israelkarte 100 2400x1350zdfProtokoll einer Gruppenreise nach Israel 2009, hier Bethlehem

Anning Lehmensiek

Bremen (Weltexpresso) - Liebe Redaktion, im Einverständnis mit Annning Lehmensiek leite ich deren Mail und den Anhang weiter. Auch wenn der Text, das Protokoll einer Israelreise, etwas älter  ist, gibt er doch einen sehr  guten Einblick in das komplizierte Verhältnis zwischen Palästinensern und Juden. Vielleicht hilft das den Lesern und Leserinnen zum Verständnis des Konflikts in der momentanen Situation. K.N."

Die Frage, ob es Hoffnung für eine Lösung der schier unlösbaren Probleme zwischen Palästina und Israel gibt, zieht sich durch die ganze Woche unserer Reise. Von der fehlenden Vision in Palästina hat Mitri Raheb gestern gesprochen und davon, dass der Motor der Arbeit im Begegnungszentrum eine Vision ist. „No hope“ wird Jehuda Shaul am Mittwoch sagen – und zugleich von der intensiven Arbeit von „breaking the silence“ berichten. Tsafir Cohen wird von „paradoxer Hoffnung“ sprechen.

Was wir am heutigen Dienstag erleben, zeigt die ganze Spannweite zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit.


B’tselem in Jerusalem

B’tselem wird ins Englische mit „in the image of“ übersetzt. Merkwürdiger Name: in the image of what? Mein Mann, des Hebräischen kundig, kann mir weiterhelfen, als ich wieder in unserer Arche im Teufelsmoor angekommen bin. Der Name ist dem Schöpfungsbericht der Bibel entnommen: „Lasst uns Menschen machen als unser Abbild (B’tselem), uns ähnlich.“ (Genesis 1,26). Das hört wohl jeder Jude, der einmal in der Synagoge war, mit, wenn er den Namen der Organisation vernimmt. Das Überraschende, Listige dieser Namensgebung: Es ist ausgelassen, wovon ein Abbild gegeben werden soll.

Michelle, eine Mitarbeiterin von B’tselem, informiert uns über die Arbeit der Menschenrechtsorganisation. Die NGO wurde vor 20 Jahren während der ersten Intifada gegründet, um Verstöße gegen Rechtsvorschriften zu ermitteln. Die 20 Mitarbeiter im Büro in Jerusalem und die etwa ebenso vielen Mitarbeiter in Gaza und in der Westbank sammeln Informationen, über Zerstörungen der Häuser von Palästinensern, über Zahl und Orte der mobilen und festen checkpoints, über die Orte, wo neue israelische Siedlungen errichtet werden, sie interviewen Menschen und halten diese Zeugnisse auf Videos fest, sie haben inzwischen fast 100 Menschen (Beduinen, Schäfer, vor allem aber Frauen und Jugendliche) mit Kameras ausgestattet, so dass die z.B. filmen können, was an den checkpoints passiert. Alle gesammelten Informationen werden genau überprüft, bevor sie an die Öffentlichkeit gegeben werden: an Journalisten, Richter, Soldaten, Parlamentarier. Die Informationen werden ins Internet gestellt, in jährlich erscheinenden reports abgedruckt und über eine Mail-Liste, die inzwischen etwa 6000 Adressen enthält, verbreitet. Die als seriös geltenden Informationen von B’tselem werden zunehmend in Prozessen zugrunde gelegt, wenn es denn zu Prozessen kommt. Denn es werden nicht mehr automatisch Ermittlungen aufgenommen, wenn z.B. ein Palästinenser getötet wird. B’tselem versucht auch, z.B. über die Mail-Liste, Menschen in anderen Ländern zu informieren und hat seit einem Jahr sogar ein Büro in Washington.

Finanziert wird B’tselem aus Spenden, die zum größten Teil aus Israel kommen, zu etwa 25 % aus den USA. Einige Kirchen in Skandinavien und z.B. auch der Evangelische Entwicklungsdienst in Deutschland unterstützen die NGO.

