Andreas Mink
Washington (Weltexpresso) - War da was? Seit Tagen kennen sämtliche Mainstream-Medien der USA neben Covid nur ein Thema: Den heutigen Jahrestag der von Donald Trump angezettelten Erstürmung des US-Kapitols in Washington am 6. Januar 2021. Das Twitter-Konto der Republican Jewish Coalition (RJC) feiert dagegen die miesen Umfragewerte von Joe Biden als Präsident und zeigt ihn an einer Fotomontage inmitten schwarzer Müllsäcke.
RJC-Vorstand Ari Fleischer fordert derweil statt einem Fokus auf den Sturm stärkere Medien-Aufmerksamkeit für «Plünderer, Randalierer und Antifa-Aktivisten vom Sommer 2020» während der Demos nach dem Mord eines weissen Polizisten an dem Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis. Daneben bringt der ex-Pressesprecher von George W. Bush eine Gesetzesvorlage ins Spiel, um bei den Stimmgängen 2024 die Demokraten an einem Staatsstreich und der Annullierung einer Wiederwahl von Donald Trump zu hindern.
Hier ist einmal bemerkenswert, dass Fleischers einstiger Chef längst scharfe Kritik an Trump und seinem putsch-willigen Gefolge geübt hat. Aber Bush ist nicht mehr aktiv in der Politik. Und während das RJC im Gefüge der Partei noch als relativ moderat gelten kann, führt auch für diese Republikaner heute offenkundig kein Weg vorbei an Treue zu Trump. Diese Haltung dürfte unter Konservativen weithin pragmatischer Natur sein – Trump mobilisiert die Basis wie sonst Niemand im Orbit der Grand Old Party. Über die Erringung und Bewahrung politischer Macht darf dann wohl auch die Demokratie in Amerika auf dem Müllhaufen der Geschichte landen.
Aber bei diesem Trauerspiel machen die Demokraten ebenfalls eine schlechte Figur. Hinter einer überalterten Führungsriege und geschwächt von internen Differenzen, marschiert die Regierungspartei bei den Zwischenwahlen im November laut sämtlichen Auguren auf eine historische Niederlage zu. Biden und Parteispitzen wie Nancy Pelosi oder Chuck Schumer bieten keine klare und konsistente Botschaft zum 6. Januar. Am Mittwoch hat Justizminister Merrick Garland zwar auf breite Kritik an seinem angeblich zögerlichen Vorgehen gegen die Trump-Horden reagiert und beharrliche Ermittlungen gegen die Aufrührer und Figuren dahinter bis in höchste Kreise angekündigt.
Aber im unvermeidlichen Kleinklein von Ermittlungen und Anhörungen im Kongress sind die Brisanz der Vorgänge vom 6. Januar und die Verantwortung Trumps und seiner Helfer verloren gegangen. Diese deutlich zu machen, wäre eine politische Aufgabe für Biden gewesen. Aber der fühlt sich daran von seinem Versprechen gehindert, die immer tieferen Differenzen im Lande zu überbrücken. Wer privat mit Demokraten spricht, bekommt aber auch schnell zu hören, dass sie bei den raren Rede-Auftritten Bidens stets vor einem Versprecher oder Lapsus zittern, der den 79-Jährigen unwiderruflich als zu alt für seinen extrem harten Job entlarven würde. Und dazu gehört eine prägnante Präsenz. Denn Trump hat die Öffentlichkeit in einem solchen Ausmass dominiert, dass sein Nachfolger eigentlich gezwungen ist, diesen Raum seinerseits mit Attacken, Vorgaben oder Inspiration zu füllen.
Doch in der Realität ist die Biden-Regierung aus den Startlöchern gestolpert und nach dieser Woche dürfte das Trara um den 6. Januar ebenfalls rasch auf dem Müllhaufen landen. Von Details und mangelnden Konsequenzen dazu abgestumpft, werden Wähler verstärkt auf die wahnwitzigen Covid-Zahlen – eine Million Fälle am Montag! –, die Inflation, Versorgungsengpässe oder unerfüllte Wahlversprechen beim Klimaschutz, Abbau von Studienschulden oder Elternfreizeiten schauen. Dass Biden und seine Partei im letzten Frühjahr Billionen Dollar an Staatshilfen mobilisiert haben, ist dagegen längst vergessen.
So hinken die Demokraten auf ein Debakel im November zu. Der Verlust ihrer knappen Kongress-Mehrheiten wird den Abgang der bald 82-jährigen Pelosi als «Sprecherin» des Repräsentantenhauses und Fraktionschefin besiegeln. Dann dürften die Differenzen zwischen urbanen Linken wie Alexandria Ocasio-Cortez und eher Moderaten aus Vorortsregionen wie Abigail Spanberger offen ausbrechen. Seines Rückhaltes im Parlament verlustig, wird Biden dann kaum mehr etwas ausrichten können. Zwangsläufig erscheint zudem, dass Biden – oder Kamala Harris – einen internen Herausforderer bei den Wahlen 2024 finden wird – vielleicht sogar AOC. Für Drama auf Jahre hinaus ist also reichlich gesorgt.
Die wichtigste Frage dahinter wird jedoch kaum gestellt, nämlich die nach der Haltung wirtschaftlicher Eliten und Lobbies. Nach der Weigerung Trumps, seine Wahlniederlage anzuerkennen, drohten Verbände wie die «Chamber of Commerce» mit einem Spendenstop für Unterstützer der «Big Lie». Momentan gibt es keine Anzeichen für einen solchen Kurs. Und wenn 2024 die Wahl zwischen AOC oder Trump ansteht, würde die Wirtschaft den Steuersenker und Deregulierer kaum im Stich lassen.
Foto:
Eine Aufnahme vom Sturm auf das US-Kapitol.
©tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6.Januar 2021
Eine Aufnahme vom Sturm auf das US-Kapitol.
©tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 6.Januar 2021