Bildschirmfoto 2020 12 05 um 10.23.38Zur Lage: Nazi-Kollaborateure

Yves Kugelmann

Zürich (Weltexpresso) - Was wäre, wenn ein Nazi-Kollaborateur mit Waffenverkäufen zu einem großen Vermögen kommt, mit diesem Geld phantastische Bilder kauft, sich nach dem Krieg in die feine Gesellschaft mit guten Diensten einkauft und dann einen Teil der Sammlung dem Kunstmuseum seiner Stadt als Dauerleihgabe zur Verfügung stellen möchte? Natürlich gäbe es einen Aufschrei der Empörung. Oder doch nicht?

Im Jahre 1941 wiesen Theatermacher eine Zuwendung des Waffenhändlers Georg Bührles in Höhe von zwei Millionen Schweizer Franken an das Zürcher Schauspielhaus zurück. Die Belegschaft, die zu einem großen Teil aus Nazi-Deutschland immigriert war, wollte kein «Blutgeld», wie sie es ausdrückten, annehmen. Geld, dass zu wesentlichen Teilen aus Waffenverkläufen stammte, die jenseits der Grenze jüdische Glaubensgenossinnen und -genossen bedrohten und ermordeten. Im Jahre 2021 eröffnet das Kunsthaus Zürich den Neubau prominent mit jener Sammlung, die mitunter genau mit diesem Geld möglich wurde.

Was ist geschehen, dass der Reflex von 1941 in der Gegenwart nicht mehr greift? Die Stadt Zürich wollte die Bührle-Sammlung sozusagen um jeden moralischen «Preis» geschenkt erhalten. Sie schreckte nicht zurück, eine abhängigen Untersuchungskommission zuzulassen, die von Interessenkonflikten strotzt und wider wissenschaftliche Gepflogenheiten konstituiert ist. Was Vorlage für ein groteskes Dürrenmatt-Stück hätte werden können oder im «Besuch der alten Dame» vielleicht auch geworden ist, führt zu einem Plot, der in der Gegenwart immer und immer wieder anzutreffen ist. Wirtschaftliche Interessen werden über moralische Werte gestellt, Geschichte wird nicht sichtbar gemacht, sondern langsam, langsam umgeschrieben oder gar negiert. Da hilft auch nicht, dass die Bührle-Sammlung flankierend dokumentiert und die Geschichte des Waffenhändlers thematisiert werden soll.

Während in Zeiten der so genannten Cancelation-Unkultur oftmals geradezu eine absurde vorauseilende Verbotsdiktatur herrscht und jegliche offene und wichtige Debatte verhindert wird, wird in Zürich ein Ablasshandel betrieben, der eigentlich nur Resultat einer Geschichtsvergesssenheit und eben einer ungeführten öffentlichen Debatte mit offenem Ausgang sein kann. Die Schweiz hat während und unmittelbar nach dem Krieg gerade auch im Bereich des Kunstmarktes zu den großen Profiteuren gehört. Während andere Staaten mit guten Gründen die belastete Gurlitt-Sammlung abgelehnt haben, fand sie natürlich in der Schweiz ihre neue Heimat. Eine Heimat, in der es bis heute kein Dokumentationszentrum über die Verflechtungen mit dem Nazi-Regime, abgewiesene oder deportierte jüdische Flüchtlinge oder Arbeitslager hierzulande gibt.

Bei der Bührle-Sammlung geht es nicht um die zwielichtige und teils seltsam aufgearbeitete Provenienz der einzelnen Werke. Es geht um die Sammlung, die nun in öffentliche Hände gelangt. Es geht um die Haltung einer Gesellschaft und eines politischen Regimes dazu. Die Sammlung eines Kinderschänders wäre zu Recht abgewiesen worden oder hätte einen Aufschrei der Bevölkerung nach sich gezogen. Die Sammlung eines Nazi-Kollaborateurs nicht. Sie wird nicht mal breit debattiert. Das spricht Bände. Vielleicht aber wird dieser Entscheid in einigen Jahren von nachfolgenden Generationen nicht mehr akzeptiert und die Sammlung dorthin zurückbefördert werden, wo sie hingehört: ins eigene private Bührle-Museum.

Foto:
© tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 3. Dezember 2020
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.