... „Solidarität ist ein Wort, das nicht immer gut ankommt!“
Klaus Jürgen Schmidt
Norddeutschland (Weltexpresso) - Wer hat so gesprochen? Und wer hat weiter gesagt: „Es ist ein Wort, das viel mehr meint als einige sporadische großherzige Gesten.“ Und: „Solidarität meint, die strukturellen Ursachen von Armut und Ungleichheit zu bekämpfen.“ Wer war's?
Gleich werden Sie weitere Zitate aus der auf Spanisch gehaltenen Rede lesen, die in den Medien für wenig Aufsehen sorgte, was erstaunt, weil dem Mann sonst höchste Aufmerksamkeit sicher ist. Raten Sie doch mal, wer es war! Die Übersetzung aus dem Spanischen hat Elsa Maria Schmidt besorgt.
>>>... Ihr gebt Euch nicht zufrieden mit illusorischen Versprechungen, Ausreden oder Alibis. Ihr wartet auch nicht untätig darauf, dass Nichtregierungsorganisationen, Sozialpläne bzw. Hilfsmaßnahmen Euch beistehen, die nie ankommen, oder wenn sie ankommen, häufig nur dazu dienen, entweder zu narkotisieren oder zu domestizieren. Das sind gefährliche Mittel. Ihr glaubt, dass die Armen nicht länger warten, sondern die Sache selbst in die Hand nehmen wollen, sich organisieren, studieren, arbeiten, reklamieren und vor allem diese besondere Art von Solidarität praktizieren, die es unter den Leidenden, unter den Armen gibt und die unsere Zivilisation vergessen zu haben scheint, oder zumindest allzu gerne vergessen machen möchte. ...
>>>... Solidarität ist ein Wort, das nicht immer gut ankommt, ja, ich würde sagen, dass wir es manchmal sogar zu einem unanständigen Wort gemacht haben, das man nicht sagen darf. Aber es ist ein Wort, das viel mehr meint als einige sporadische großherzige Gesten. Es meint, dass man denkt und handelt im Sinne von Gemeinschaft, dass das Leben aller wichtiger ist als die Güteranhäufung einiger weniger. Solidarität meint auch, die strukturellen Ursachen von Armut und Ungleichheit zu bekämpfen, wenn Arbeitsplätze fehlen, Land oder Wohnraum nicht zur Verfügung stehen, wenn Sozial- und Arbeitsrechte vorenthalten werden. Solidarität meint, sich auseinanderzusetzen mit den zerstörerischen Auswirkungen des Geld-Imperiums: Zwangsumsiedlungen, leidvolle Migration, Menschenhandel, Drogen, Krieg, Gewalt und all jene Realitäten, unter denen viele von euch leiden und die zu ändern wir alle aufgerufen sind. Solidarität, in ihrer tiefsten Bedeutung, meint eine bestimmte Art, Geschichte zu gestalten. Und das ist es, was die Sozialen Bewegungen praktizieren. ...
>>>... Man kann den Skandal der Armut nicht bekämpfen, indem man Besänftigungsstrategien entwickelt, die nur beruhigen und die Armen zu domestizierten, zu harmlosen Kreaturen machen sollen. Wie traurig ist es, zu sehen, wenn mit angeblich altruistischen Taten die anderen zur Passivität verleitet werden, oder schlimmer, wenn sich dahinter Geschäfts- oder Privatinteressen verbergen. Solche Menschen würde Jesus Heuchler nennen. Wie schön ist es dagegen, wenn wir sehen, wie ganze Völker, vor allem ihre ärmsten Angehörigen und die Jugendlichen sich in Bewegung setzen. Ja, da spürt man den Wind der Verheißung, der die Hoffnung auf eine bessere Welt wieder aufleben lässt. Dieser Wind soll zu einem Sturm der Hoffnung werden. Das ist mein Wunsch. ...
>>>... Wir leben in Städten, die Türme, Einkaufszentren bauen und Immobiliengeschäfte betreiben ... aber einen Teil von sich selbst an den städtischen Rändern, an den Peripherien aufgeben. Wie weh tut es, wenn man hört, dass Armensiedlungen marginalisiert werden oder – noch schlimmer – dem Erdboden gleich gemacht werden sollen! Die Bilder von Zwangsräumungen, von Bulldozern, die kleine Häuschen niedermachen, sind so grausam wie Kriegsbilder. Und das sieht man heutzutage.