B’tselem, eine kühl (nach außen hin jedenfalls), umsichtig, gewissenhaft und professionell arbeitende Organisation mit großem Renommee – hope! Aber wie schmerzhaft, davon ausgehen zu müssen, dass Tag für Tag Palästinenser bedroht, schikaniert, ihrer Wohnungen beraubt oder eingemauert werden. „Es gibt keine saubere (enlightened) Besatzung“, wird Jehuda Shaul am nächsten Tag sagen – no hope?

Seit Beginn unserer Reise geht mir wieder und wieder die Strophe eines Gedichts von Erich Fried durch den Kopf und wird für mich zu einer Art cantus firmus dieser Woche. Und im Baß ertönen die Skrupel: Ist es mir, einer Deutschen, erlaubt, in das Lied Frieds, eines aus Österreich vertriebenen Juden, einzustimmen? Die Zeilen stammen aus dem Gedicht „Höre Israel“. Fried nimmt in dem Titel die ersten Worte des wichtigsten jüdischen Gebets (Sch’ma Jisrael – Höre Israel) auf und schreibt eine Art Klagelied (auch dies eine alte jüdische Tradition).

Die zweite Strophe lautet:

„Eure Sehnsucht war,
wie die anderen Völker zu werden,
die euch mordeten.
Jetzt seid ihr geworden wie sie.“
Fahrt entlang der Mauer im Großraum Jerusalem
Unser Begleiter auf der Fahrt ist Kareem, Palästinenser, Mitarbeiter von B’tselem, „field-researcher“


Erste Station:
Har Homa, südlich von Jerusalem, Siedlung

Wie anders als das, was da nun vor uns liegt, war mein Bild von „den“ israelischen Siedlungen: eine Art von kleinen, umzäunten, streng bewachten Wehrdörfern. Dieses nun: eine ausgedehnte, schön gebaute, mehrstöckige Wohnanlage aus diversen Häusern, umgeben von anmutigen Hügeln mit Blick in ein weites Tal. Menschen sind kaum zu sehen. Die Leute arbeiten wohl in der city von Jerusalem. Eine Schlafstadt in ruhiger Umgebung, offenbar ohne Geschäfte, ohne Schulen etc. Man sieht, dass noch weitere Häuser gebaut werden sollen, obwohl in den schon existierenden Häusern noch sehr viele Wohnungen leer stehen sollen. Was ist hier los? Ein Blick auf die Karte zeigt, dass Har Homa zwischen der Grenzlinie von 1949 und der südlich davon gebauten Mauer nahe Bethlehem liegt – also in palästinensischem Gebiet. Die Olivenhaine, die sich einmal bis in das Tal gezogen haben, sind zum größten Teil abgeholzt, bzw. umgepflanzt worden. Die Häuser der Palästinenser, die dort gewohnt haben, sind demoliert worden, die Bewohner verschwunden. Ein einziges Haus ist erhalten. Kareem erläutert, dass die Bewohner, wenn sie ihre Verwandten im nächsten Dorf hinter den Hügeln besuchen wollen – früher 300 Meter Fußweg -, eine 15 Kilometer lange Fahrt machen und einen checkpoint passieren müssen. Denn dazwischen ist die Mauer. An dieser Stelle wird offenkundig, was Kareem uns deutlich zu machen versucht: Es geht nicht darum, dringend benötigte Wohnungen für Israelis zu bauen, es ist Augenwischerei, von einem „natürlichen Wachstum“ einer Wohnanlage (wie es offiziell heißt) zu sprechen, wenn die Hälfte der vorhandenen Wohnungen leer steht. Es geht beim Bau der Mauer nicht um „Sicherheit“. Es geht darum, die Palästinenser zu verdrängen, das Gebiet Israels auszudehnen und mit Israelis zu besiedeln.


