Nachlässige Nachrichten-Sprache

Klaus Jürgen Schmidt

Nienburg/Weser (Weltexpresso) – Grundsätzlich sollen Texte für Nachrichten-Sendungen präzise, kurz und verständlich formuliert sein. Vor allem aber: Sie müssen ideologiefrei sein!
 


Was wollten Nachrichten-Redakteure von ARD-Tagesschau und von ZDF-heute mitteilen?
Bei beiden Sendern war von einem „Verstoß“ gegen ein Abkommen die Rede.



Gemeint war der Atompakt von 2015, der vorsah, dass der Iran Uran bis maximal 3,67 Prozent anreichern darf. Ziel der Vereinbarung war es, zu verhindern, dass das Land an Kernwaffen gelangt. Jetzt – so mussten Zuschauer von ARD- und ZDF-Nachrichten es verstehen – hat der Iran das Abkommen gebrochen.

Hat er das?


US-Präsident Donald Trump hatte das Abkommen im Mai 2018 einseitig aufgekündigt und setzte neue Sanktionen gegen das Regime in Teheran in Kraft. Der Iran ignorierte ab 2019 daraufhin seine ursprünglichen Verpflichtungen und reicherte Uran auf bislang 4,5 Prozent an. Waffenfähiges Uran muss bis auf 90 Prozent angereichert sein.
Kann Iran gegen ein Abkommen verstoßen, das von einem der wichtigsten Pakt-Partner bereits aufgekündigt worden ist, und das die übrigen Partner nicht zu retten vermochten?

Anders als bei Zeitungen kann ein Hörer (auch der Hörer von Fernsehnachrichten) einen Satz, den er nicht verstanden hat, nicht noch einmal lesen. Daraus ergibt sich für gesprochene und gehörte Nachrichten die Anforderung, dass ihre Sätze eingängig sind und nicht durch seltsame Wortwahl oder kuriose Konstruktionen zum Grübeln oder Schmunzeln und durch Schachtelsätze oder Fremdwörter zum Weghören verführen. Der Hörer soll, wenn er Nachrichten hört, nicht über Sprache oder Wortwahl nachdenken, sondern unmittelbar verstehen, was der Redakteur mitteilen wollte.

Haben ARD und ZDF-Nachrichten-Hörer verstehen können, dass US-Präsident Donald Trump und nicht Teheran den Iran-Vertrag gebrochen hat, u.a. weil der eine Hinterlassenschaft Barack Obamas war? Zusammen mit Partnern in Europa hatte dieser darauf gesetzt, besser ein mangelhaftes Abkommen zu haben als gar keines.

War es redaktionelle Nachlässigkeit? Oder soll die verwendete Nachrichten-Sprache bei einer weiteren Eskalation des Konflikts im Nahen Osten das Echo haben: DER IRAN IST SCHULD?

Dann müssten die Verantwortlichen bei ARD und ZDF daran erinnert werden, was am am 30. August 2018 die Nachrichten-Agentur REUTERS zu berichten wusste:

VIENNA – Iran has remained within the main restrictions on its nuclear activities imposed by a 2015 deal with major powers, a confidential report by the U.N. atomic watchdog indicated on Thursday. In its second quarterly report since President Donald Trump announced in May that the United States would quit the accord and reimpose sanctions, the International Atomic Energy Agency said Iran had stayed within the caps on uranium enrichment levels, enriched uranium stocks and other items.

30.08.2018: Die Nachrichten-Agentur Reuters berichtet von der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien, der Iran habe seine Verpflichtungen aus dem Atom-Abkommen von 2015 eingehalten.
Reuters zitiert aus einem vertraulichen Bericht der Atomkontrolleure der Vereinten Nationen.

In ihrem zweiten Vierteljahresbericht seit der Ankündigung von U.S.-Präsident Trump im Mai, das Abkommen aufkündigen und erneut Sanktionen verhängen zu wollen, bestätigen die Atomwächter der UN, der Iran habe die vereibarten Obergrenzen für die Urananreicherung, für bereits angereicherte Uran-Vorräte sowie für anderes dafür benötigtes Material eingehalten.


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Fotos:
© ARD / ZDF / Ting Shen/XinHua / Reuters / KJS

Info:
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/iran-urananreicherung-atomwaffen-100.html

https://www.tagesschau.de/ausland/iran-uran-anreicherung-105.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Nachrichtensprache

https://www.reuters.com/article/us-iran-nuclear-idUSKCN1LF1KR

https://www.kellnerverlag.de/wie-ich-lernte-die-welt-im-radio-zu-erklaren.html