hochzeitSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 26. August 2021, Teil 4

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main  (Weltexpresso) - Lesen Sie unbedingt die vorherigen Teil eins, zwei und drei, denn besser als die Regisseurin Sonia Liza Kenterman kann man gar nicht ausdrücken, was die Farbe, die Vielfalt, die Menschlichkeit, das Männerverständnis im griechischen Ständestaat ausmachte, der durch den Einbruch der Finanzwirtschaft in dieses ständisch organisierte Gemeinwesen Griechenlands zusammenbrach. Die Autorin und Filmemacherin Kenterman hat ihre Ziele in Worten beschrieben, uns bleibt, mit Freude zu konstatieren, daß sie diese in ihrem Film erreicht hat!

Was an diesem Film so wichtig wird, das ist, daß wir hier im Kleinen erleben, was im Großen zum Zusammenbruch der griechischen Gesellschaft führte. Denn eigentlich ist über Griechenland in unseren Zeitungen heute wenig zu lesen, weil inzwischen der Umbau einer ganzen Gesellschaft von einer Handwerker und Pründegesellschaft in eine kapitalistische Wirtschaft weithin ohne Geräusche vor sich geht.  Wie man darob als kleiner Unternehmer, mit einem Handwerksbetrieb, der aus einem Mann besteht, nicht untergehen muß, sondern den Zeiten trotzt und sich und seine Kunst neu erfindet, davon handelt dieser Film.

Als zuschauende Frau hat man zu diesem Schneider Nikos sowieso ein besonderes Verhältnis, zumal, wenn man sich seine Sachen lange selber geschneidert hatte. Wir sind halt in der Regel tatkräftig, wir Frauen, von den hilflosen Rehen einmal abgesehen. Die rufen ganz bestimmte Männer an deren Seiten, genauso wie wir einem so harmlosen, etwas tumben Mann wie Nikos gerne unter die Arme greifen wollen, ihn auf Trab bringen. Denn erst einmal steht er auf der Stelle. Es kam alles zu schnell. Der bewunderte Herr Papa, wie der Sohn, aber noch deutlicher, wie aus dem Ei gepellt in seinem Auftritt als Grandseigneur, führt einen Schneiderladen, den keiner als Laden bezeichnet hätte, denn heute heißt so etwas Salon. In diesem herrscht Ordnung und die Schnittmuster der hergestellten Anzüge für die Kunden sind sortiert, jede neue Bestellung kann auf alte Maße und Modelle zurückgreifen. Hier ist alles perfekt organisiert, ein großer Aufwand, fürwahr, doch Anzüge schneidern ist eben eine Kunst. Die Geld kostet. Geld, das knapp geworden ist. Zudem wechselt die Mode zu enganliegenden Herrenanzügen. Doch das ist es nicht. Es ist die Herstellung solcher Anzüge in der ehemals Dritten Welt, die Billigproduktion, die es den Weltmarktführern leicht macht, solche Anzüge zu Dumpingpreisen anzubieten - und damit die finanzielle Basis des  Handwerks des Schneiders zu ruinieren und als Ergebnis dieses Handwerk, den Schneider,  verschwinden zu lassen. Das ist bei uns genauso. Nur verlief dies früher, in den Fünfziger und Sechziger Jahren. Heute gibt es noch ein paar Modeateliers und die Flick- und Umnähschneiderei, die vorwiegend von Migranten bedient wird.

Daß aber eine Wirtschafts- und Gesellschaftskrise nicht zwangsläufig rabenschwarz ausgeht, dafür ist Nikos und dieser Film ein Ausnahmebeispiel. Aber eben ein Beispiel, das man daher mit um so mehr Sympathie verfolgt. Eingezwängt in die Rolle des dienenden Sohnes gegenüber dem väterlichen Herrenschneider verändert sich alles, als der Senior einen Schlaganfall erleidet. Schon zuvor war das Geschäft den Bach runtergeganen und die Bank drohte, keine Kredite mehr zu geben, ja angesichts der bisherigen die Zwangsräumung zu veranlassen. Was für andere zu Tränen und potentiellem Selbstmord führt, macht bei Nikos endlich die Gehirnkanäle frei, setzt eine Phantasie in Gang, die eigentlich vom Bild eines fliegenden Bücherhändlers initiiert war : ein fliegender Anzugshändler. Und ab jetzt müssen Sie einfach schauen, denn die Beschreibung, was nun auf der Leinwand farbenroh kreucht und fleucht, ist in Worten kaum möglich.

Es kommen nämlich die Frauen ins Spiel. Die sind diejenigen, die nach Farben und Stoffen gieren. Schnell stellt sich Nikos um, aus dem kleinen Gefährt ein größeres zu basteln. Da geben die Fahrgestelle viel her, Hauptsache, auf ihnen lassen sich als fliegender Händler sichtbar die bunten Kleider zeigen. Athen, das ist ein abgegrastes Pflaster. Er fährt mit seiner Ware hinaus ins Land. Vor allem die Brautkleider sind es, die die Frauen wollen, individuelle Schönheiten für diesen einen Tag im Leben, der alles zum Guten wenden soll: die eigene Hochzeit. Allerliebst, wie auf einmal die Ideen aus dem Hochzeitsschneider, zu dem er wird, nur so herauspurzeln. Das ist das augenzwinkernde Verdienst von Nikos, daß er kapiert, daß in der Mangelwirtschaft Griechenlands, wo arme Leute immer ärmer werden und Reiche immer reicher, aber die Mittelschicht verschwindet, daß er kapiert hat, daß die eigene Hochzeit etwas Einmaliges ist, wo Frauen für ein individuelles Hochzeitskleid auch Geld ausgehben. Daß dabei auch noch eine andere Frau im Spiel ist und Nikos nicht allein bleiben wird, sei hier nur angedeutet.

Ein warmer, warmherziger und dennoch nicht verlogener Film. Ein kleiner Film, den wir ganz groß finden.



Nikos        Dimitris Imellos
Olga         Tamila Koulieva
Thanasis   Thanasis Papageorgiou
Kostas      Stathis Stamoulakatos
Victoria    Dafni Michopoulou


Info
Teil 1: https://weltexpresso.de/index.php/kino/23042-regiekommentar-2
Teil 2:https://weltexpresso.de/index.php/kino/23043-interview-mit-regisseurin-sonia-liza-kentermann-i
Teil 3:https://weltexpresso.de/index.php/kino/23044-interview-mit-regisseurin-sonia-liza-kentermann-ii