fritz bauer hdg.deZu den Prozessen gegen Hitlers willige Vollstrecker

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) -  Fünfundzwanzig Jahre ist es her, seit Daniel Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ in Deutschland Furore machte. Da sollte es noch zwanzig Jahre dauern, bis sich die deutsche Justiz erstmals mit einem dieser willigen Vollstrecker beschäftigte, mit John Demjanjuk, dem ukrainischen SS-Wachmann im Vernichtungslager Sobibor. Bis dahin brauchte keiner dieser willigen Vollstrecker um sein Wohlbefinden fürchten. Die höchsten deutschen Gerichte hatten so hohe juristische Hürden errichtet, dass ohne den Nachweis einer ganz konkreten persönlichen Schuld niemand haftbar gemacht werden konnte. Dieser Nachweis war nach so langer Zeit in der Regel nicht zu führen.

Einen gab es allerdings, der darauf bestand, dass alle sich schuldig gemacht hatten, die als „kleine Rädchen“ in die Todesmaschinerie eingebunden waren; ohne sie hätte sie nämlich nicht funktioniert. Vergeblich versuchte der hessische Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer   die Schwurgerichtskammer am Frankfurter Landgericht im Auschwitz-Prozess  davon zu  überzeugen, dass die Angeklagten gemäß 73 des Strafgesetzbuches wegen Mittäterschaft belangt werden konnten. Er kam damit nicht durch. Vier Jahre nach der Urteilsverkündung entschied  der Bundesgerichtshof am 20. Februar 1969, nicht jeder, „der in das Vernichtungsprogramm des Konzentrationslagers Auschwitz  eingegliedert“ gewesen und dort „irgendwie anlässlich dieses Programms tätig“ geworden sei, sei „objektiv an den Morden beteiligt gewesen“ und für alles Geschehene verantwortlich“.

Für alle, die darauf gehofft hatten, dass die Gerechtigkeit in den Prozessen um die Massenmorde während der NS-Zeit doch noch siegen könnte, bedeutete die Aussage des höchsten deutschen Strafgerichts mehr als eine kalte Dusche. Nun  war klar, dass Gerichtssäle so lange kein Ort für Gerechtigkeit sein können, so lange dieser höchstrichterliche Spruch Bestand hatte. In den folgenden Jahrzehnten wurden sämtliche Ermittlungsverfahren gegen SS-Wachmänner in Auschwitz von den Staatsanwaltschaften eingestellt, konstatierte  die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 26.November 2016, nachdem der BGH  die Verurteilung des SS-Mannes  Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen  bestätigt hatte.  Zur Last gelegt wurde ihm unter anderem, dass er das geraubte Geld der Opfer  gezählt und nach Berlin abgeführt hat.

Den vorausgegangenen  Schuldspruch gegen John Demjanjuk, der 2011 als erster Beschuldigter wegen seiner Tätigkeit als Waschmann in einem Vernichtungslager der Nazis verurteilt worden war, musste der Bundesgerichtshof nicht höchstrichterlich entscheiden, weil der Verurteilte vorher verstarb. Gleichwohl konnte sich Fritz Bauer durch die Verurteilung Demjanjuks mit seiner Rechtsauffassung weitgehend bestätigt sehen. Sein früher Tod bewahrte ihn davor, den Freibrief des BGH für Abertausende  von mutmaßlichen Nazimördern kommentieren zu müssen.

Nun hat  in Brandenburg der Prozess gegen einen ehemaligen Wachmann im Konzentrationslager Sachsenhausen begonnen. Seine Aufgabe bestand einst darin, Wachdienst zu schieben, während andere SS-Angehörige unter anderem an der Genickschussanlage tätig waren. Dort wurden 1941 binnen weniger Tage 13 000 sowjetische Kriegsgefangene auf heimtückische Weise ermordet. Der Beschuldigte war bei Kriegsende von sowjetischen Truppen gefangen genommen worden und kehrte nach zweijähriger Gefangenschaft in die sowjetische Besatzungszone Deutschlands zurück.  Als Schlosser und Genossenschaftsbauer lebte er später in der DDR, deren Staatssicherheitsdienst um seine frühere Tätigkeit wusste. Er betrachtete dieses Kapitel durch die Gefangenschaft offensichtlich für erledigt. Nicht so die bundesdeutsche Justiz. Sie hält den inzwischen hundert Jahre alten willigen Vollstrecker von einst der Beihilfe zum Mord für schuldig. „Was bringt es, einem Methusalem den Prozess zu machen“, fragte jetzt die Süddeutsche Zeitung .  „Es ist die Suche nach Frieden, und Frieden entsteht durch Gerechtigkeit“, antwortete Thomas Walther als Vertreter der Nebenkläger.

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