kinswe.wdr.deFür einen wirklich neuen Anfang nach der  Amtseinführung Joe Bidens in den USA

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) – Wenn sich die Weihrauchwolken um den neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika erst einmal verzogen haben werden und der Alltag wieder  Einzug gehalten hat in den Beziehungen zur Führungsmacht des freien Westens, werden die politischen Wortführer rund um den Globus ernüchtert feststellen, dass sich nach der vermeintlichen  Zeitenwende nichts grundsätzlich geändert hat -  bis auf  die Unberechenbarkeit der amerikanischen Politik.

Sie wird unter Joe Biden – dem Himmel sei dank - einer neuen Rationalität Platz machen, ohne die verantwortungsbewusste Politik nicht betrieben werden kann. Dazu gehört die Rückkehr der USA zum Pariser Klimaabkommen und die Neuordnung des Verhältnisses zur Weltgesundheitsorganisation -  eine vom Schreibtisch aus vergleichsweise leicht zu lösende symbolträchtige Aufgabe ohne jeglichen Zwang zur Absprache mit den Verbündeten. Bei der Ordnung des Verhältnisses zu den Weltmächten China und Russland sieht die Sache schon anders aus. Da geht es nicht nur um amerikanische Interessen, sondern auch um die Europas und einiger einflussreicher Staaten im Fernen Osten.

Innenpolitisch kann Biden nichts par ordre du mufti entscheiden. Wenn es zum Beispiel – von Corona mal abgesehen - um das entscheidende Problem der Arbeitslosigkeit geht, braucht er zur Bewilligung der dafür notwendigen Mittel nicht nur die politische Rückendeckung beider Kammern des Parlaments, sondern auch die Bereitschaft der Unternehmer, ihn dabei zu unterstützen. Einer der wirklich großen Liberalen der deutschen Nachkriegszeit, Ralf Dahrendort, hat die damit zusammenhängenden Probleme auf einen überall gültigen einfachen Nenner gebracht: „Der Polizeistaat kommt über die Arbeitslosigkeit“, sagte er im Gespräch mit der „Frankfurter Rundschau“ vom 1. April 1996.

Seither ist viel Wasser den Main und den Potomac hinab geflossen. Während der Amtszeit von Donald Trump hat sich gezeigt, wie schnell soziale Missstände als Folge einer Massenarbeitslosigkeit politisch instrumentalisiert werden können, zumal, wenn ein Teil der Medien dabei hilft, die Wahrheit aus den Wohnzimmern deklassierter Menschen zu vertreiben.  Trump habe sich „in faschistischer Manier“ als alleiniger Inhaber der Wahrheit gegeben, bemerkte die „Süddeutsche Zeitung“ am Tag nach der Amtseinführung von Präsident Biden und der Vizepräsidentin Kamala Harris.

Die Anspielung auf die Methoden der Nazis bei ihrer Machtübernahme öffnet noch einmal den Blick in den Abgrund, an den Trump die Vereinigten Staaten und mit ihnen die halbe Welt geführt hat. Der erleichterte Ruf „Die Demokratie hat gesiegt“,  ändert nichts an den Gefahren, denen die USA weiterhin ausgesetzt sind. Hass und Hetze haben zu viele Herzen vergiftet, als dass von heute auf morgen Frieden einziehen könnte. Was über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus alle beunruhigen sollte, ist das Fehlen einer organisierten Gegenmacht in Gestalt mächtiger Gewerkschaften. Sie könnten, wenn sie denn wollten,  als Katalysator die geschwächten Abwehrkräfte des Volkes zur Stärkung der inneren Sicherheit und zur Verteidigung der Demokratie mobilisieren. Das nötige Bewusstsein dafür fehlt nicht bloß in den USA. Von außen her drohen der Demokratie aus militärischer Sicht keine ernst zu nehmenden Gefahren. Alle gegenteiligen Behauptungen haben sich als Lügen erwiesen. Die Zeiten, in denen eine sich christlich-sozial nennende Partei den bayerischen Bauern einreden konnte, wenn sie bei Wahlen ihr Kreuz nicht bei der CSU machten, kämen die Russen und nähmen ihnen den Hof weg, sind vorbei.

Nicht die Bereitschaft zur Erhöhung der Militärausgaben, die Annegrat Kramp-Karrenbauer als Morgengabe für Joe Biden gleich wieder beflissen eingefordert hat, ist der Prüfstein für die deutsch-amerikanische Freundschaft, sondern die Bereitschaft zu einem auf Vertrauen basierenden Neuanfang in den internationalen Beziehungen. Die Forderung der Verteidigungsministerin, ungeachtet der enger gewordenen Spielräume wegen der Corona-Pandemie nicht weniger, sondern mehr in unsere Sicherheit zu investieren, klingt angesichts der täglichen Horrorzahlen über die Ausbreitung der Seuche blasphemisch. Das neue Kapitel deutsch-amerikanischer Freundschaft, auf das sich Bundeskanzlerin Merkel nach den Worten des Regierungssprechers Steffen Seibert freut, verlangt nach neuen, schöneren Tönen.

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