Zweite Station:
Nu’man – das nicht existente Dorf

Das Dorf auf dem Hügel, dessen Boden sich die Israelis schon einverleibt haben, ist nur über einen checkpoint zu erreichen und ist umgeben mit einem Elektrozaun.

Nu’man ist „illegal“, existiert angeblich gar nicht. Begründung: Die Häuser sind ohne Baugenehmigung gebaut. Das stimmt auch. Denn als die Häuser gebaut wurden, gehörte das Dorf zu Palästina, wo es kein Kataster gab und man folglich auch keine Baugenehmigung brauchte. Im Dorf sieht man die Trümmer gesprengter Häuser, andere sind noch wohl erhalten. Die Kinder des Dorfs müssen 3 km zum nächsten Dorf in die Schule gehen, morgens und mittags durch den Checkpoint (ein Käfig, umgeben von Stacheldraht und Zäunen) gehen. Was passiert mit solchen Kindern? Kareem erzählt die Geschichte von einem Mädchen aus dem Dorf, das mit anderen Kindern gewettet hat, ob der Elektrozaun wirklich immer geladen sei. Das Mädchen hat schließlich den Zaun angefasst, und nichts ist passiert. Aber eine halbe Stunde später sind israelische Soldaten im Haus des Mädchens gewesen, haben die Familie bedroht und jemanden verhaftet. Was wird aus Kindern, die so etwas erleben?


Dritte Station:
Jabel Mukabar und Ash-Sheikh Sa’d – zwei getrennte Dörfer

Von Nu’man aus fahren wir wieder nördlich Richtung Jerusalem. Halt an einer Stelle, wo die Straße durch ein Tal verläuft und auf der Anhöhe rechts und links Dörfer erkennbar sind. Das eine Dorf kaum wahrzunehmen hinter dem Hügel. Das andere mit einem checkpoint versehen und vollkommen mit einem Zaun umgeben. Gerade sieht man Kinder durch den Checkpoint-Käfig in das umzingelte Dorf gehen. Am Hang des Dorfes türmen sich Müllsäcke bis zur Straße. Der Hintergrund: Die Mauer ist hier noch nicht fertig. Der eine Teil des Dorfes soll offensichtlich einverleibt werden, der andere soll draußen bleiben. Die Bewohner des eingezäunten Dorfes können den Ort nur noch unter Schwierigkeiten verlassen, ihre Autos stehen ungenutzt auf einem Platz auf dem Hügel, eine Müllabfuhr existiert nicht mehr. Nach zähen Verhandlungen ist es den Schulkindern erlaubt worden, in die Schule auf der anderen Seite zu gehen. Eine hoffnungslose Lage. No hope. Oder bedeutet es einen Hoffnungsschimmer für die Dorfbewohner, dass sie bemerken können, dass wir ihre Situation wahrnehmen?


Vierte Station:
Silwan

Die Häuser am südöstlichen Rand von Jerusalem stehen im besetzten Teil der Stadt. Ihre Bewohner sind Palästinenser. Auf einem Platz an der Strasse ist ein Zelt errichtet, innen an seinen Wänden Bilder und Plakate:

„expulsion disguised as archeology“
„We will never leave our home“ – unter den Satz ist ein Olivenbaum mit tiefen Wurzeln gemalt.
Ein Bild des palästinensischen Dichters Mahmoud Darwich  mit dem Zitat
„La terre se transmet
comme la langue.
Notre histoire
est notre histoire.“
(„ Die Erde wird weitergegeben
wie unsere Sprache.

Unsere Geschichte
ist unsere Geschichte.“)


Ein farbiges Ölbild, von einer Frau aus der Nachbarschaft gemalt.

