www1.wdrdeÜber einen neuen Versuch, den Kapitalismus zu verschönern

Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso)  Unter der Überschrift „Kleiner Rebell“ spottet ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung namens  Moritz Baumstieger  in der Ausgabe seines Blattes vom 28. Oktober über ein Buch des ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, in dem es –vereinfacht gesagt – um eine Alternative zum Kapitalismus geht. Es trägt den Titel „Ein anderes Jetzt“ und ist im Münchner Kunstmann-Verlag erschienen.

Eigentlich würde man sehr gerne lesen, wie ein linker Vordenker das uralte Lied von gerechtem Lohn statt Profit in die Gegenwart überträgt, frotzelt der Rezensent über den von ihm so bezeichneten  „ewigen Rebellen“, aber  Varoufakis  verliere sich in „mal langen, mal sehr langen Monologen“. Immer wenn man denke, Gedankenkaskaden von der Länge einer halben Seite könnten nicht übertroffen werden,  kämen tatsächlich noch längere. Wieder einmal zeige sich, wie wenig Anziehungskraft  linke Visionen von einer gerechteren Gesellschaftsordnung  derzeit entfalten könnten.

Offensichtlich hat der kleine Kläffer verschlafen, dass die eigene Zeitung am 5. Mai 2021  in großer Aufmachung mit einer gegenteiligen Botschaft an die Öffentlichkeit getreten war. Unter der Überschrift „Das Ende der Patriarchen“ schrieb der Leiter des Wirtschaftsressorts, Marc Beise: „An diesem Mittwoch verändert sich die Wirtschaft“. Spitzenpolitiker fast aller Parteien hätten sich auf ein Projekt verständigt, das den modernen Kapitalismus in Deutschland im 21. Jahrhundert prägen könnte. Nicht mehr der Profit des Eigentümers solle an erster Stelle stehen, sondern die Verantwortung für die Gemeinschaft. Die entsprechenden Unternehmen blieben zwar im Eigentum der Unternehmerfamilie, nur werde die Familie jetzt anders definiert. Zum Beispiel könnten das auch Mitarbeiter sein, wie das bereits in Anwalts- oder Architektenpartnerschaften praktiziert werde.

Um das zu ermöglichen, so Beise, solle eine neue Rechtsform mehr und anders als bisher Vorsorge treffen, dass das Unternehmensvermögen dem Unternehmen dient und jeder Gesellschafter für seine Leistung marktgerecht fair – aber nicht mehr ausufernd – entlohnt wird. Die Chance sei groß, dass die nächste Bundesregierung eine neue Gesellschaftsform mit dem Namen „Gesellschaft mit gebundenem Vermögen“  (GmgV) einführt, wie es das seit der Gründung der heute allseits beliebten GmbH im Jahr  1892 so grundsätzlich nicht mehr gegeben habe.

Nach Darstellung der Süddeutschen Zeitung haben zwölfhundert mittelständische Unternehmen in einem Aufruf von der Politik gefordert, die neue Rechtsform einzuführen, darunter bekannte Namen wie Otto-Versand, Bosch und Ritter Sport. Eine repräsentative Umfrage des Allensbach-Instituts habe ergeben,  dass 57 Prozent der Inhaber und Geschäftsführer von Familienbetrieben Verantwortungseigentum für eine gute Lösung halten.  Der Interessenverband „Die Familienunternehmer“ fürchte allerdings, dass das „unser ganzes bisheriges Gesellschaftsmodell zur Disposition“ stelle.

Der Artikel von Marc Beise scheint bei Herausgebern und Großkunden nicht gut angekommen zu sein. Jedenfalls griff der Leiter des Wirtschaftsressorts das Thema am folgenden Tag an  prominenter Stelle noch einmal auf. In einem Leitartikel stellte er klar, dass niemand das Eigentumsrecht des Grundgesetzes antasten wolle. Von einem „Sozialismus auf leisen Sohlen“, wie in Mittelstandskreisen geunkt werde,  könne nicht die Rede sein. Das Unternehmensrecht habe mehr als hundert Jahre gut funktioniert, aber inzwischen passierten  Dinge, die angesichts der schwindenden Akzeptanz der Marktwirtschaft aber auch „ in Abgrenzung zum profitkonzentrierten amerikanischen Kapitalismus“  zum Nachdenken zwängen.

Was  bei den politischen Parteien von den guten Vorsätzen bleibt, wird sich nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen herausstellen.  Zwar zeigen sich auch die Freien Demokraten in ihrem Wahlprogramm offen für „neue Formen nachhaltigen Unternehmertums“, ihr Vorsitzender Christian Lindner äußerste sich aber eher reserviert zu den Erfolgsaussichten. Mehr als eine  „vertiefte Prüfung“ werde es in einem Koalitionsvertrag mit der FDP nicht geben, meinte er. Damit bleibt  der Gesetzentwurf für eine Gesellschaft mit gebundenem Eigentum  als Alternative zum jetzigen Kapitalismus immerhin auf dem Tisch, auch wenn dieser oder jener kleine Kläffer das nicht mitbekommen sollte.

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