nsuneuVorhang zu – doch alle Fragen offen

Conrad Taler

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Unser Mitarbeiter Conrad Taler veröffentlichte vor acht Jahren zum Abschluss der Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, den der Bundestag zur Aufklärung der NSU-Mordserie eingesetzt hatte, in der Zeitschrift „Ossietzky“ einen Artikel zur politischen Vorgeschichte des mörderischen Treibens der Rechtsextremisten, den wir angesichts der aktuellen Situation am 10.Jahrestag des Auffliegens der rechten Untergrundorganisation  mit freundlicher Genehmigung des Verfassers  unverändert abdrucken. (Die Redaktion).

Noch nie ist über staatliche Einrichtungen unseres Landes so vernichtend geurteilt worden, wie im Zusammenhang mit der Mordserie des nationalsozialistischen Untergrunds. Ein „historisch einmaliges Desaster“ sei das gewesen, erklärte der Vorsitzende des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy von der SPD, zum Abschluss der Arbeit des parlamentarischen Gremiums, das die Hintergründe des Versagens sämtlicher Geheimdienste und der Polizei aufklären sollte. Dennoch wurde niemand schuldig gesprochen. Kein Wunder - wer schlägt sich schon gern selbst ins Gesicht. Die politische Orientierung, die zu diesem Versagen geführt hat, wurde nämlich vom demokratischen Rechtsstaat selbst vorgegeben.

Eine Politik, die unser Gemeinwesen im Wesentlichen von links her bedroht sieht, schmälert naturgemäß die Aufmerksamkeit gegenüber Gefahren aus anderen Richtungen. Wer den Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden Scheuklappen verordnet, die ihnen den Blick auf die Neonazis verstellen, der darf sich nicht wundern, wenn neun Menschen ausländischer Herkunft ermordet werden, ohne dass jemand auf die Idee kommt, die Verbrechen könnten einen rechtsextremistischen fremdenfeindlichen Hintergrund haben. Damit sich Derartiges nicht wiederholt, helfen organisatorische Verbesserungen bei der Zusammenarbeit nur wenig. Auch in den Köpfen muss sich etwas verändern. Der Ruf nach einem „umfassenden Mentalitätswechsel“  zielt in diese Richtung.

Zwanzig Jahre nach dem Ende der Sowjetunion sollte sich der Verfassungsschutz allmählich von der Vorstellung frei machen, Deutschland vor einer kommunistischen Bedrohung schützen zu müssen. Der sieht dazu allerdings so lange keine Veranlassung, wie die politisch Verantwortlichen in den Schützengräben des kalten Krieges verharren. Für den Generalsekretär der CSU, Alexander Dobrind, steht der Feind weiterhin links, und sein Unionsfreund Ronald Pofalla meinte gar, die Linkspartei. habe als postkommunistische Einrichtung in Deutschland überhaupt nicht zu suchen. Wie eine Jungfrau, die nicht mit dem Teufel ins Bett gehen will, lehnte es die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag ab, zusammen mit der Linksfraktion für eine Resolution gegen den Antisemitismus zu stimmen. So geschehen am 70. Jahrestag der Reichspogromnacht vom 9. November.

Leider unterscheidet sich die Sozialdemokratische Partei in dieser Hinsicht nicht von den Unionsparteien. 1969 warnte ihr Präsidium die Parteimitglieder davor, sich unbesehen an Protesten gegen die rechtsradikale NPD zu beteiligen. Dahinter könnten sich Kommunisten verbergen, die solche Bürgeraktionen für ihre Ziele missbrauchten. Die Idee, Initiativen gegen den Rechtsextremismus nur dann finanziell zu unterstützen, wenn sie nicht mit linken antifaschistischen Gruppen kooperierten, hat sich nicht Familienministerin Kristina Schröder von der CDU ausgedacht, sondern Innenminister Otto Schily von der SPD. Der sozialdemokratische Innenminister Reinhold Gall in dem von einem Grünen regierten Baden-Württemberg sah keinen Grund, sich von der schäbigen Diffamierung des „Schwurs von Buchenwald“ durch eine Bedienstete des Landesamtes für Verfassungsschutz zu distanzieren, er tat die Beleidigung der KZ-Opfer als Privatmeinung ab.

Wer die Untätigkeit staatlicher Organe im Fall der Mordserie des nationalsozialistischen Untergrunds bewerten und Vorkehrungen gegen eine Wiederholung durchsetzen will, darf die  lange Geschichte der Verharmlosung rechtsextremistischer Umtriebe nicht außer Acht lassen. Sie beginnt damit, dass der Verfassungsschutz vor fünfzig Jahren in seinem ersten Jahresbericht verkündete, der Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik sei organisatorisch zersplittert und schwach, als politische Ideologie verworren, widersprüchlich und ohne Anziehungskraft. „Der Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik Deutschland vereinsamt“ schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 21. August 1962. Nach Ansicht der Verfassungsschutzämter werde dem Rechtsradikalismus eine Bedeutung beigemessen, die ihm nicht zukomme. Häufig seien irrige und missverständliche Zahlen als kommunistische Hetze erkannt worden.

Nach der Sündenbockmethode verfuhr auch die Düsseldorfer Polizei, nachdem am 17. Januar 1959 an der örtlichen Synagoge Hakenkreuze entdeckt worden waren. Als mutmaßlicher Täter wurde wenige Stunden danach ein junger Kommunist festgenommen, der später wegen erwiesener Unschuld auf freien Fuß gesetzt werden musste. Die wahren Urheber konnten inzwischen entkommen. Zwanzig Jahre später – wieder einmal war im Zusammenhang mit antisemitischen Provokationen von einem Wiederaufleben des Rechtsradikalismus die Rede – machte der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß im konservativen „Deutschland-Magazin“ (Heft8/1979) den sowjetischen KGB oder andere kommunistische Geheimdienste für Hakenkreuzschmierereien auf jüdischen Friedhöfen verantwortlich.

Was Strauß dem politischen Gegner im Osten andichtete – die Inszenierung von Skandalen zum eigenen Vorteil -  praktizierte zur gleichen Zeit der deutsche Inlandsgeheimdienst mit größter Selbstverständlichkeit. Angehörige des Verfassungsschutzes zündeten 1978 einen Sprengsatz an der Außenmauer des Celler Gefängnis mit dem Ziel, einem dort inhaftierten RAF-Terroristen den Eindruck eines Befreiungsversuchs durch Gesinnungsgenossen zu vermitteln, die als V-Leute in die Terror-Organisation eingeschleust werden sollten. Der Schwindel wurde erst viele Jahre später aufgedeckt.

Wie lange es dauern wird, bis die Rolle des Verfassungsschutzes bei der Ermordung von Ausländern durch den Nationalsozialistischen Untergrund restlos geklärt sein wird, steht dahin. Dazu müsste ein neuer Untersuchungsausschuss des Bundestages eingesetzt werden. Nach Ansicht der Hinterbliebenen lässt der von Sebastian Edathy vorgelegte Bericht Vieles im Dunklen. Die Süddeutsche Zeitung vom 24./25. August 2013 stellte lapidar fest: „Was genau im Verfassungsschutz, dem BND und dem MAD vor sich geht, weiß niemand.“

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