivalen hin. Sie hätten grosses Interesse daran. Denn sollte es Neuwahlen geben, könnte das geplante Gesetz für Ausnahmen der Wehrerfassung für orthodoxe Juden nicht verabschiedet werden.

Foto:
Netanyahu nach der gestrigen Abstimmung
©tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 3. Dezember 2020