Bildschirmfoto 2021 05 29 um 01.02.25Reaktionen in den USA auf den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern

Andreas Mink

New Yord (Weltexpresso) - Der Konflikt zwischen Israel und Palästinensern löst in den USA heftige Emotionen und auch Gewalt aus, was politischen Akteuren reichlich Munition liefert.

Die jüngste Eskalation des Palästina-Konflikts in offene Gewalt löst in den USA ein Nachbeben mit vielen Gesichtern aus. Dabei bilden Politik und Emotion im Ringen um Deutungshoheit einmal mehr eine schwer trennbare Mischung. Hier könnte die Frage Klärung bringen: Was eigentlich stellt in den Augen der Streitparteien die härtere Herausforderung für Amerika und amerikanische Juden dar: Das Vorgehen Israels gegenüber Palästinensern – oder der «genozidale Hass der Hamas» auf Juden und ihren Staat, um Ron Dermer zu zitieren, den ehemaligen US-Botschafter Israels. Denn Unterstützer Israels wie der «New York Times»-Kolumnist Bret Stephens sehen diesen Hass nun wie ein Lauffeuer unter amerikanischen Linken grassieren.

Dies ist stets von dem Vorwurf begleitet, «Progressive» würden zu antisemitischen Taten und Tönen im eigenen Land und in Israel-Palästina auf schockierende Weise schweigen. Hier ist allerdings zu sagen, dass Israel-Kritiker in der Politik wie Bernie Sanders, Ilhan Omar oder Alexandria Ocasio-Cortez nun dem jüdischen Staat zwar offen eine «Apartheid» gegenüber Palästinensern vorwerfen. Aber sie haben Judenhass ebenso umgehend laut und deutlich verurteilt, wie es Peter Beinart, Yousef Munayyer und andere «Unterstützer palästinensischer Rechte» in den Medien tun. Gerade Sanders, der nun Waffenverkäufe an Israel zu blockieren sucht, hat die Hamas wiederholt als korrupte Unterdrücker der Bevölkerung von Gaza bezeichnet. Republikaner im Senat planen derweil neue Gesetze gegen Antisemitismus in den USA. Dies obwohl Joe Biden jüngst eine Aufstockung von Sicherheits-massnahmen für jüdische Institutionen in Kraft gesetzt hat.


Schwere Misshandlung

Tatsächlich kam es in der vergangenen Woche zu antisemitischen Vorfällen in den USA, darunter Gewalttaten in New York City, Los Angeles oder Tucson, Arizona. Dort beschädigten Angreifer eine Synagoge. Am vorigen Freitag nahmen Polizeibeamte in einem New Yorker Vorort den 29-jährigen Ali Alaheri fest. Um Feuer an einer Synagoge zu legen, hatte er Mittwochnacht im orthodoxen Viertel Boro Park, Brooklyn, Müllsäcke vor dem Gebäude aufgestapelt sowie auf einen Juden eingeschlagen und ihn verletzt. Vorigen Donnerstag hat die New Yorker Polizei 27 Teilnehmer an Demonstrationen von Unterstützern Israels und der Palästinenser am Times Square verhaftet. Darunter war der 23-jährige Wasseem Awawdeh, der den 29-jährigen Joseph Borgen mit einer Krücke geschlagen und mit Fausthieben, Fusstritten sowie Pfeffer-Spray attackiert hatte. Awawdeh soll in Haft erklärt haben, er würde Juden wie Borgen jederzeit erneut angreifen. Ausserdem wurde auch ein jüdischer Schüler schwer misshandelt.

Die Vorfälle sind inzwischen abgeklungen. Aber auf Social Media hat die Debatte erst begonnen. Medien wie «Newsweek» oder JTA listen Kommentare von Entertainern pro und kontra Israel auf. Anlass für das «World Values Network» von Rabbiner Shmuley Boteach, letzten Samstag eine ganzseitige Anzeige in der «New York Times» zu schalten. Darin werden die britische Sängerin Dua Lipa und die Modells Gigi und Bella Hadid als «Komplizinnen» der auf einen «zweiten Holocaust» trachtenden Hamas attackiert: Das Trio hasse und verachte Zionisten und Israel. Lipa wies dies umgehend auf Twitter als «Lügen und ganz offenkundige Falschdarstellungen» zurück: Sie sei mit allen unterdrückten Menschen solidarisch und verdamme jede Form von Rassismus. Zuvor hatte die Sängerin einen Tweet von Senator Bernie Sanders auf Instagram gepostet, der «die Gewalt von mit der Regierung verbündeten, israelischen Extremisten in Ostjerusalem und der West Bank» verurteilt.


Allianz konservativer Kräfte

Dua Lipa und die Hadid-Schwestern haben die Vorwürfe anhin unbeschadet überstanden und finden weiter Millionen Fans auf Instagram oder Twitter. Ein solcher Status fehlt der jungen Journalistin Emily Wilder. Sie hatte nach einem Studium an der renommierten Stanford University eine Medien-Karriere in Arizona begonnen und war Anfang Mai zu AP gewechselt. Just als die israelische Luftwaffe das Hochhaus mit den Büros der Nachrichtenagentur und anderen Medien in Gaza zerstört hatte, hat AP Wilder mit der Begründung entlassen, sie habe als Angestellte gegen die «Social-Media-Regeln» des Hauses verstossen. Wilder war ins Visier einer Allianz konservativer Kräfte wie dem Blogger Ben Shapiro, Senator Tom Cotton und Fox News gekommen, nachdem der Studentenverband «Stanford College Republicans» Tweets von Wilder aus dem Jahr 2017 ausgegraben hatte. Diese waren ihren Arbeitgebern bereits bekannt, kritisierten «Birthright Israel» und verglichen den konservativen Megaspender Sheldon Adelson vom Aussehen her mit einem «nackten Maulwurf». Wie so viele amerikanische Kritiker der israelischen Politik den Palästinensern gegenüber ist Wilder jüdisch. AP hat die Motive ihrer Entlassung in keiner Weise konkretisiert.


