Yves Kugelmann
Paris, (Weltexpresso) - Vor dem Pressekiosk am Boulevard Saint-Germain bildet sich die morgendliche Schlange. Soeben macht die katholische Kirche wieder einmal von sich reden mit dem Hinweis auf rund 300 000 sexuell missbrauchte Kinder allein in Frankreich. An die Dunkelziffern möchte man gar nicht denken. An die weltweiten Missbräuche ebenso wenig wie an allen Verbrechen der katholischen Kirche in der Moderne, die dem Schweigen zum Opfer gefallen sind und wo selbst kriminellste Organisationen wie die Mafia nicht mithalten konnten.
Die einen taten es im Namen Gottes, die anderen mordeten, missbrauchten, erpressten mit niederen menschlichen Instinkten. Die Artikel dieser Tage über kirchlichen Missbrauch lesen sich wie Protokolle des Schreckens, obwohl noch wenig bekannt ist und ein Bewusstsein für die Schmerzen, Leiden, Schrecken der Opfer erst kommen mag, wenn diese selber Einblicke geben.
Was wäre eigentlich, wenn muslimische Koranschulen über Jahrzehnte systematisch Millionen von Kindern sexuell, physisch, psychisch im Stile der katholischen Kirche missbraucht hätten? Wenn Massengräber auftauchen würden von Hunderten von getöteten Kindern – wie sie kürzlich in England entdeckt wurden?
Systematische Vergewaltigungen, Erniedrigung, psychische Versklavung: Was wenn all das in anderem Zusammenhang auftauchen würde, was in diesen Tagen und Monaten einmal mehr über die katholische Kirche ans Tageslicht befördert wird? Was würde geschehen, wenn muslimische Organisationen die Schiedsgerichtsbarkeit anrufen und nicht allen voran die Justiz ermitteln würde?
Was die Weltöffentlichkeit in diesen Tagen und Monaten einmal mehr erfährt, löst kaum mehr Empörung aus. Die Gesellschaft nimmt zur Kenntnis mit dem schon fast üblichen Reflex, wenn etwa Sexualstraftäter wiederum rückfällig werden. Die Inquisition der katholischen Kirche liegt Jahrhunderte zurück und langsam wird manifest, dass vieles, was folgte, ebenso grosse Verbrechen wenn nicht grössere darstellt: Massenmord und Massenmissbrauch.
Wie kommt es, dass bis heute der Beichtstuhl ein rechtsfreier Raum ist, dass hinter den mittelalterlichen Mauern von Kirchen und Klöstern oft immer noch kein Rechtsstaat Einlass findet? Wie einfach ist es doch in diesen hiesigen christlich geprägten Gesellschaften anderen Kulturen Rückständigkeit, deren Verbrechen um die Ohren zu hauen und bei den «eigenen» zu lange wegzuschauen. Die christliche Moral ist eines der erfolgreichsten Exportgüter und Teil der außenpolitischen Attitüde vieler westlicher Länder geworden. Der argumentative Unterbau wackelt allerdings mit jeder neuen Publikation zu den Verbrechen der katholischen Kirche – noch mehr dann, wenn sie sich dem Rechtsstaat zu entziehen versucht, die Tätergeneration in Kirchen die Verbrechen selbst «aufzuklären» versucht und jede Erkenntnis eine vor der nächsten sein wird. Die französische Presse auf jeden Fall hat seit Jahren unbeirrt recherchiert und Missbrauch in Religionsgesellschaften aufgedeckt. Weiter so. Auch in allen anderen Ländern.
Foto:
©deutschlandfunk.de
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 8. Oktober 2021
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.
Systematische Vergewaltigungen, Erniedrigung, psychische Versklavung: Was wenn all das in anderem Zusammenhang auftauchen würde, was in diesen Tagen und Monaten einmal mehr über die katholische Kirche ans Tageslicht befördert wird? Was würde geschehen, wenn muslimische Organisationen die Schiedsgerichtsbarkeit anrufen und nicht allen voran die Justiz ermitteln würde?
Was die Weltöffentlichkeit in diesen Tagen und Monaten einmal mehr erfährt, löst kaum mehr Empörung aus. Die Gesellschaft nimmt zur Kenntnis mit dem schon fast üblichen Reflex, wenn etwa Sexualstraftäter wiederum rückfällig werden. Die Inquisition der katholischen Kirche liegt Jahrhunderte zurück und langsam wird manifest, dass vieles, was folgte, ebenso grosse Verbrechen wenn nicht grössere darstellt: Massenmord und Massenmissbrauch.
Wie kommt es, dass bis heute der Beichtstuhl ein rechtsfreier Raum ist, dass hinter den mittelalterlichen Mauern von Kirchen und Klöstern oft immer noch kein Rechtsstaat Einlass findet? Wie einfach ist es doch in diesen hiesigen christlich geprägten Gesellschaften anderen Kulturen Rückständigkeit, deren Verbrechen um die Ohren zu hauen und bei den «eigenen» zu lange wegzuschauen. Die christliche Moral ist eines der erfolgreichsten Exportgüter und Teil der außenpolitischen Attitüde vieler westlicher Länder geworden. Der argumentative Unterbau wackelt allerdings mit jeder neuen Publikation zu den Verbrechen der katholischen Kirche – noch mehr dann, wenn sie sich dem Rechtsstaat zu entziehen versucht, die Tätergeneration in Kirchen die Verbrechen selbst «aufzuklären» versucht und jede Erkenntnis eine vor der nächsten sein wird. Die französische Presse auf jeden Fall hat seit Jahren unbeirrt recherchiert und Missbrauch in Religionsgesellschaften aufgedeckt. Weiter so. Auch in allen anderen Ländern.
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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 8. Oktober 2021
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.