Man reicht uns Kaffee, jemand wird gerade von einem französischen Fernsehteam interviewt und gefilmt. Als dieser Mann uns berichtet, habe ich Probleme mit dem Verstehen. Zuhause versuche ich, mich schlau zu machen – und gerate in einen Strudel von sich zum Teil widersprechenden Darstellungen und Meinungen. Sehr ärgerlich der süffisante Bericht eines Deutschen, der in Jerusalem wohnt und unter anderem als Korrespondent für deutsche Medien arbeitet. Er schreibt, dass er bei einem Treffen in Silwan dabei war, wo ein „Linker“ einer „sogenannten“ NGO den „gläubigen“ Medienvertretern  aus aller Welt Märchen erzählt hat. Wie vermint das Terrain ist, auf dem wir uns bewegt haben! Der Strudel der sich widersprechenden Informationen erscheint mir signifikant für die verfahrene Lage. No hope?

Ich halte mich an die Informationen von – B’tselem:

88 Häuser, in denen etwa 1000 Palästinenser leben, sollen abgerissen werden. Die Häuser sind in den1980er und 1990er Jahren gebaut worden. Häuser in einem besetzten Gebiet abzureißen ist nach Artikel 4 der Genfer Konvention illegal, es sei denn, es liegen militärische Notwendigkeiten vor. Punktum. Die offizielle Begründung für den Abrissbeschluß: Hier in Silwan, das südlich der vermuteten Davidsstadt liegt, soll ein „archäologischer Park“ errichtet werden, der die schon vorhandenen Anlagen im Kidron- und im Hinnomtal miteinander verbinden würde. Ausgrabungen sind geplant. Die Häuser in Silwan sind „illegal“ gebaut. Die Siedlerorganisationen Elad und Ateret Cohanim betreiben eine Erweiterung ihrer Siedlungen in diesem Teil Jerusalems. Elad ist auch in die Planung des „archäologischen Parks“ involviert.

Mir gehen die Bilder von dem, was wir am Morgen gesehen haben, durch den Kopf. Verbinde ich die Bilder und die Informationen über Silwan, scheint mir alles dafür zu sprechen, dass es auch hier darum geht, Palästinenser zu verdrängen.


Al Tariq in Ramallah
Im Büro der NGO Al Tariq (“Der Weg“) sitzen uns gegenüber:

Lotty Camermann, Israelin, aufgewachsen in Deutschland, lebt dann in Natanya in einer „askenasischen Likud-Familie“, wie sie sagt. Sie geht zur Armee, arbeitet dann in der Tourismus-Branche, die nach der 1. Intifada fast zusammenbricht – das Initial für Lotty zu fragen, zu diskutieren, umzudenken. Sie engagiert sich zunächst in „Parents’ circle“, einer Organisation, in der sich israelische und palästinensische Eltern zusammengeschlossen haben, die eine Tochter oder einen Sohn in den kriegerischen Auseinandersetzungen verloren haben. Nun arbeitet sie bei Al Tariq und wohnt auch in dem Haus, in dem das Büro von Al Tariq ist.

Rose (so ihr ins Englische übersetzter Name), 19 Jahre alt, Palästinenserin, macht eine Ausbildung als Dolmetscherin. Als sie 10 Jahre alt war, ist in ihrem Heimatdorf ihr Onkel von israelischen Soldaten erschossen worden. Ihr Hass auf „ d i e Israelis“ hat sich allmählich gelegt, auch durch die Aktivitäten ihres Vaters, eines Exponenten der Fatah und Vorsitzender von Al Tariq. Rose ist in mehreren Sommercamps in Deutschland zusammen mit Israelis gewesen und hat dort Freunde gefunden. Sie hat aber zunehmend den Eindruck gewonnen, dass die Israelis, die sie kennengelernt hat, nicht wirklich diskussionsbereit sind. Sie hat sich nun etwas auf sich zurückgezogen und ist auf der Suche nach neuen Wegen.

