Moshe Kantor, Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses,stellt den des Jahresberichts zum weltweiten Antisemitismus 2020 vor
Redaktion
Basel (Weltexpresso) - Rückgang der gewalttätigen Vorfälle aufgrund der Lockdowns. Anstieg antisemitischer Angriffe gegen jüdische Gemeindeeinrichtungen und im Internet. Dies ist zusammenfassend das Resultat des jährlichen Antisemitismusberichts.
Der signifikante Anstieg des Extremismus und die weit verbreitete Zunahme antisemitischer Verschwörungstheorien im vergangenen Jahr könnten tiefgreifende Auswirkungen auf die jüdischen Gemeinden in einer Welt nach der Pandemie haben, sagte Moshe Kantor, Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses, bei der Vorstellung des Jahresberichts zum weltweiten Antisemitismus 2020, der vom Kantor Center an der Universität Tel Aviv erstellt wurde.
«2020 war ein Jahr wie kein anderes in jüngerer Erinnerung. Unsere Welt und unser tägliches Leben wurden verändert, was in vielen Ländern und für viele Menschen auf der ganzen Welt zu einer globalen sozialen Krise geführt hat», sagte er.
Der Bericht zeigt, dass es weniger physische und gewalttätige Vorfälle oder Angriffe auf Menschen und Eigentum, Drohungen und Brandstiftungen gab, weil es zu Lockdowns und starken Einschränkungen kam. Stattdessen wurde viel mehr Hass gegen Juden online verbreitet. Der Bericht stellt auch fest, dass die Zahl der Angriffe auf jüdische Einrichtungen und kommunales Eigentum zunahm.
Professor Dina Porat, Leiterin des Kantor-Zentrums, sagte: «Vorurteile, Aberglaube, ursprüngliche Emotionen und bizarre Theorien tauchten auf der Bildfläche auf, und die Manifestationen des Antisemitismus, sowohl verbal als auch visuell, waren bösartig und empörend.»
Die Zahl der gewalttätigen antisemitischen Vorfälle sank um 19 Prozent, von 456 Vorfällen im Jahr 2019 auf 371 im Jahr 2020, aufgrund von Abriegelungen. Darüber hinaus sank die Zahl der Körperverletzungen um 37 Prozent, von 170 im Jahr 2019 auf 107 im Jahr 2020, und auch die Beschädigung von Privateigentum ging um 35 Prozent zurück, von 130 auf 84 Vorfälle, einfach weil die Menschen meist zu Hause blieben.
Allerdings wurde ein Anstieg von 25 Prozent bei Schändungen jüdischer Friedhöfe und Vandalismus an Holocaust-Mahnmalen und anderen jüdischen Denkmälern beobachtet - von 77 auf 96 Vorfälle im Jahr 2020, weil diese Orte offen und ungeschützt sind.
Auch die Zahl der vandalisierten Synagogen stieg um 19Prozent, von 53 auf 63 Vorfälle im Jahr 2020. Zuletzt wurde die Synagoge von Norrköping, Schweden, von Neonazis geschändet, in der ersten Nacht des Pessachfestes.
Ein Anstieg wurde in der Ukraine registriert, ein Rückgang in Australien, Grossbritannien und vor allem in Frankreich und Kanada.
Besorgniserregende Trends setzten sich in Deutschland und den USA fort. In Deutschland wurde ein Anstieg der Gesamtzahl der Vorfälle verzeichnet, wobei der Widerstand gegen Impfstoffe zu Vergleichen mit dem Holocaust führte und die Schändung jüdischer Gedenkstätten und Friedhöfe fortgesetzt wurde.
Kantor stellte «eine tiefe globale Polarisierung fest, wobei die extremistischen Ränder aufgrund von Verschwörungstheorien und der Suche nach Antworten in einer herausfordernden Welt zunehmen. Dies führte zu einer Veränderung in der Art und Verteilung des Antisemitismus.»
«Antijüdischer Hass, der online entsteht, bleibt nicht online. Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass antisemitische Verschwörungstheorien zu physischen Angriffen auf Juden führen können, wenn die Ausgangssperren und Lockdowns enden», so Kantor weiter.
Er erwähnte zudem, dass die Zahl der antisemitischen Vorfälle auf den wichtigsten Plattformen im Jahr 2020 nur dank grösserer Aufsicht und Massnahmen der grossen Social-Media-Unternehmen und einer stärkeren nationalen Gesetzgebung gegen Online-Hass zurückgegangen ist. «Wie der Bericht jedoch zeigt, sind viele dieser Hass-Täter lediglich ins DarkNet und andere Plattformen geflüchtet, daher müssen unsere Verantwortlichen Wege finden, um die Verbreitung auch dort zu verhindern.»
Foto:
Moshe Kantor
©tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 13. 4. 2021