Januar 1979 in ButjadingenUnd von anderen Ärgernissen der Woche

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Norden und die Mitte Deutschlands sollen an diesem Wochenende von Schnee und Eis bedeckt sein.

Möglicherweise sieht es dort so aus wie auf dem Foto, das im Januar 1979 unweit der Küste Butjadingens entstand. Allerding: Schnee und Eis werden vergehen. Vermutlich werden Überschwemmungen folgen. Das Klima schickt uns die Empfangsbestätigungen für den Dreck, den wir in die Atmosphäre blasen. Die Reaktionen der Natur insgesamt auf unsere Fahrlässigkeiten werden uns noch lange begleiten und uns vor riesige Probleme stellen.

Zumindest einstweilen werden uns auch die politischen Skandale mit ihren unabsehbaren Langzeitfolgen erhalten bleiben. Etwa das Chaos, das die EU-Kommission und einige Mitgliedsstaaten mit ihrer dilettantischen Beschaffung der Impfstoffen ausgelöst haben. Kabarettisten bezeichnen die Präsidentin der EU-Kommission bereits als Pfuschi von der Leyen. An das Desaster, das sie bei der Bundeswehr hinterlassen hat, schließt sich ein weiteres Verhängnis an. Und irgendwie stellt sich die Frage, auf welche Berater dieses Mal gehört wurde. Möglicherweise auf die Interessensgemeinschaft der Corona-Viren, vorausgesetzt, dieser ist es bereits gelungen, eine Lobby aufzubauen, die über Querdenker und andere Querulanten hinausreicht.

Auch das Struktur- und Kommunikationsdebakel, das im Zusammenhang mit den Impfzentren entfacht wurde, ist nicht nachvollziehbar. Hochbetagte Menschen, die Generation 80 plus, sollen sich nach einer Terminabsprache, die vielfach aus technischen Gründen misslingt, in zentralen Impfstationen einfinden, weil einige Vakzine extrem stark gekühlt werden müssen. Die Altersstruktur der Betroffenen legt eine dezentrale Impfung nahe. Idealerweise beim Hausarzt, der seine Patienten und deren Allgemeinzustand kennt. Auch eine tiefstgekühlte Lagerung vor Ort in kompakten Behältern ließe sich organisieren. Man muss das jedoch nicht nur wollen, man muss das auch können. Aber es wimmelt in Politik und Verwaltung von Wollern, hingegen sind Könner in der absoluten Minderheit.

Im Kontext der unbefriedigenden Impfsituation bewegen sich die potentiellen Virus-Wirte, also alle, die Corona leichtsinnig bis fahrlässig auf die leichte Schulter nehmen, durch Lande und Länder reisen und permanent ein Ende des Lockdowns fordern. Allein am Frankfurter Flughafen konnten einige Hundert Einreisende keine gültigen Tests nachweisen. Und ein erklecklicher Teil erwies sich als Wirt einer Corona-Mutante. Zugegeben: Die Fake-Medien von Facebook über Whatsapp und Instagram bis RTL bleiben in dieser Sache wenig konkret. Ein Grund mehr, sich über alles, was lebenswichtig ist, in den Qualitätsmedien zu informieren. Mit Ordnungsgeld scheint man den Verursachern nicht beikommen zu können. Bliebe also das Haftungsrecht des BGBs. Wer für den bezifferbaren Schaden aufkommen muss, den er durch Fahrlässigkeit hervorrief, wird vorsichtig sein und schreckt andere ab.

Bemerkenswert ist in diesen Wochen des Lockdowns auch die Haltung der Kultusministerien. Sollen Schulen bald geöffnet werden und falls ja, für welche Jahrgangsstufen? Und soll es ein Wechselunterricht sein? Ich habe den Eindruck, dass die Verantwortlichen ihre eigenen Schulerfahrungen vergessen oder verdrängt haben. Erkältungsviren verbreiten sich in Schulen und Kindertagesstätten besonders rasch. Und springen zu Hause auf die Eltern über, die sie danach in ihre Arbeitsstätten einschleusen. Vor diesen Tröpfcheninfektionen kann man sich kaum schützen. Außer durch Isolierung und Kontaktvermeidung. Die Corona-getränkten Aerosole sind sogar noch gefährlicher. Warum reden Minister, Lehrer und Eltern diese Gefahren klein?

