... oder: Was will der MDR uns damit sagen?

Klaus Jürgen Schmidt

Nienburg/Weser (Weltexpresso) – Das Fernsehen des Mitteldeutschen Rundfunks begann das Neue Jahr mit „Rätsel, Mythen und Legenden“ und der Frage: „Wie kam Kaiser Rotbart in den Berg?“ Am 1. Januar strahlte Thüringens öffentlich-rechtlicher Sender einen Film von René Römer mit der Moderatorin Janine-Strahl Oesterreich aus. Dazu der MDR-Werbetext:

Der Kyffhäuser – ein deutscher Zauberberg. Ein märchenhaftes Gebirge an der Nahtstelle zwischen Thüringen und Sachsen-Anhalt, gekrönt von einem monumentalen Kaiserdenkmal, das mit seinem Fundament in den Überresten einer einst gewaltigen Reichsburg ankert. Eine uralte Sage geht hier um, weht um den Bergfried, den die Leute seit jeher nur den Barbarossa-Turm nennen: Kaiser Friedrich I., genannt Barbarossa, wäre auf einem Feldzug im Heiligen Land gar nicht gestorben. Kaiser Friedrich I. soll sich selbst in die Barbarossa-Höhle des Kyffhäuser-Gebirges verflucht haben – mitsamt einer Schar Getreuer, mit einer Tochter und Zwergen.

Sein roter Bart sei durch den steinernen Tisch gewachsen und reiche schon zweimal um den Felsblock herum. Erst, wenn der Bart dreimal um den Tisch gewachsen ist und die Raben, die den Kyffhäuser umkreisen, tot vom Himmel fallen, erst dann würde der Kaiser erwachen und empor steigen, um sein Reich zu erneuern. Mit ihm käme eine Ära des Friedens, des Wohlstandes und der Gerechtigkeit, so die Prophezeiung.

Der MDR begann also das neue Jahr mit dem Kyffhäuser-Mythos, hatte aber versäumt, Mitte vergangenen Jahres einen Gast beim „Sommer-Interview“ nach dessen Bezug zu diesem Mythos zu befragen. Interview-Einladung und Interview-Verlauf brachten dem Sender eine Menge Ärger ein.
Moderator Lars Sänger hatte abermals Live-Gespräche mit Thüringer Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitikern zu absolvieren, am 25. August mit Björn Höcke (AFD).

DIE ZEIT dazu am 19. August 2020:

Ihm sei bewusst, dass halb Deutschland zuschauen werde, sagt Boris Lochthofen, Direktor des Landesfunkhauses, in dessen Verantwortung das Gespräch stattfindet. Trotzdem habe das Höcke-Interview vor allem die Funktion, die Thüringer bei der Meinungsbildung zu unterstützen. "Bestimmten Leuten – egal welcher Parteizugehörigkeit – kein Podium geben zu wollen", sagt er, "ist in meinen Augen keine journalistische Kategorie." Die Frage sei nicht, ob man Interviews führe – sondern wie. Dass Sommerinterviews vielleicht etwas altmodisch sind? Lochthofen sieht das nicht so. Gerade diese Gespräche seien eine Chance, Politik einzuordnen in der parlamentsfreien Zeit. Auszuwerten, was bislang im Jahr passiert ist. Es gebe eine Menge Fragen an Höcke, der immerhin die Wahl des FDP-Manns Thomas Kemmerich zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten mit eingefädelt habe.

Dass Höcke auch ein Meister darin ist, kritischen Fragen auszuweichen, sich in Interviews als Unschuld und Opfer zu inszenieren, weiß Lochthofen natürlich. Er ahnt, dass am Ende viele Leute über das Ergebnis diskutieren werden. Aber das sei legitim. "Wir kegeln öffentlich, da wird auch öffentlich gezählt", sagt er. ...
"Unseren Leuten muss keiner vorwerfen, dass sie die Gefahren nicht sehen würden, die von der Polarisierung unserer Zeit ausgeht", sagt Landesfunkhaus-Chef Lochthofen. "Es sind unsere Kolleginnen und Kollegen, die auf Demonstrationen verbal attackiert werden, die tätlich angegriffen werden." Das werde selten reflektiert, wenn es Debatten über die Berichterstattung von MDR und RBB gibt. Zumal es die Öffentlich-Rechtlichen sind, die von der AfD selbst ständig infrage gestellt werden: Nicht wenige AfD-Politiker würden ARD und ZDF am liebsten abschaffen, begegnen Journalisten mit Wut und Aggression.

Und wie ist es zu verstehen, dass der MDR ein halbes Jahr später das Neue Jahr einleitet mit dem Kyffhäuser-Mythos, ohne darauf einzugehen, dass dieser Mythos ein Leitbild seines Live-Interview-Gastes vom vergangenen Sommer ist?