>>>... Ihr wisst, dass in den Armenvierteln, wo viele von euch wohnen, Werte überleben, die in den Wohngegenden der Neureichen längst vergessen sind. Die Siedlungen sind mit einer reichen Volkskultur gesegnet. Der öffentliche Raum ist nicht nur ein Transitraum, sondern Erweiterung des Heims, ein Ort, an dem man Kontakte mit den Nachbarn knüpft. Wie schön sind die Städte, die das krankmachende Misstrauen hinter sich gelassen haben, die verschiedensten Menschen zusammenführen und aus dieser Integration einen neuen Entwicklungsfaktor machen. Wie schön sind die Städte, die auch in ihrer architektonischen Gestaltung viel Raum lassen, in denen es möglich ist, Verbindungen zueinander aufzubauen, in Beziehung zu treten, die Anerkennung der Anderen voranzubringen. Daher keine Marginalisierung und keine Beseitigung von Siedlungen: Die städtische Integration muss vorangebracht werden. Dieses Wort Integration muss ab sofort das Wort Beseitigung ersetzen. Aber auch jene Projekte, die scheinbar die Armensiedlungen verschönern, die Peripherien ordentlicher gestalten sollen und die gesellschaftlichen Wundmale verdecken statt sie zu heilen, müssen ersetzt werden durch die Förderung einer echten, von Respekt geprägten Integration. Häufig haben wir es hier mit einer Art architektonischen makeup´s zu tun, richtig? Jedenfalls geht es in diese Richtung. Lasst uns dafür arbeiten, dass alle Familien ein Zuhause und dass alle Stadtviertel eine ausreichende Infrastruktur haben (Abwasserkanäle, Strom, Gas, Asphalt) und natürlich: Schulen, Krankenhäuser oder Erste-Hilfe-Zentren, Sportvereine und alles, was Verbindung schafft und zusammenführt, ebenso Zugang zu Gesundheit, Bildung und Sicherheit des Besitzes. ...
>>>... Es gibt keine schlimmere materielle Armut als die, sich das tägliche Brot nicht zu verdienen und der Würde der Arbeit beraubt zu sein. Jugendarbeitslosigkeit, informelle Beschäftigungen und fehlende Arbeitnehmerrechte sind nicht unvermeidlich, sie ergeben sich aus einer zuvor getroffenen gesellschaftlichen Option, aus einem Wirtschaftssystem, das den Profit über den Menschen stellt. Hier sehen wir die Auswirkungen einer Wegwerf-Kultur, die den Menschen selbst als Konsumgut betrachtet, das benutzt und dann weggeworfen werden kann. ...
>>>... Und um das noch anschaulicher zu machen, erinnere ich an eine Lehre etwa aus dem 12. Jahrhundert. Ein jüdischer Rabbi erklärte seinen Gläubigen die Geschichte des Turmbaus zu Babel. Er erzählte, um den Turm von Babel bauen zu können, musste man viel Mühe aufwenden. Man musste Ziegel machen. Um Ziegelsteine herzustellen, musste man Lehm bereiten, Stroh herbeiholen und den Lehm mit dem Stroh vermischen und kneten, dann die Masse in Quadrate schneiden, trocknen lassen, dann im Ofen brennen, und wenn sie gebrannt und abgekühlt waren, mussten sie hinaufgetragen werden, um den Turm weiter zu bauen. Mit all dieser Arbeit war ein Ziegel sehr teuer geworden. Wenn also ein Ziegelstein herunterfiel, war das fast eine nationale Tragödie. Wer den Ziegel hatte herunterfallen lassen, wurde schwer bestraft oder suspendiert oder ich weiß nicht, was noch mit ihm geschah. Aber wenn ein Arbeiter herunterfiel, passierte nichts.
Mit dieser Geschichte erklärte ein Rabbi im 12. Jhdt. diese schrecklichen Dinge, die geschehen, wenn der Mensch im Dienste der Gottheit Geld steht. ...