Ja, ein Fernunterricht per Internet kann bei der Vermittlung elementaren Wissens keine Alternative zum Schulunterricht sein. Und erst recht nicht dann, wenn die technischen Voraussetzungen für eine Digitalisierung nicht oder allenfalls unzureichend vorhanden sind. Corona offenbart, was Bildung und Kultur der Politik wert sind: nämlich wenig bis nichts. Aber die Wahl zwischen gefahrenbelastetem Präsenzunterricht und improvisiertem Fernunterricht ist keine, eine solche Entscheidung dürfte erst gar nicht gefordert werden. Es wäre ehrlicher, das Schuljahr zwischen März 2020 und April 2021 auszubuchen, es lediglich als eine erfahrungsreiche Lebensstufe gelten zu lassen. Und im Mai unbelastet neu zu beginnen.

Überhaupt: Wer sich des Schlagworts Digitalisierung bedient, erweckt bei genauer Analyse solcher Äußerungen häufig den Eindruck, davon nichts zu verstehen. Denn Digitalisierung ist lediglich das Ergebnis einer Transformation von Lerninhalten sowie pädagogischer Didaktik und Methodik auf eine elektronische Ebene. Was nicht bis ins letzte Detail nach logischen Kriterien vorgedacht wurde, also unter Nutzung aller Funktionen des menschlichen Verstands, wird in digitalisierter Form nichts vermitteln können.

In dieser Woche gab es noch weitere Ärgernisse, die über eine längere Vorlaufzeit verfügen:

Eigentlich zählt Wladimir Wladimirowitsch Putin zu den prominenten Angsthasen der Gegenwart (neben dem Belorussen Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko, dem Chinesen Xi Jinping und dem Nordkoreaner Kim Jong-un). Der Präsident der Russischen Föderation fürchtet sich – vor dem politisch bewussten und überwiegend demokratisch gesinnten Teil des Volks. Entsprechend reagiert er auf die Nadelstiche des Oppositionspolitikers Alexei Anatoljewitsch Nawalny mit allem, was einem Autokraten an Unterdrückungsinstrumenten zur Verfügung steht. Dazu gehören Diffamierung, Haft und Attentate. Was Putin von den Mahnern im Westen, speziell denen der Europäischen Union, hält, hat er beim Besuch des Außenbeauftragten der EU deutlich gemacht. Er hat zeitgleich zu dem Gespräch im Kreml mit Außenminister Lawrow drei EU-Diplomaten ausweisen lassen. Gegen ein solches rüdes und undiplomatisches Verhalten hilft kein Protest. Im Gegenzug sollte dem russischen Rohrlegungsschiff „Akademik Cherskiy“ sowie sämtlichen anderen Schiffen dieser Art die Genehmigung für den Fortbau von „Nord Stream 2“ entzogen und das Verbleiben in deutschen Gewässern untersagt werden. Damit wäre das Gas-Projekt zu Ende und die russische Exportwirtschaft empfindlich getroffen. Mit allen denkbaren Auswirkungen auf Putin und dessen Gefolgsleute.

Die Linke könnte sich in dieser Sache profilieren und neue Saiten anschlagen, indem sie das imperiale Gehabe der russischen Führung besonders deutlich verurteilt. Ihren Sympathisanten und einem nennenswerten Teil ihrer Wähler erschließt sich ohnehin nicht, warum diese Partei eine so große Rücksichtnahme gegenüber dem Anti-Sozialisten Putin walten lässt (der hierzulande vor allem von der AfD unterstützt wird). Allein die aktuellen Umfragen zu den bevorstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz besagen, dass die Linke dort keine Chancen besitzt, die Fünf-Prozent-Hürde zu übersteigen. Deswegen: Auf, auf zum Kampf! Gegen die eigenen Blockaden und die alten Seilschaften. Es gibt durchaus Mitglieder auf den verschiedenen Führungsebenen, die aus einem anderen Holz geschnitzt sind. Sie sollten die Möglichkeit erhalten, ihrer Partei einen neuen Stempel aufzudrücken.