Mohannad , der Bruder von Rose, 21, Student der Politikwissenschaften. „Du bist ja ein Flüchtling“, haben die anderen Kinder früher zu ihm gesagt. Das war für ihn der Ausgangspunkt seiner Fragen an die Eltern, nach der Geschichte, nach dem Grund der erlebten Brutalität israelischer Soldaten. Mit Freunden probiert er Formen des passiven Widerstands. Zum Beispiel setzt er sich auf die Straße zwischen Häuser, die von israelischen Soldaten gestürmt werden sollen Und auf einmal hatte er das Gefühl: „we are strong – plötzlich haben die Soldaten Angst vor mir!“ Auch er ist zusammen mit Israelis in Sommercamps in Deutschland gewesen, hat dort Freunde gefunden. Allerdings: politische Probleme bleiben im Gespräch mit diesen Freunden außen vor.

Dana ,19, Architektur-Studentin, kommt aus Kuweit. Nach dem Golfkrieg ist ihre Familie nach Jordanien gegangen, wo der Vater kaum Arbeit findet und die Familie sich nicht akzeptiert fühlt. Die Familie zieht weiter nach Palästina. Dana erlebt, wie Freunde getötet werden, wie deren Häuser brennen. Seit Beginn ihres Architekturstudiums in Ramallah setzt sie sich auf neue Weise mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt auseinander, lernt Israelis kennen, nimmt an Sommercamps teil. „Wings of hope“ nennt sie als die Organisation, die ihr diese Kontakte ermöglichte (s. unten).

Thaer, 34, ist Jurist in Bethlehem. Geprägt haben ihn, den etwas Älteren, die 1. und 2. Intifada. Die erste hat er als Schüler noch genossen, weil der „curfew“ (Ausgangssperre) schulfrei bedeutete. Der zweiten begegnete er schon als 16/17-Jähriger. Mitschüler wurden getötet, verletzt, in Haft gesetzt. Konflikte mit Soldaten, Siedlern, Tränengas begleiteten das Abitur während der Ausgangssperre. Israelis hat er zum ersten Mal bei Al Tariq kennengelernt und sagt: „I see it a little bit more wide now.“ Fenster haben sich zum Beispiel ebenfalls für ihn geöffnet, als er erlebt hat, dass auch Israelis gegen die Mauer protestiert haben. „All of us have in themselves many worlds.“ Thaer versteht sich als Teil einer gewaltfreien, demokratischen Oppositionsbewegung. Seine fachlichen Schwerpunkte sind Menschenrechte, insbesondere Frauen- und Kinderrechte. Betätigt hat er sich vor allem bei Al-Mubadaras Partei „Unabhängiges Palästina“. Er setzte sich dort für gewaltfreie Arbeit für einen unabhängigen Staat, für soziale Rechte und Gesundheitspolitik ein. Er war Freiwilliger in der Rechtssektion von Al-Mubadara und hat dort einen Entwurf für eine Art „Studenten-BAFöG“ (Stipendium als nach dem Studium rückzahlbares Darlehen) ausgearbeitet.


Was für eine beeindruckende Gruppe von jungen Menschen! Hope!

Was macht Al Tariq? Al Tariq versucht vor allem, Studenten dafür zu qualifizieren, mit psychisch, körperlich und materiell geschädigten Palästinensern zu arbeiten und ihnen Wege aus der Hoffnungslosigkeit zu zeigen. Die Leute von Al Tariq versuchen, Gespräche mit den „Feinden“ aufzunehmen, eigene Verletzungen zu bearbeiten und Barrieren abzubauen. Al Tariq hat junge Palästinenser nach Deutschland zu „Wings of hope (!)“ geschickt (eine Einrichtung der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, die sich zunächst mit traumatisierten Menschen aus Bosnien-Herzegowina beschäftigt hat und nun auch Israel/Palästina in ihr Programm aufgenommen hat) und zu einem Institut in Hannover, das sich speziell mit Trauma-Arbeit beschäftigt. Diese geschulten jungen Leute versuchen, Seminare in Palästina aufzubauen. Unsere Gastgeber berichten zum Beispiel von einer Väter-Gruppe, in der Männer, die „schlimme Geschichten“ erlebt haben (wie Lotty sagt), versuchen, mit ihren Aggressionen zurecht zu kommen. Es gibt eine Gruppe für Menschen, die aus dem Gefängnis kommen. Es werden Begegnungen von Israelis und Palästinensern organisiert. Gerade hat sich eine Blogger-Gruppe von Menschen aus verschiedenen Orten in Palästina und Israel gebildet, die jede Woche im Internet über bestimmte Themen (PLO, Zionismus, Rolle der Medien, Geschichte des Konflikts zum Beispiel) nach genau festgelegten Regeln diskutiert. Dieser Versuch soll Treffen von Angesicht zu Angesicht vorbereiten.

