Bildschirmfoto 2021 05 27 um 23.13.02Yair Lapid, Oppositionschef und Vorsitzender von Jesch Atid, geht Vertrag ein mit der liberalen Meretz

Jaques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Die Spekulationsspirale mit den Parteien der israelischen Rechten im Mittelpunkt dreht sich offenbar bis zur allerletzten Frist unentwegt weiter. Die Allgemeinheit wird zusehends verwirrter, und die einzelnen Vertreter greifen einander immer offener an. Abzuwarten bleibt, ob zuguterletzt nicht alle geschlagen am Boden liegen werden, während der lachende Dritte – Netanyahu – sich den Staub vom Kittel klopfen, aufstehen und sich der Menge als Retter der Nation präsentieren will.
Sogar das ist in diesen Tagen des allgemeinen parlamentarischen Durcheinanders noch durchaus möglich.

Eine gute Woche vor dem Ende der Frist für Koalitionsverhandlungen für eine neue israelische Regierung tauchten am reich bestückten Koalitions-Spekulationshimmel neue Aspekte auf: Laut «Haaretz» vom Mittwoch Nachmittag haben Oppositionschef Yair Lapid, Chef von «Jesch Atid», in der Nacht zum Mittwoch ein präliminares Abkommen mit der liberalen Meretz unterzeichnet. Demnach würde Meretz-Boss Nitzan Horowitz einer Koalition beitreten und das Gesundheitsministerium übernehmen, was die Bildung einer mitte-links-Regierung erleichtern würde. Bezalel Smotrich, Führer der religiös-zionistischen Partei, warf Naftali Bennett und Ayelet Shaked von «Yamina» am Mittwoch vor, auf dem Weg zur Bildung einer «linksgerichteten Partei» zu sein. Smotrich sagte laut «Haaretz», Bennet und Shaked hätten rechtsgerichtete Wähler ausgetrickst, als sie sagten, eine Regierung mit Yair Lapid sei «weg vom Tisch». Sie hätten diesen Schritt nur unternommen, sagte Smotrich, um den Druck von rechts während der Operation «Wächter der Mauer» im Gazastreifen zu lindern. «Bennet und Shaked tricken die Wähler seit zwei Wochen schon aus, während sie effektiv am Zustandekommen einer Linksregierung arbeiten». Smotrich sagt ferner, Yamina-Offizielle (Bennett) hätten ihn gebeten, der Regierung beizutreten. Er erwiderte jedoch, er würde seine Seele nicht den Linken verkaufen.

Jetzt warten alle Interessierte auf eine «dramatische Preessekonferenz» Bennetts in den nächsten Tagen. Im Mittelpunkt soll eine Erklärung Bennetts dazu stehen, wie er das Abhalten eines weiteren Wahlgangs in Israel verhindern will. Ayelet Shaked ihrerseits wollte noch am Mittwoch vor die Journalisten treten und über ihre politische Zukunft sprechen. Smotrich nimmt sich kein Blatt vor den Mund: «Bennett und Shaked lügen. Der Grund, weshalb eine rechtsgerichtete Regierung nicht gebildet werden wird, liegt darin, dass sie eine linksgerichtete Regierung auf die Beine stellen wollen».

Ob das israelische Polit-Karussell sich dieser Tage nach links oder nach rechts dreht, spielt letztlich kaum noch eine Rolle. Ausschlaggebend wird sein, ob in spätestens sieben Tagen jemand Staatspräsident Rivlin eine Liste mit den Namen von 61 (von total 120) hinter ihm stehenden Abgeordneten präsentieren kann. Dann hat Israel eine neue Regierung. Erhält Reuven Rivlin diese ominöse Liste nicht, wird es in absehbarer Zeit einen 5. Wahlgang für die gepeinigten Bürger Israels geben.

Foto:
Yair Lapid mit Avidgor Lieberman und Merav Michaeli bei der Knesset
©tachles

Info;
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 27. 5. 2021