Maly Malyssek
Wiesbaden (Weltexpresso) -
Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher,
dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.
(Blaise Pasqual)
Zweifelsohne sind die gesellschaftlichen Kräfte auf die Überwindung des Corona-Virus zu fokussieren und den Verlust und die schweren Erkrankungen weiterer vieler Menschen zu verhindern. Ende Januar 2021 sind mehr als 55.000 Menschen mit und an Corona in Deutschland gestorben. Doch hinter der Pandemie lauern all die sozialpolitischen und wirtschaftlichen Versäumnisse und Fehlentwicklungen der letzten auf Wachstum, Profit, Ausbeutung und Ungerechtigkeit gerichteten Dekaden. Bekannterweise wirkt Corona wie ein Brennglas auf eine korrupte Welt, die es so weit gebracht, dass nur ein kleiner Bruchteil der Menschen über ein Vielfaches mehr vom Reichtum besitzen und profitieren als der ganze Rest der Erdbevölkerung.
Die Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus (Brand/Wissen 2017) sind an die Grenzen des Erträglichen und gesellschaftlich Verkraftbaren gekommen.Unser westlicher Lebensstil muss auf den Prüfstand. Wie soll der Mensch, die Weltgesellschaft in Zukunft mit Katastrophen, Klimawandel, Pandemien oder Kriegen umgehen?
Der Philosoph Slavoj Zizek hat in einem Interview (FR, 5. Dezember 2020) mit seiner klaren These: „Die Pandemie ist nur eine Probe für die wirkliche Krise“ die Debatte zum Nachdenken auf einen Nenner gebracht, der keinen Platz macht für Illusionen, die eine Rückkehr zur „Normalität“ versprechen oder gar die Klimakatastrophe zu verhindern (Franzen 2020). Es ist kurz vor Zwölf oder vielleicht schon später. Weder ist in der Pandemie nicht die Zeit irgendwelche Schlupflöcher zu suchen, um das alte Leben wieder sturmreif zu machen und sich aus den Maßnahmen zur Verhinderung weiterer nicht mehr kontrollierbarer Infektionen zu stehlen, wie es etwa in Zeiten des Lock-down oder Shut-down immer wieder von einem immer noch nicht unwesentlichen Teil der Bevölkerung versucht wird, etwa durch die „Querdenker“-Bewegung und die in sozialen Netzwerken sich tummelnden Verschwörungstheoretiker und Sekten, die es schon so weit gebracht haben, zu behaupten, wir würden in Deutschland in einer Diktatur leben, polizeilicher Willkür ausgeliefert oder von fremden Mächten gesteuert. Diese sind nicht von dieser Welt! Keine Frage, wir brauchen einen starken Staat, aber keinen autoritären!
Die Krisen, die uns zunächst noch erwarten, sind zum einen damit verbunden, wie wir überhaupt mit dem Leben auch nach Corona zurechtkommen, mit den Erschütterungen, Verlusten und sehr persönlichen Krisen. Wie widerstandsfähig sind wir wirklich? Folgt die Zeit der großen Verdrängung? Geht die Party weiter? Wer ist auf der Strecke geblieben?
Das menschliche Verhalten in und nach der Krise bleibt das Grundproblem.
Es gibt keine Politik dieser Welt, die dieses Dilemma beseitigen kann, allenfalls Schlimmeres verhüten. Selbst in den demokratischen Grundlinien stabil bleiben.
Neben den Pandemien, die uns in Varianten erhalten bleiben werden, befindet sich unsere Welt in einem instabilen Zustand: Die Umwelt- und Naturkatastrophen breiten sich weiter aus, der Klimawandel dürfte die schwierigste Herausforderung der nächsten Epoche sein. Kriege, Hunger, Flucht haben eine schier endlose Dimension erreicht. Bis in die westlichen Staaten hinein, geraten die Demokratien in immer größere Krisen. Nervöse Gesellschaften erschüttern durch Hass, Aggression, Wut und Gewalt die Grundfeste des friedlichen Zusammenlebens bis hin zur Überforderung von staatlichen Instanzen. Der Rechtsextremismus ist mitten unter uns. Mit alledem wachsen in fast allen Regionen der Welt die Armut vieler und der Reichtum weniger und damit die sozialen Ungleichgewichte, die wiederum ein stetiger Herd für weitere Eskalationen und Ausbeutungen bedeuten.
Die Demokratie in der Krise
Die Corona-Pandemie ist ein Test der Demokratie. Es ist ein Test der Fähigkeiten der Regierungen im Krisenmanagement, ein Test der Gesellschaft, inwieweit sie vernünftig und selbstdiszipliniert sein kann. Und auch ob sie die Fähigkeit hat, aus den Erfahrungen des Wandels und der Fehler und Versäumnisse zu lernen. Die Fehler im Sommer 2020 und die Vorbereitungen auf die unvermeidliche zweite Welle oder das Verhalten der Bevölkerung seit der Jahreswende, sprechen nicht gerade für eine Lernfähigkeit.
Der Frankfurter Philosoph Rainer Forst schreibt dazu in seinem Essay „Demokratie in der Krise“ (FR, 2./3. Januar 2021): „Die Pandemie stellt (noch) keine Krise der Demokratie selbst dar, sondern sie ist eine gesellschaftliche Krise, die für die Demokratie eine besondere Herausforderung darstellt. [...] Eine Demokratie reagiert anders als ein autoritärer Staat, nämlich im Modus öffentlicher Rechtfertigung. Daran muss man festhalten.“
FORTSETZUNG FOLGT
Fotos:
Titel ©bundesgesundheitsministerium.de
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Info:
Literatur
Albert Camus: Die Pest. Reinbek bei Hamburg , 76. Aufl. November 2009
Jonathan Franzen: Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen, Essay, Reinbek bei Hamburg 2019
Ulrich Brand/Markus Wissen: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus, München 2017
Karina Reiss/Sucharit Bhakdi: Corona. Fehlalarm? Berlin 2020