Vor unserer Rückfahrt nach Bethlehem geraten wir noch auf eine ganz andere Ebene, indem wir die Muquata und das Grab Arafats, eine schlichte, helle Anlage mit einer Moschee, besuchen. Wohltuend, dass die beiden anscheinend unbeweglichen Wächter des Grabes anfangen, sich die Beine zu vertreten, sich umdrehen und uns nachschauen, als wir gehen. Man sieht es durch die Glaswände.

*

Ich versuche, meine Hochstimmung bei meinen ersten Reisen nach Israel und meine Niedergeschlagenheit bei dieser Reise gegeneinander zu halten.

Das Hochgefühl früher:
Was für eine Landschaft! Mittelmeer und Totes Meer! Grünes Land im Norden und Wüste im Süden! Alles auf engstem Raum!
Und was für Menschen! Selbstbewußt, erfindungsreich, auch selbstironisch. Endlich haben die Juden ein Land, in dem sie selbstbestimmt leben können.
Und welche geschichtlichen Dimensionen werden sichtbar! Die alte Geschichte des Judentums und die frühe Geschichte des Christentums lassen sich hier verorten!
Das „Palästinenser-Problem“ habe ich weitgehend ausgeblendet.

Die beiden letzten Reisen vor dieser nach Bethlehem hatten einen anderen Schwerpunkt: den Holocaust. Einmal ein Seminar in Yad Vashem und zuletzt ein Treffen mit meiner jüdischen Freundin Eva, die jedes Jahr für ein paar Wochen nach Israel fährt. Eva kommt aus der Slowakei, ist mit 16 Jahren in Auschwitz-Birkenau gewesen, hat es überlebt und wohnt heute in New York. Bei diesem Treffen habe ich erfahren, dass die Existenz des Staates Israel für eine Frau mit einer Geschichte wie Eva eine existentielle Bedeutung hat. Gleichzeitig haben sich immer mehr Fragen eingestellt, auch nach der Rolle, die der Holocaust in der offiziellen Politik in Israel einnimmt. Wird hier etwa der Holocaust instrumentalisiert? Wird hier etwa das Sicherheitsbedürfnis von Holocaust-Überlebenden missbraucht?

Die Niedergeschlagenheit auf dieser Reise:
Israelis, die rücksichtslos Gewalt ausüben, sich über Menschenrechte hinweg setzen, Palästinenser verdrängen, eine Mauer bauen. Wie ist das zusammenzubringen mit meinen früheren Erfahrungen? Ratlosigkeit.

Ein Hoffnungsschimmer in Ramallah. Als wir uns nach dem Gespräch mit den jungen Leuten von Al Tariq noch ein wenig umsehen, entdecke ich in einem Regal Bücher, die auch bei mir zuhause stehen: Inge Deutschkron „Ich trug den gelben Stern“ und Lion Feuchtwanger „Exil“ zum Beispiel. Ja, sagt Lotty, als ich sie nach den Büchern frage, das sei ihre Bibliothek, die sie dort hingestellt habe. Da fügt sich für mich etwas zusammen: die Auseinandersetzung mit dem Holocaust und der tätige Widerstand gegen die heutige Politik in Israel. Da öffnet sich ein Weg – Al Tariq.

Foto:
Israelkarte
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