Ole Wattwurm
Fedderwardersiel (Weltexpresso) - Sehr geehrte Redaktion, eigentlich habe ich damit gerechnet, dass Adele Hübner etwas zu den deutschen Pleiten bei der Fußball- EM und beim Afghanistan-Einsatz schreiben wird. Nun ist ihr wohl die Spucke weggeblieben, oder sie kämpft noch mit sich, was wichtiger war.
Die Leute beim ZDF und bei der ARD wussten sofort, dass das Thema Fußball wichtiger ist als Afghanistan. Beide haben das Ausscheiden der deutschen Mannschaft bei der Euromeisterschaft in den nächsten Nachrichtensendungen an die Spitze gestellt, so als stünden Ruhm und deutsche Ehre auf dem Spiel. Dabei hat es im Wembley-Stadion keinen einzigen Toten gegeben, ganz anders als in Afghanistan.
Wenn es um die Frage geht, was wichtiger ist, Unterhaltung oder Politik, geben die öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunkmacher der Unterhaltung immer öfter den Vorrang. So war das auch diesmal. Das strengt die Leute nicht so an, wie ein Gespräch über Sinn und Zweck des Einsatzes in Afghanistan. Über Fußball weiß jeder Zweite mindestens genau so Bescheid wie der Bundestrainer. Nichts hören die Leute bei schlechtem Wetter oder einem Unfall vor der eigenen Haustür lieber, als die offizielle Bestätigung dafür im Radio oder im Fernsehen.
Mit dem Geschmack des Publikums an den Programmen verhält es sich so wie mit dem Essen: Man kann sich an gutes Essen genau so gewöhnen wie an schlechtes. Es kommt nur darauf an, wer am längeren Hebel sitzt und was am leichtesten durch die Kehle oder das Ohr rutscht. Bei den Einen gibt die Quote den Ausschlag, bei den Anderen der Kassenstand. Wer viel Zeit mit dem Konsumieren von leichter Ware verbringt, und dazu gehört der Fußball nun mal, dem bleibt wenig Zeit, sich der Politik und damit einer viel schwerer zu verdauenden Kost zuzuwenden.
Zwanzig Jahre mussten deutsche Soldaten beiderlei Geschlechts in Afghanistan ihre Köpfe für eine Sache hinhalten, deren Sinn und Zweck ihnen bis zum Schluss nicht einmal ihre Vorgesetzten erläutern konnten. Selbst in deren Ohren muss das politische Gerede von der unverbrüchlichen Solidarität mit den USA im Kampf gegen den Terrorismus blechern geklungen haben. Auf welcher Seite haben unsere Soldaten eigentlich gestanden? Auf der Seite der armen Bauern, die sich durch den Anbau von Schlafmohn gerade am Leben halten oder auf der Seite der Drogenbarone, von denen viele längst ihren Frieden mit den Taliban gemacht haben oder selbst deren Oberschicht angehören.
Die ganze Führungsebene der Taliban lebe im benachbarten Pakistan, sagte der renommierte Taliban-Experte Ahmed Rashid im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung vom 30. Juni 2021. „Sie sind mit Frauen von dort verheiratet, ihre Kinder gehen dort zur Schule, viele ihrer Kinder haben Universitätsabschlüsse und arbeiten dort.“ Nach seinen Angaben wollen die Taliban ein islamisches Rechtssystem errichten, das andere Afghanen aber nicht akzeptierten. „Wir wissen immer noch nicht genau, was die Taliban wollen. Ihre Kommentare zur Zukunft Afghanistans sind rätselhaft.“
Ohne Pomp und Trara wurden die deutschen Soldaten empfangen, als sie auf dem abgelegenen Flugplatz Wunstorf wieder deutschen Boden betraten. Weder Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer von der CDU, noch die sozialdemokratische Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, nutzten die Gelegenheit zu ein paar markigen Worten über das militärische Abenteuer. Damit fehlte den Kameraleuten und ihren Vorgesetzten das bisschen Glamour, das sie bei der Gewichtung von Fußball und Afghanistan möglicherweise noch hätte schwankend machen können. Sie opferten dem Quotengötzen und gaben dem unterhaltsamen Allerweltsthema Fußball wieder einmal den Vortritt.
Fotos:
©fussball- spielplan.de
©de.nachrichten.yahoo.com.
©fussball- spielplan.de
©de.nachrichten.yahoo.com.