Ähnliches könnte auch der SPD guttun. Im Bund gibt sie ein desolates Bild ab, in Ländern wie Hessen oder Baden-Württemberg vegetiert sie am Rand des Vergessens. Und auch in Rheinland-Pfalz drohen ihr Einbrüche. Sie wird bei einer Regierungsbildung weiterhin auf die Grünen und möglicherweise die FDP angewiesen sein. Im einstigen SPD-Kernland Nordrhein-Westfalen wird über die Befähigung Armin Laschets zum Bundeskanzler diskutiert. Selbst Friedrich Merz, der Untote aus dem Sauerland, liefert dort noch Schlagzeilen. Nur über die SPD spricht kaum einer.

Zum Schluss dieses wieder sehr persönlichen Wochenrückblicks möchte ich eine Kandidatin für den Vollpfosten der Woche vorschlagen. Nämlich Gundula Bavendamm, die Vorsitzende der Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“.

In Berlin entsteht derzeit das Dokumentationszentrum „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. Hier soll es Ausstellungen, eine Bibliothek mit Zeitzeugenarchiv sowie Veranstaltungen zu den „Ursachen, Dimensionen und Folgen von Flucht, Vertreibung und Zwangsmigration in Geschichte und Gegenwart“ geben. Der Theaterregisseur Ersan Mondtag, in Frankfurt durch seine eindrucksvollen Inszenierungen im Schauspielhaus noch in guter Erinnerung, sollte zur Eröffnung im Sommer 2021 eine Performance arrangieren. Doch die Zusammenarbeit wurde nun beendet. Auch ein geplanter Film, der coronabedingt statt der Live-Performance aufgeführt werden sollte, kam nicht zustande.

„Uns war wichtig“, erzählt der 34-jährige Regisseur, „dass man den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg nicht von der Fluchtbewegung entkoppelt betrachten kann. Und uns fiel auf, dass die Stiftung dort einen Fokus setzen wollte, der anders gewichtet war.“

Zunächst habe es zwar einen produktiven Austausch gegeben. „Im Zuge dessen ist die Bedeutung der Fluchtursachen immer kleiner und die der Fluchtgeschichten immer größer geworden.“ Dieser Widerspruch sei eskaliert, vor allem, als es darum ging, „dass wir die Vereinnahmung dieses Themas durch die rechten Parteien ausblenden sollten.“ Mondtag hatte auch ein Zitat von Thüringens AfD-Chef Björn Höcke verwenden wollen. Und zwar aus einer Rede in Dresden, in der Höcke eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ gefordert hatte. Telefonisch habe Mondtag dann mit der Stiftungs-Vorsitzenden Gundula Bavendamm auf deren Wunsch hin abgesprochen, stattdessen eine fiktive Rede zu verfassen. Bavendamm habe dem zugestimmt. „Am Tag darauf“, so erinnert sich der Regisseur, „kam plötzlich ein Anruf, da hieß es, dass das auch nicht ginge. Und sie müsse die Performance absagen, wenn der Systemkomplex nicht komplett gestrichen wird.“ Für Mondtag ist das Zensur.

Doch dabei blieb es nicht. Als am zweiten Drehtag ein Vertragsentwurf kam, sei der laut Mondtag eine überarbeitete Fassung gewesen. Darin habe sich die Stiftung entgegen aller Vorabsprachen das exklusive Recht am Material für zehn Jahre sichern wollen.
„Wir sind keine Werbefirma, sondern haben eine eigene Haltung“, betont der Regisseur. „Wir waren fassungslos, wie eine Direktorin der Bundesstiftung, die der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, untergeordnet ist, so eine kunstfeindliche Haltung an den Tag legen kann.“

Er habe Monika Grütters daraufhin in einem Brief gebeten, dafür zu sorgen, dass er und sein Team das aus eigenen Mitteln investierte Geld zurückgezahlt bekomme: „Die Stiftung hat uns die Bezahlung verwehrt. Ich habe das ganze Projekt mit über 50.000 Euro selber finanziert, weil die Stiftung Vergaberecht umgehen wollte und mit den Künstlern keine Verträge gemacht hat. Bis heute hat uns die Stiftung die Kosten nicht erstattet. Wir setzen jetzt eine Frist von zehn Tagen, sonst muss ich die Stiftung verklagen.“

Ein solches Gebaren sollte doch einen Vollpfosten wert sein.

Foto:
Butjadingen, der schmale Landstreifen westlich der Unterweser und östlich der Jade, der bis an die Nordsee reicht, versank im Januar 1979 im Schnee.
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