Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Soll man Verständnis aufbringen für Leute, die eine Pandemie leugnen, weil diese mit ihren je eigenen abstrusen Wahrnehmungs- und Erklärungsmustern kollidiert?
Soll man gar mit ihnen reden, diskutieren? Ihr Leugnen der Gefahren als legitime Äußerung innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses anerkennen, anstatt ihnen sowohl die ethische als auch die rationale Kompetenz abzusprechen? Oder ihnen den Respekt zollen, den sie anderen, vor allem den von Covid-19 Betroffenen, versagen?
In der „Frankfurter Rundschau“ sprach sich vor wenigen Tagen ein Psychotherapeut dafür aus, Querdenkern eine andere Angst zuzubilligen, nämlich die vor dem Verlust dessen, was bislang ihr alltägliches Leben ausmache. Er differenzierte dabei nicht zwischen realen und irrationalen Ängsten, obwohl gerade dieser Unterschied der wesentliche ist. Denn irrationale Angst, die sich allzu häufig mit gesellschaftlicher Dummheit vereint, ist eine typische Quelle für Verschwörungsideologien, die von psychischer und physischer Gewalt begleitet werden.
Meine persönlichen Erfahrungen mit „Querdenkern“ und anderen Corona-Leugnern ähneln denen mit Rechtsradikalen aller Couleur und religiösen Fundamentalisten sämtlicher Konfessionen. Sie alle vermitteln mir den Eindruck, dass sie ausschließlich das als faktisch, also als wirklich, anerkennen, was ihren eigenen Vorurteilen entspricht. Um ihre Sicht auf die Dinge als die einzig mögliche darzustellen und durchzusetzen, verdrehen sie die Faktenlage.
Beispielsweise dadurch, dass sie das Grundgesetz instrumentalisieren. Letzteres sehen sie durch die Corona-Schutzmaßnahmen bedroht. Bezeichnenderweise beschränken sie ihre Befürchtungen auf die Virus-Präventionen, die sich bei exakter Lesart der Grundrechte und der Rechtsprechung im verfassungsgemäßen Rahmen bewegen.
So gar nicht verfassungsgemäß hingegen sind die Versuche Konservativer und Rechter, das Asylrecht auszuhöhlen. Nach meiner Kenntnis hat noch kein „Querdenker“ vernehmbar gegen entsprechende Begehrlichkeiten demonstriert. Vielmehr erweckt diese Gruppe den Anschein, dass sie Fremde, insbesondere politisch Verfolgte, als Viren wahrnimmt, welche die „völkische“ Gesundheit bedrohen. Und vollzieht dadurch den Schulterschluss mit AfD, Querfront, Pegida und Identitärer Bewegung.
Deswegen spreche ich den so genannten „Querdenkern“ ein sozialadäquates Verhalten, das ja durchaus kritisch sein darf, ab. Denken ist bekanntlich der Gebrauch des Verstands, wo neben anlagebedingten Begabungen anerzogene bzw. selbst erworbene Kenntnisse und ethische Maßstäbe zusammentreffen und unser Tun und Lassen bestimmen. Hierzu zählt nicht zuletzt Empathie. Genau diese, nämlich Mitgefühl, Anteilnahme, gar Barmherzigkeit, vermag ich bei diesen Außenseitern nicht zu erkennen. Die Erkrankten, Schwererkrankten und Toten lassen sie buchstäblich kalt. Sie reagieren lediglich emotional und steigern sich in Wut, weil sie ihre Wahrnehmungen nicht in ihr Raster aus diversen Abneigungen einordnen können. Ihnen gar eine besondere Wahrnehmungsfähigkeit zu unterstellen, etwa die gefühlsmäßige Ablehnung autoritärer Strukturen, halte ich für eine gravierende Fehleinschätzung.
Eine aufgeklärte Gesellschaft kann Nörgler, Querulanten und Beckmesser nur so lange ertragen, wie die Grundfesten der Demokratie und die Notwendigkeit rationaler Kritik nicht wirklich infrage gestellt wird. Hier scheint mir die Grenze der Belastbarkeit erreicht zu sein.
Es hilft dem demokratischen Diskurs nicht weiter, wenn man diesen auf die reine Toleranz gegenüber allem und jedem verengt. In diesem Zusammenhang wird zwar vielfach der Voltaire zugeschriebene Ausspruch angeführt „Ich missbillige, was du sagst, aber würde bis auf den Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen, der tatsächlich jedoch von seiner Biografin Evelyn Beatrice Hall stammt. Doch selbst für den Fall, dass dieses Zitat dem Denken des großen Aufklärers entspräche, würde seine Konkretion häufig ins Abseits führen. Etwa in dieser Fassung: „Adolf Hitler, ich missbillige, was Sie sagen...“.
Auf ähnliche Irrwege hat der amerikanische Philosoph und Kant-Forscher Robert Paul Wolff hingewiesen, als er Toleranz einerseits als politische Tugend bezeichnete, sie aber andererseits als wertlos für den Streit in etablierten Demokratien erachtete, weil sie klare Positionen verhindere und den kleinsten gemeinsamen Nenner favorisiere.
Foto:
Plakate auf einer Querdenker-Demonstration
© BR
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