Und weitere Überraschungen und Ärgernisse eines Wochenendes
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Armin Laschet wurde zum Vorsitzenden der CDU gewählt. Das könnte vor allem Auswirkungen auf die SPD haben.
Denn für die Sozialdemokraten wäre die Rückkehr von Friedrich Merz zu ihrem besten Argument im anstehenden Bundestagswahlkampf geworden. Der machthungrige Mann aus dem Sauerland, der den Wirtschaftsflügel der CDU und den Karrieristen-Nachwuchs der Jungen Union beflügelt, eignet sich wie kaum ein anderer zum Buhmann. Vor ihm und seiner neoliberalen Clique muss man Kinder, Frauen, Alte, Kranke, sozial Schwache sowie die kritische Intelligenz schützen. Ob als Vorsitzender oder als Kanzlerkandidat – er wäre geeignet gewesen, Gerhard Schröder aus dem Bewusstsein potentieller SPD-Wähler zu tilgen und das von diesem heraufbeschworene politische Stalingrad, die Agendapolitik, zu verdrängen. Doch daraus scheint nichts zu werden. Selbst das blamable Begehren des Abgehängten, als Ausgleich für die Niederlage ein Ministeramt im Kabinett Merkel zu reklamieren, stärkt die neue CDU-Führung. Denn das unbotmäßige Ersuchen wurde postwendend abgelehnt. Folglich muss sich die SPD an Sachfragen abarbeiten. Was ihr mutmaßlich nur schwer gelingen wird.
Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Forderung von Außenminister Heiko Maas, allen Corona-Geimpften den Zugang zu Gaststätten, Kinos und Veranstaltungen vor allen anderen zu ermöglichen. Und zwar sobald diese wieder öffnen bzw. stattfinden können; nicht erst im Sommer oder Herbst, wenn sämtliche Impfwilligen immunisiert sind. Im März oder April würde das betagten Senioren das Erstürmen der Kneipenszene ermöglichen – die Jüngeren stehen dann noch unter Quarantäne. Oder einen Besuch im Zoo (was ein nachvollziehbarer Wunsch sein könnte, zudem freuen sich die Tiere über jeden), vielleicht eine Kaffeefahrt zu hinlänglich bekannten Halsabschneidern (wovon in jedem Fall abzuraten wäre). Aber diese und andere Abenteuerausflüge müssten vielfach ohne Begleitung von Pflegern stattfinden. Weil diese die Impfung angeblich ablehnen. Möglicherweise sollen die Unwilligen durch solche Ankündigungen in Zugzwang gesetzt werden. Aber diesem Kalkül stünde der nur begrenzt verfügbare Impfstoff entgegen. Wie immer man es wenden mag: Dieser Vorschlag kann nur im Zustand von Arbeitsunterforderung entstanden sein. Und ich frage mich, ob der Außenminister seine eigentlichen Hausaufgaben wirklich so erfolgreich erledigt hat, dass er sich die Zeit mit unkreativen Phantasien vertreiben kann.
Irritiert zeigt sich der aufgeklärte Teil der Öffentlichkeit durch Bemerkungen von Margot Käßmann, ehemals hannoversche Landesbischöfin und Vorsitzende des Rats der EKD. Die Theologin, die aus dem Ruhestand die christliche Welt in rascher Folge mit Ratgebern beglückt („Nur Mut“, „Schöne Aussichten auf die besten Jahre“, „Das Zeitliche segnen“), äußerte sich kritisch zu den aktuellen Corona-Schutzmaßnahmen. Sie kritisierte die bereits bestehenden Corona-Regeln zur Einschränkung von Kontakten und warnte in einem Beitrag für "Bild am Sonntag" (!) vor weiteren Verschärfungen. Dass sich nur Menschen aus zwei Haushalten treffen sollten, sei noch nachvollziehbar. "Aber die neue Ein-Personen-Regel ist lebensfremder Unsinn. Nach einer Woche ist klar: Das funktioniert nicht." Merkel und die Ministerpräsidenten hätten offenbar keinerlei Vorstellung vom Alltag, schrieb Käßmann. "Kitas und Schulen dicht, niemanden mehr treffen, aber weiterarbeiten - das funktioniert im wirklichen Leben nicht." Die Familien seien inzwischen am Limit. Bei Entscheidungen über Corona-Maßnahmen müssten ab sofort genauso viele Familienexperten mit am Tisch sitzen wie Virologen, forderte die medienaffine Ex-Pfarrerin. "Sonst werden Maßnahmen verabschiedet, die Familien endgültig fix und fertig machen."
Strafpredigten in BILD haben - theologisch betrachtet - den Beigeschmack der Sünde, ja deren Rechtfertigung vor dem Verstand und der Moral. Denn sie ist gekennzeichnet von der Geringschätzung des Lebens. Angesichts der Bedrohung durch Corona genießt dieses Legen die höchste Priorität. Je eher diese Pandemie überwunden wird, umso besser – nicht zuletzt besser für Familien. Die Verfasser des Alten Testaments haben ihren Gott viele richtige Worte sagen lassen. Beispielsweise über die Wahlmöglichkeit des Menschen zwischen Leben und Tod. Gott plädierte für das Leben. Daran sollte sich Margot Käßmann, eine Nachfolgerin Martin Luthers, erinnern.
Armin Laschets Wahl inspirierte viele im politischen Establishment. Christian Lindner von der FDP sagte das, was er immer sagt: Er warnte vor einer Regulierung der Wirtschaft und vor Steuererhöhungen sowie vor Bürokratie und brachte sein permanentes Interesse an Regierungsämtern zur Sprache.
Der noch amtierende Parteichef der Linken, Bernd Riexinger, warf Laschet vor, keinen Kompass für die anstehenden Weichenstellungen in Deutschland zu haben. Er wolle sein konservatives Gesellschaftsmodell retten und folglich die Politik von gestern fortsetzen. Das könnte eine zutreffende Einschätzung sein, klingt aber dennoch ziemlich oberflächlich und sollte unbedingt konkretisiert werden. Die Co-Vorsitzende Katja Kipping assistierte ihrem Kollegen, indem sie Mutmaßungen über Laschets künftige Kompromissbereitschaft gegenüber dem rechten Flügel der Partei äußerte. Ja, vielleicht. Doch warum macht sich die Linke so viele Gedanken über die CDU? Es ist an der Zeit, dass sie ihre eigenen Zukunftsentwürfe deutlich macht – nämlich als Kontrastprogramm zu den Vorstellungen von CDU, FDP, Grünen und SPD. Der Parteitag der CDU wäre dazu eine sehr gute Gelegenheit gewesen. Aber diese Chance wurde vertan.
Auch die Reaktion der Grünen bestand im Wesentlichen aus Schwafeldioxid. Vor allem aber aus der Befürchtung, dass Laschets CDU die alte Liebe zur FDP aufwärmen könnte. Und das könnte bedeuten, dass Annalena Baerbock und Robert Habeck weiterhin Abgeordnete bleiben würden, sogar solche der Opposition. Kaschiert wurde diese Angst durch die pflichtgemäßen Hinweise auf Klimaschutz und ökologische Modernisierung der Wirtschaft. Aber man muss schon ziemlich arglos sein, um das nicht zu durchschauen.
Ein Wochenende liegt hinter uns, in dem Corona weiter wütete, einschließlich der vielen falschen Antworten auf die Pandemie, und in dem von Politik wenig zu spüren war.
Foto:
Margot Käßmann predigt – diesmal nicht in BILD
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