Bildschirmfoto 2021 01 06 um 18.49.42Bei den Stichwahlen am Dienstag konnten Jon Ossoff und Raphael Warnock die Konservativen David Perdue und Kelly Loeffler knapp, aber deutlich schlagen

Andreas Mink

New York (Weltexpresso) - Offiziell sind die Zahlen im Rennen Jon Ossoff gegen David Purdue für den US-Senat in Georgia noch nicht bestätigt. Doch um 11.53 Ortszeit hatte der bekannte Wahl-Analytiker Dave Wasserman seinen Markenzeichen-Satz getweetet: «I've seen enough. Jon Ossoff (D) defeats Sen. David Perdue (R) in GA's other Senate runoff» Link. Zwei Stunden zuvor hatte Wasserman dem Demokraten Raphael Warnock den Sieg über die Republikanerin Kelly Loeffler zugesprochen. Gegen 9 Uhr in der früh fehlt die offizielle Entscheidung für Ossoff/Perdue noch.

Aber der 33-jährige Demokrat jüdischer Herkunft liegt nach Auszählung von 98 Prozent der Stimmen mit 16.000 Voten vor Perdue und damit um 4000 Stimmen besser, als Joe Biden vor Donald Trump am 3. November. Warnock konnte Loeffler mit 54.000 Stimmen distanzieren. Die noch ausstehenden Wahlzettel stammen aus überwiegend demokratischen Bezirken und dürften den Vorsprung von Ossoff und Warnock noch leicht ausbauen. 4,3 Millionen Bürger haben teilgenommen und mit diesem Rekord für eine Stichwahl deren historische Bedeutung betont. Beide Parteien haben mindestens 830 Millionen Dollar in die Wahlschlacht investiert. Dies ist ein Rekord für Senatswahlen in den USA insgesamt.

Besonders hoch war die Wahlbeteiligung in Regionen mit starken schwarzen Bevölkerungsanteilem. Und damit ist dieser für die Demokraten in Washington essentielle Erfolg auch schon zu einem Gutteil erklärt: Der Partei ist es dank der seit 2010 laufenden Organisationsarbeit ihrer afroamerikanischen ex-Fraktionschefin im Repräsentantenhaus von Georgia, Stacey Abrams, gelungen, schwarze Wähler in historisch starkem Ausmass zu mobilisieren. So kann Warnock nun als zehnter Schwarzer überhaupt und zweiter aus den ehemaligen Sklavenstaaten des Südens in den Senat einziehen.

Abrams hatte Warnock für das Rennen rekrutiert. Er ist als Pastor der traditionsreichen Ebenezer Baptist Church ein Nachfolger von Martin Luther King, Jr. Die Republikaner attackierten ihn unentwegt als Radikale, Kommunisten und Feind Israels. Dies trotz langer, freundschaftlicher Kooperation mit jüdischen Exponenten wie dem Rabbiner Peter Berg an der grössten Reform-Gemeinde des Südens in Atlanta Link.

Aber genau dies dürften Warnock und Abrams erwartet und daraus die Hoffnung auf eine starke Gegenreaktion schwarzer Wähler gezogen haben, die in Georgia 30 Prozent der Bevölkerung stellen (mehr als in jedem anderen Gliedstaat ausser Louisiana und Mississippi). Am Wahlabend erklärte ein demokratischer Insider denn auch: «They attacked the black church» – und damit den von Schwarzen nach der Befreiung aus der Sklaverei selbst geschaffenen Rückhalt und Grundlage ihrer Existenz als Gemeinschaft Link. Die genauen Zahlen liegen noch nicht vor, aber Experten wie Wasserman gehen von einer «phänomenal starken, schwarzen Wahlbeteiligung» aus. Zweitens aber hat Warnock mit Anzeigen, die ihn in gepflegter Kleidung beim Spaziergang mit seinem Beagle zeigen, geschickt rassistische Klischees unterlaufen Link.

Ossoffs Sieg fiel dagegen knapper aus, da er in dem bereits 2014 in den Senat gewählten Perdue einen etablierten Republikaner zum Gegner hatte. Loeffler wurde erst 2019 von Gouverneur Brian Kemp als Nachfolgerin für den aus Gesundheitsgründen vorzeitig abgetretenen Johnny Isakson eingesetzt.

Damit wird nun der Handlungsspielraum von Joe Biden als Präsident mit zwar knappen Mehrheiten in beiden Kongresskammern deutlich grösser. Die Ära von Mitch McConnell als Mehrheitsführer ist vorüber. Auch Donald Trump steht nach einem bizarren, von Lügen über einen ihm angeblich geraubten Wahlsieg gespickten Auftritt in Georgia Montagnacht als Verlierer da. Bedingungslose Ergebenheit gegenüber diesem Egomanen dürfte damit keine sichere Erfolgsformel mehr für republikanische Kandidaten sein. Fest steht auch, dass die Demokraten in der Schuld schwarzer Wähler stehen. Was dies konkret bedeutet, ist freilich schwer abzusehen.

Und mit der Niederlange in Georgia dürften auch die von Trump für heute Mittwoch geplanten, verzweifelten Manöver für eine Aushebelung des Wahlsieges von Biden im Kongress und durch einen Massenaufmarsch in Washington stark an Fahrt verlieren. Aber in der Wahlnacht blieb er sich treu: Als die Trends gegen 22.30 immer deutlicher auf einen Sieg der Demokraten durch Stimmen aus ihrer Hochburg DeKalb County in Atlanta hinwiesen, erklärte Trump auf Twitter, nun werde wohl bald  eine «dicke Ladung» gefälschter Wahlzettel lanciert werden Link.

Foto:
Wahlarbeiter bei der Arbeit am gestrigen Dienstag
© tachles

Info:

Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6.1. 2021