>>> ... Heute fügt man dem Phänomen der Ausbeutung und Unterdrückung eine neue Dimension hinzu, einen anschaulichen harten Gradmesser für das gesellschaftliche Unrecht: alle, die nicht integriert werden können, die Ausgeschlossenen, sind „Überflüssige“, sind Abfall. Das ist die Wegwerf-Kultur. Darüber möchte ich noch etwas mehr sagen, als ich hier aufgeschrieben habe, das mir jedoch gerade in den Sinn kommt. So etwas geschieht, wenn das Geld wie ein Gott im Zentrum eines Wirtschaftssystems steht, und nicht der Mensch, die menschliche Person. ...
>>> ... Kürzlich habe ich gesagt, und ich wiederhole das hier, wir stecken mitten im dritten Weltkrieg, allerdings in einem Krieg in Raten. Es gibt Wirtschaftssysteme, die, um überleben zu können, Krieg führen müssen. Also produzieren und verkaufen sie Waffen. So werden die Bilanzen jener Wirtschaftssysteme saniert, die den Menschen zu Füßen des Götzen Geld opfern. Man denkt weder an die hungernden Kinder in den Flüchtlingslagern, noch an die Zwangsumsiedlungen, weder an die zerstörten Wohnungen, noch an die im Keim erstickten Menschenleben. Wie viel Leid! Wie viel Zerstörung! Wie viel Schmerz! Heute, liebe Brüder und Schwestern, steigt in allen Teilen der Erde, in allen Völkern, in jedem Herzen und in den Sozialen Bewegungen der Schrei nach Frieden auf: Nie wieder Krieg!
>>>... Das Wirtschaftssystem, das sich um den Götzen Geld dreht, muss auch die Natur plündern, die Natur ausplündern, um die Hektik des Konsums aufrecht erhalten zu können, von dem es lebt. Der Klimawandel, der Verlust biologischer Vielfalt, die Waldzerstörung zeigen bereits ihre verheerenden Auswirkungen in den großen Naturkatastrophen, die wir erleben. Und Ihr seid diejenigen, die am stärksten darunter zu leiden haben, die kleinen Leute, die an den Küsten in Hütten leben und die wirtschaftlich so verwundbar sind, dass sie bei einer Naturkatastrophe alles verlieren. ...
>>>... Für die Gesellschaft ist eine Zukunft nur vorstellbar, wenn die Mehrheit der Bevölkerung eine aktive bestimmende Rolle mitspielt. Eine solch aktive Rolle geht über die logischen Verfahren einer formalen Demokratie weit hinaus. Die Aussicht auf eine Welt mit dauerhaftem Frieden und Gerechtigkeit verlangt von uns, jeden paternalistischen Ansatz von Assistenz hinter uns zu lassen und neue Formen der Partizipation zu entwickeln, damit die sozialen Bewegungen aktiv mitwirken können. So könnte der moralische Energieschub, der aus der Eingliederung der Ausgeschlossenen in den Aufbau einer gemeinsamen Zukunft entsteht, zu Regierungsstrukturen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene animieren. Und das konstruktiv, ohne Groll, mit Liebe. ...
WER HAT'S GESAGT?
Nein, nicht erst bei seiner jüngsten Reise nach Griechenland, die es immerhin auch bei uns in die "tagesschau" schaffte. Es war schon am 28. Oktober 2014. Da sprach der Mann vor Männern und Frauen aus allen Erdteilen, engagiert in den Bewegungen Landloser Bauern, Ausgeschlossener Arbeitender, VertreterInnen selbstgeführter Betriebe, von MigrantInnen und BewohnerInnen von Elendsvierteln, darunter die brasilianische Landlosenbewegung MST, der zambische Obdachlosen- und Armen-Verband, eine kurdische Jugendorganisation aus Syrien sowie eine Vereinigung koreanischer Bäuerinnen.
Organisiert vom Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden unter der Leitung von Kardinal Turkson und in Absprache mit den Repräsentanten der verschiedenen Bewegungen hatten sie drei Tage lang miteinander diskutiert.
Papst Franziskus hatte ihnen zugehört und dann das gesagt, was wir oben übersetzt haben ...
Was folgt daraus für seine Kirche?
Für Christen, die sich als solche in politischen Parteien organisiert haben?
RATEN SIE MAL!
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Radio-Podcast: TROMMELN IM ELFENBEINTURM