Schon im Januar 2019 hatte DIE ZEIT auf ein 300-Seiten-Buch aufmerksam gemacht:

Wer wissen möchte, wie die AfD Deutschland verändern will, sollte dieses Buch lesen: In "Nie zweimal in denselben Fluss" erhebt Björn Höcke das Volk zur politischen Glaubenswahrheit – und sich selbst zum nationalen Erlöser.

Wer beim MDR keine Zeit hat, DIE ZEIT zu lesen, hat vermutlich auch keine Zeit, bei HEISE im Internet Höcke-Zitate mit Seitenangabe zu lesen:

Höcke möchte "unserem Volkscharakter" (156) zur Regeneration und zum Durchbruch verhelfen. Dieser Begriff bleibt nebulös. Der AfD-Politiker spricht von "inneren Substanzen, aus denen der Genius des Volks seine Kraft schöpft und den es zu erhalten gilt". (291) Bei diesen "inneren Substanzen" handele es sich um Mythen. Ihnen schreibt Höcke eine "belebende und identitätsstiftende Wirkung auf Menschen und Völker" zu. (159)

Besonders am Herzen liegt Höcke der "Kyffhäuser-Mythos der Deutschen: Bekanntlich schläft der alte Kaiser Barbarossa in einer Höhle des Kyffhäuserberges, um eines Tages mit seinen Getreuen zu erwachen, das Reich zu retten und seine Herrlichkeit wiederherzustellen". (159)

Diese Legende passt haargenau zum politischen Projekt von Björn Höcke. Vermutlich stellt er sich vor, er sei der zweite König Barbarossa. Immerhin wohnt er schon mal in der richtigen Gegend. "Die mitteldeutschen Refugien, das sagenumwobene 'Dunkeldeutschland' könnte als Überlebenskern unserer Nation eine elementare Bedeutung bekommen". (183)

Warum aber rangiert die Kyffhäusersage an vorderster Stelle unter den "deutschen Mythen"? Wie viele kennen diese Sage überhaupt? Und wem bedeutet sie heute etwas?

Wir haben es zusammengefasst mit folgendem Gedankengang zu tun: Der deutsche Volkscharakter nähre sich von Mythen. Das Besondere an den Deutschen sei, dass sie einen starken inneren Bezug zu diesen Mythen haben ("romantische Tiefenhellsichtigkeit der Deutschen" (158)). Diese Mythen wirken sich auf die Deutschen dann "stärkend und heilbringend" (158) aus, wenn die Deutschen ihre Identifikation mit ihren Mythen verstärken.

Dafür, dass die Deutschen dies tun, brauche es eine Führung durch eine solche Elite, die die Mythen wertschätzt. Geführt von dieser Elite wachse dem deutschen Volk eine Macht und Herrlichkeit zu, der nichts widerstehen könne. Der Glaube versetze Berge.

Die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, dass wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen. (257f.)

... Angesichts dieser Ansagen stellt der mit Höcke sympathisierende Gesprächspartner Hennig eine von ihm ganz und gar nicht kritisch gemeinte Frage. Ob Höcke denn "eine Lanze für den (italienischen - Verf.) Faschismus brechen" wolle? (141) Höcke antwortet: "Wir haben Preußen als positives Leitbild." (142) Hennig hakt nach: "Man kann den Faschismus ja auch als den Versuch einer 'Preußifizierung' Italiens verstehen." (142)

Der Geschichtslehrer Höcke findet das einen "interessanten Gedanken" (142) und fügt hinzu: "Das 'unbequeme Leben', das Mussolini seinen Landsleuten abforderte, erinnert zumindest ein bisschen an die kratzige, aber wärmende preußische Jacke, von der Bismarck sprach". (142) Höcke weiß vom italienischen Faschismus nur Gutes zu berichten ("gute Straßen und pünktliche Züge") (142)
 








Benito Mussolini auf einer Aufnahme der Schweizer Polizei, 1903, arretiert wegen "anarchistischer Agitation"



Und hier die aktualisierte Version des Nazi-Codes: "88" >> "89"
 
Treffen sich zwei Ärzte, sagt der eine: "Heil Höcke!" Sagt der andere: "Heil du Ihn!"

Artikel für spätere Deutsche aufheben!
Sonst können wieder die meisten sagen:
„Davon haben wir nichts gewusst!“

Fotos:
© MDR / Heise / Wikipedia

Info:
https://www.mdr.de/tv/programm/sendung866030.html

https://www.zeit.de/2020/35/bjoern-hoecke-mdr-interview-umgang-afd-politiker/seite-3

https://www.heise.de/tp/features/Bjoern-Hoecke-droht-mit-Dunkeldeutschland-4186178.html?seite=all

https://de.wikipedia.org/wiki/Benito_Mussolini