Erinnerung an die Rede Roman Herzogs vom 19. Januar 1996
Kurt Nelhiebel
Bremen (Weltexpresso) – In wenigen Tagen jährt sich zum 26. Male der Tag, an dem Bundespräsident Roman Herzog vor dem Deutschen Bundestag den 27. Januar zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erklärte. Kalendarischer Anlass war der Jahrestag der Befreiung des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz durch sowjetische Truppen wenige Monate vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Er verbinde mit dem Gedenktag die Hoffnung, sagte Herzog, „wir möchten gemeinsam Formen des Erinnerns finden, die zuverlässig in die Zukunft wirken.“ Was ist aus der Hoffnung des Bundespräsidenten geworden? Sein Wunsch, das Erinnern möge zuverlässig in die Zukunft wirken, ist offensichtlich ungehört verhallt. Gegen Ende des abgelaufenen Jahres habe ich das Bundespresse- und Informationsamt der neuen rot-grün-gelben Bundesregierung gefragt, an welcher Stelle des Koalitionsvertrages ich etwas über die Würdigung des deutschen Widerstandes gegen das Naziregime finde.
Der Bürgerservice des Amtes wusste mit der Frage nichts anzufangen. Er antwortete: „Bezüglich Ihres Anliegens müssten Sie sich an die Parteien wenden.“ Habe ich da etwas falsch verstanden oder hat mich das Presseamt missverstanden? Hat die Bundesregierung nichts mit der Erinnerung an den deutschen Widerstand gegen das Naziregime und mit der Erinnerung an die Opfer zu tun? Waren die ganzen Hoffnungen auf einen Politikwechsel umsonst? Der Widerstand gegen das Naziregime ist schließlich das politisch-moralische Fundament unseres freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates.
„Die Erfahrung der NS-Zeit verlangt von uns und allen künftigen Generationen, nicht erst aktiv zu werden, wenn sich die Schlinge schon um den eigenen Hals legt?“ Waren diese Worte Roman Herzogs in den Wind gesprochen? So schwerhörig sollten Mitarbeiter einer Dienststelle der Bundesregierung nicht sein. Zumindest sollte ihnen die Präambel des Bundesentschädigungsgesetzes vom 18. September 1953 geläufig sein: „Der aus Überzeugung oder um des Glaubens oder des Gewissens willen gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistete Widerstand war ein Verdienst um das Wohl des deutschen Volkes und Staates.“
Ich schrieb also an die drei Regierungsparteien. Geantwortet hat nur die SPD, die mir in einem freundlichen Brief mitteilte, dass sich eine ausdrückliche Benennung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus im Koalitionsvertrag aufgrund der beschränkten Textvorgaben nicht finde, wohl aber eine ausführliche Erinnerung an die NS-Terrorherrschaft. Grüne und Freie Demokraten haben nicht geantwortet. Mit der von Herzog erwünschten in die Zukunft weisenden gemeinsamen Form des Erinnern ist es demnach nicht weit her.
Selbst das Bundesentschädigungsgesetz mit seiner schönen Präambel kommt nicht ohne demokratisch verbrämten Pferdefuß aus. Der Paragraph 6 bestimmt: „Von der Entschädigung ausgeschlossen ist, wer nach dem 23. Mai 1949 die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinn des Grundgesetzes bekämpft hat.“ Das wurde allen politisch aktiven Kommunisten unterstellt. Die meisten verloren ihre Renten wegen erlittener KZ- oder Gefängnishaft und mussten staatliche Entschädigungsleistungen zurückzahlen.
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