US-Regierung herausgefordert

Wilders Schicksal sorgt für helle Empörung bis weit hinein in eine ohnehin von dem Konflikt aufgewühlte, demokratische Partei. Hier hat Joe Biden am Montag nach Aufforderung durch ADL und weitere jüdische Organisationen mit einer Verurteilung der «abscheulichen Attacken auf die jüdische Gemeinschaft» im In- und Ausland reagiert sowie Aussenminister Tony Blinken nach Nahost entsandt. Die Haltung des US-Präsidenten zu dem Aufflammen des Konflikts hat viel zu reden gegeben. Biden und sein Team haben kein Interesse an diesem zentralen Thema der amerikanischen Aussenpolitik seit der «Pendel-Diplomatie» Henry Kissingers nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973. Deshalb soll Blinken in Nahost primär die Lage stabilisieren. Kommentatoren wie der Aussenpolitik-Experte Dan Drezner erwarten nicht, dass das «Team Biden» nun einen neuen Anlauf für eine Friedensregelung riskiert: Die neue US-Regierung sei auf die Innenpolitik und damit die rasche Verbesserung der Lebensumstände der breiten Bevölkerung fokussiert. Denn nur so haben die Demokraten eine reale Chance auf einen Machterhalt im Kongress bei den Wahlen 2022 und für das Weisse Haus 2024.

Von daher ist fraglich, ob und wie weit Sanders oder seine Kolleginnen im Repräsentantenhaus ihr Engagement in der Palästina-Frage treiben. Gleichzeitig empfinden es amerikanische Juden auf Social Media erneut als Belastung, bei jedem Aufflammen des Nahost-Konflikts ganz selbstverständlich und automatisch als Experten oder Teilhaber daran angesprochen zu werden. Praktisch gesehen führen «heisse Phasen» des Ringens um die Kontrolle Israel-Palästinas auch in den USA zu einer Gleichsetzung von Juden und Israel. Dabei bringen Umfragen seit Jahren eine wachsende Distanzierung jüngerer und liberaler Juden zu Israel an den Tag.

Politisch ist derweil eine rhetorische Evolution unter Demokraten spannend. Bei den Zukunftsvisionen für Israel und die Palästinensergebiete scheint die Zweistaatenlösung nunmehr nicht einmal mehr als Trauerfall eine Rolle zu spielen. Stattdessen sprechen und twittern Linke in der Politik von «gleichen Rechten für Israeli und Palästinenser» und stellen muslimische und christliche Araber unter der Parole «Palestinian Lives Matter» mit «Black Lives Matter» und damit der Bürgerrechtsbewegung in den USA gleich. Von daher kann es eigentlich nur eine Frage der Zeit sein, bis wichtige Teile der demokratischen Partei offen nach einer «Einstaatenlösung» zwischen Mittelmeer und Jordan rufen werden.


Judenfeindliche Klischees

Die Republikaner haben ihr eigenes Antisemitismus-Problem. Hatten Parteigrössen von Donald Trump abwärts George Soros beharrlich mit klassischen Verschwörungstheorien diffamiert, entwickeln sich judenfeindliche Klischees und Anmassungen zu Selbstgängern. So hat Marjorie Taylor Greene nun ihren skandalösen Vergleich zwischen Maskenpflicht und Covid-Impfungen mit dem Holocaust nachdrücklich wiederholt. Vor einer Woche hatte die republikanische Kongress-Abgeordnete aus Georgia erklärt, Nancy Pelosi sei geisteskrank, weil sie als Sprecherin des Repräsentantenhauses weiterhin auf Maskenpflicht wegen Covid-19 bestehe. Dies gemahne an Zeiten, «an denen Menschen befohlen wurde, einen goldenen Stern zu tragen». Diese Personen seien als «Menschen zweiter Klasse behandelt worden und zwar in solchem Ausmass, dass sie in Nazi-Deutschland in Züge gesteckt und zu Gaskammern verbracht worden sind».

Nach Kritik seitens jüdischer Organisationen doppelte Greene diese Woche auf Twitter und an einem TV-Interview nach: «Vernünftigen Juden» habe das «Geschehen in Nazi-Deutschland missfallen» – gleiches habe heute für «rational Jews» im Hinblick auf «übergriffige Maskenpflichten und Impf-Massnahmen» zu gelten. Nach vereinzelter Kritik aus den eigenen Reihen hat Greenes Fraktionsführung ihre Äusserungen dann doch als falsch und schockierend verurteilt, gleichzeitig aber auch Nancy Pelosi unterstellt, den «wachsenden Antisemitismus bei den Demokraten» zu ignorieren. Somit bleibt die Palästina-Frage ein «Spielball» der amerikanischen Politik. Von daher wäre es für «Team Biden» vielleicht doch bedenkenswert, dieses gerade für Demokraten so schwierige Thema mit einer Friedensinitiative vom Tisch zu nehmen.


Foto:
Demonstranten in New York, die sich gegen Antisemitismus einsetzen.

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 28. 5. 2021