Bundeswehrsoldaten zuruck aus AfghanistanDort, wo die deutsche Demokratie verteidigt werden sollte

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Heute erscheint es kaum vorstellbar, dass es in Afghanistan vor 40 Jahren eine kommunistische Partei gab.

Tatsächlich kam es dort am 27. April 1978 zu einem Staatsstreich, initiiert von der „Kommunistischen Demokratischen Volkspartei Afghanistans“. Ihre Ziele waren die weitgehende Entmachtung der Oberschicht, die Säkularisierung des Landes und der Neuaufbau demokratischer und sozialer Strukturen, was bereits von König Mohammed Zahir Schah ab den 1930er Jahren versucht worden war. Mit dessen Sturz im Jahr 1973 geriet das Land in eine andauernde Instabilität, die vor allem vom Nachbarstaat Pakistan und später von der Islamischen Republik Iran geschürt wurden.

Die Kommunistische Partei verstrickte sich bei der Verfolgung ihrer Pläne jedoch in eine erfolglose Auseinandersetzung mit fundamentalistisch-islamischen Gruppen, den Mudschahedin. Als die Lage sich dramatisch verschlechterte, rief sie die Sowjetunion zu Hilfe. Die sowjetische Staatsführung befürchtete ohnehin das Überschwappen des politischen Islams aus Pakistan, Iran und Afghanistan auf ihre eigenen muslimisch geprägten Republiken Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan. Daraufhin marschierten sowjetische Truppen 1979 in Afghanistan ein.

Im fernen Washington zeigte sich man sich ob dieser Ereignisse alarmiert. Geopolitische Konstanten, auf die man zur Absicherung des weltpolitischen Status quo gesetzt hatte, schienen sich aufzulösen. Folglich unterstützte man den Feind seines Feindes, nämlich die Mudschahedin. Auch Pakistan und Saudi-Arabien beteiligten sich finanziell und materiell (Waffenlieferungen) an diesen Maßnahmen. US-Präsident Ronald Reagan empfing sogar Abgesandte der Rebellen im Weißen Haus. Es lässt sich nicht mehr einschätzen, ob ihm klar gewesen war, dass er Tod und Teufel zu Tisch gebeten hatte.

Die sowjetischen Truppen zeigten sich dem Guerilla-Krieg der Mudschahedin nicht gewachsen. Es gelang ihnen nicht, den Feind in offenen Schlachten zu stellen und nach Möglichkeit zu besiegen. Als der unerklärte Krieg immer verlustreicher wurde, verließen die Sowjets 1989 das Land, was einen sämtliche Regionen umfassenden Bürgerkrieg auslöste. In letzterem übernahmen die extrem fundamentalistischen Taliban die Hauptrolle; sie waren eine Abspaltung der Mudschahedin.
Der von den Sowjets unterstützte Präsident Mohammed Nadschibullâh konnte sich noch bis 1992 halten, dann wurde er von dem Milizenführer Raschid Dostum gestürzt. Es gelang ihm, in das UN-Hauptquartier in Kabul zu fliehen. Dort wurde er 1996 von den Taliban gefangen genommen und ermordet. Seine Leiche wurde in Kabul öffentlich ausgestellt.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 verlangten die USA von den Taliban, ihrem langjährigen Verbündeten, sich von Al-Qaida zu distanzieren und dessen Kämpfer, die in Afghanistan Unterschlupf gefunden hatten, auszuliefern. Als diese das ablehnten, begann am 7. Oktober 2001 der „Krieg gegen den Terror“. Da der 11. September von der NATO als Angriff auf einen Bündnispartner bewertet wurde, beteiligten sich daran auch andere Staaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland. Die Taliban wurden zunächst entmachtet und vor allem nach Pakistan vertrieben. Von dort aus operieren sie jedoch bis heute in kleinen Guerilla-Einheiten und verüben in den Städten Anschläge, die von Selbstmordkommandos durchgeführt werden.

Bereits im Dezember 2001 trafen sich die Führer afghanischer Milizen und Stämme sowie Vertreter von Exilgruppen auf der Petersberger Konferenz in Bonn. Sie entwarfen einen Stufenplan zur Demokratisierung des Landes sowie zur Bildung einer provisorischen Regierung, welcher der Stammesführer Hamid Karzai vorstehen sollte.

Dieses Vorhaben wäre nur dann realisierbar gewesen, wenn die aufständischen Taliban militärisch besiegt worden wären und falls die Stammesführer eigene Machtinteressen zugunsten einer wirkungsvollen afghanischen Zentralregierung aufgegeben hätten. Stattdessen entwickelte sich die Besetzung durch US- und NATO-Truppen zu einem Krieg der Patrouillen, der nur unzureichend von schlecht ausgerüsteten afghanischen Einheiten unterstützt wurde.

Der Bundeswehr gelang es häufig, zivile Projekte rund um ihre Quartiere zu sichern. Aber selbst dort kam es zu Anschlägen, bei denen insgesamt 59 Soldaten zu Tode kamen. Das Schlagwort des damaligen Verteidigungsministers Peter Struck, das auch die deutsche Demokratie am Hindukusch verteidigt würde, erwies sich bald als ein Synonym für Fehleinschätzung, Ohnmacht und militärisches Versagen.

Wer in einen Krieg zieht, muss seinen Gegner militärisch besiegen wollen. In den unzugänglichen Gebirgsregionen Afghanistans war allerdings an typische Feldschlachten nicht zu denken. Mithin wäre nur ein pausenloser, sich über Monate hinziehender Luftkrieg infrage gekommen, der auch auf die Grenzregionen in Pakistan auszudehnen gewesen wäre. Stattdessen wurde es ein Kampfeinsatz der halben Sachen, auf den die Gegner mit ihrer typischen Ausweichtaktik antworteten. Den USA wurde dieser Krieg am Ende der Welt zu bedeutungslos, zu opferreich und zu teuer. Seit Juli dieses Jahres läuft der Rückzug, auch die deutschen Truppen sind bereits wieder zu Hause.

Kaum war zum letzten Appell geblasen worden, rückten die Taliban vor und besetzen seither Tag um Tag wichtige Städte. Auch das „deutsche“ Kundus ist an sie gefallen. Die afghanischen Mitarbeiter der Bundeswehr fürchten um ihr Leben, denn menschliches Leben scheint für die frommen Ultras keinen Wert zu besitzen. Die zauderhafte Rückführung der ehemaligen Helfen ist genauso blamabel, wie der Kampfeinsatz nach militärischen Maßstäben miserabel durchgeführt war. Es gibt keinen kleinen Krieg im großen Krieg, keinen menschenfreundlichen im menschenverachtenden. Und der Dank des Vaterlands ist einem grundsätzlich nicht sicher – von dem an hohe Offiziere einmal abgesehen.

Afghanistan wird im Blut versinken und eines möglicherweise nicht mehr fernen Tags wird einer die Lunte an eine „taktische“ Atombombe halten und diesen Teil der Erde endgültig auslöschen.

Foto:
Bundeswehrsoldaten zurück aus Afghanistan
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