Demo von Corona Leugnern in WittlichGibt es eine Position zwischen Achtsamkeit und Corona-Leugnung?

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Manchmal droht der Pluralismus in die Fallen seiner Gegner zu stürzen.

Stephan Hebel, Kolumnist der „Frankfurter Rundschau“ und keinerlei Rechtslastigkeit verdächtig, warf am 16. Dezember die Frage auf, ob es für Leute, die sich angesichts der Corona-Pandemie einem „angstblinden Gehorsam“ widersetzten wollten, eine Plattform jenseits von „Querdenken“ & Co für ihre Proteste gäbe. In derselben Ausgabe plädierte der Verschwörungskritiker Mirko Bode für Gesprächsbereitschaft gegenüber solchen Demonstrierenden, die wissenschaftliche Fakten anerkennen würden. Werden durch derartige Äußerungen die Überzeugungen von Achtsamen und Solidarischen provokativ infrage gestellt? Oder offenbaren sich darin die Engführungen eines nicht zu Ende gedachten Pluralismus?

Ich leite meine persönliche Erwiderung mit einer Tatsachenbeschreibung ein. Am ersten Tag des neuerlichen Lockdowns, am 16. Dezember, wurden vom RKI 27.728 Neuinfizierte und 952 Tote gemeldet. Am Folgetag waren es 26.923 bzw. 698. Die Zahlen, die am Morgen des 18. Dezembers verbreitet werden, sind weiterhin Indizien für eine katastrophale Entwicklung: 33.777 Infizierte und 813 Tote innerhalb eines Tages. In einigen Kliniken wird angesichts der Überlastung der Intensivpflege laut über eine Triage nachgedacht.

Vor diesem Hintergrund und eingedenk zahlreicher persönlicher Erfahrungen mit Unbelehrbaren sehe ich keinen Grund für eine Diskussion mit Menschen, welche die Corona-Schutzmaßnahmen entweder grundsätzlich oder in ihren entscheidenden Teilen anzweifeln. Denn medizinisch sind die wesentlichen Sachfragen geklärt. Das Virus verbreitet sich dort, wo es ihm möglich ist; das entspricht seiner natürlichen Eigenschaft. Nur durch Abstand, Maske, Hygiene und wirksame Be- sowie Entlüftung von Innenräumen ist man in der Lage, sich vor ihm zu schützen. Seit zehn Monaten versuchen seriöse Wissenschaftler diese Tatsachenlage der Bevölkerung klar zu machen. Selbst die unterschiedliche Akzentuierung von Einzelbewertungen ist dabei nicht als Einspruch misszuverstehen.

Die notwendigen Verhaltensregeln wirken sich auf das soziale Leben aus; denn es geht um die Vermeidung unnötiger Kontakte. Läden, Gaststätten, Kultur- und Sporteinrichtungen sowie Schulen sind zumindest zeitweilig geschlossen. Alten- und Pflegeheime unterliegen einer mehr oder minder konsequenten Isolation.

Doch es melden sich immer wieder Zeitgenossen zu Wort, die mehr die sozialen Folgen einer Pandemie fürchten als diese selbst. Allerdings höre und lese ich aus dieser Ecke keine Vorschläge für andere, der medizinischen Situation angemessene, Lösungen. Vielmehr scheint es sich um Bedenkenträger zu handeln, denen die Bedenken die Perspektive versperren. Vor allem den Blick auf längst bekannte gesellschaftliche Defizite, die in keinem Zusammenhang mit Corona stehen. Hier ist vor allem die Beschneidung der staatlichen Daseinsvorsorge zu Gunsten privatwirtschaftlicher Interessen zu nennen. Dazu gehört auch die seit Jahrzehnten nicht verwirklichte volle Chancengleichheit bei der Bildung. Letztere verursacht Folgen, welche die selbstbestimmte Lebensgestaltung von Millionen Menschen verhindern.

Noch lautstärker melden sich jene Mitbürger zu Wort, die ansonsten die Missachtung von Grundrechten oder entsprechende Versuche eher gelassen hinnehmen (ich denke an das Asylrecht für Flüchtlinge oder die Datensucht der Social-Media-Konzerne). Die sich jedoch auf Demonstrationen über die Beschneidung ihrer verfassungsmäßigen Rechte beklagen. Manche halten dabei sogar Textausgaben des Grundgesetzes hoch, die sie aber kaum gelesen bzw. verstanden haben dürften, wie ich bei (misslungenen) Gesprächsversuchen feststellen musste. Denn die Artikel unseres Grundgesetzes garantieren Rechte bis zu einer Grenze, wo sie Rechte anderer beschneiden würden. Daher ist es unerlässlich, immer sämtliche Absätze zu lesen.

Solche Unterlassungen sind sogar bei Juristen zu beobachten. Stephan Hebel erwähnt den Rechtsanwalt Rolf Gössner, dessen diverse Einlassungen über vermeintliche Grundrechtseinschränkungen ich gelesen habe. Dabei fiel mir auf, dass er die Rechtsentwicklung der letzten 70 Jahre, die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck kommt, gar nicht oder nicht ausreichend zur Kenntnis nimmt. Deswegen empfehle ich Herrn Gössner, die maßgebenden Kommentare zum Grundgesetz (Maunz / Dürig: Grundgesetz, Loseblattwerk in 7 Leinenordnern; v. Mangoldt / Klein / Starck: Kommentar zum Grundgesetz in 3 Bänden) zumindest hinsichtlich der Grundrechte auswendig zu lernen. Denn Anwälte sind als Teil der Rechtspflege dazu verpflichtet, sich stets auf aktuellem Wissensstand zu halten. Und nur diesen sollten sie an ihre Mandanten bzw. an die Öffentlichkeit weitergeben.

Und ich widerspreche dem Verschwörungskritiker Mirko Bode hinsichtlich der Gesprächsfähigkeit des rechten Rands und seiner Mitläufer ausdrücklich. Denn es gibt keine, wirklich keine Rechtfertigung dafür, an so genannten „Querdenker“-Demonstrationen interessenshalber teilzunehmen. Diese plumpen Nichtdenker bieten eben keine Fakten und erst recht keine staatsbürgerlichen Schnupperkurse an. Politische Bildung ist jenseits der allgemeinbildenden Schulen nach wie vor nur in einer Kombination aus Information per Qualitätsmedien plus Dialog mit seriösen meinungsbildenden Institutionen möglich. Wer Corona-Leugner, Verschwörungsideologen, Querfront-Nazis, Volkstümler und Rassisten eskortiert, wertet diese auf und macht deren Sache zu seiner eigenen.

Foto:
Demonstration von Corona-Leugnern in Wittlich
© SWR