Bildschirmfoto 2022 01 10 um 00.46.32Ergebnisse aus der Jahresstudie des Israelisch-Demokratischen Instituts (IDI)

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Würden Israeli sich wünschen, dass sich ihr Land zur Diktatur entwickelt? So extrem, wie die «Jerusalem Post» diese Frage formulierte, würde die Antwort zwar nicht ausfallen, doch auf Grund der umfassenden Jahresstudie des Israelischen Demokratie-Instituts (IDI) kann man eine bejahende Antwort nicht ganz ausschliessen.

Der Israelische Demokratie-Index, der vor dem Wochenende auch Präsident Isaac Herzog präsentiert worden ist, kam immerhin zum Schluss, dass 57 Prozent der Israeli sich eine starke Führungsfigur wünschten, die weder die Knesset, noch die Presse oder die öffentliche Meinung zu Rate ziehen würde, wenn es darum ginge, Entscheidungen zu treffen.

Diese Ziffer, die in den letzten Jahren regelmässig gestiegen ist, lag 2014 noch bei 41 Prozent. Nach ethnischer Zugehörigkeit aufgeteilt, kommt die Studie zum Schluss, dass 55 Prozent der jüdischen Israeli und 61 Prozent der arabischen Bürger der Meinung sind, dass Israel eine starke Führungsperson benötige, die weder von der Knesset, den Medien oder der öffentlichen Meinung entscheidend beeinflusst werde. In diesem Zusammenhang unterstrich Präsident Herzog gegenüber dem IDI, dass der Rückgang des Vertrauens der israelischen Bürger in die staatlichen Institutionen «zutiefst besorgniserregend» sei.

Die «Jerusalem Post» zitiert den Präsidenten wie folgt: «Es gibt keinen Ersatz für Israels Demokratie, und die staatlichen Institutionen lassen sich ebenso wenig ersetzen. Deshalb hält mich der Vertrauensverlust nächtelang wach». Präsident Herzogs Feststellungen gipfeln in der Erkenntnis, dass kein Staat existieren könne, wenn seine Bürger kein Vertrauen in ihn und seine Institutionen setzen. «Das öffentliche Vertrauen in die wichtigsten Funktionen, die jedes staatliche System oder dessen Institutionen besitzt, ist ebenso essentiell wie dessen Verlust ein Warnlicht für uns alle bedeutet», meint Präsident Herzog offen und schonungslos. Die wachsende Spannung und das Misstrauen zwischen den massgeblichen Stellen des Staates – der Exekutiven, der Legislativen und dem Rechtswesen – nennt Herzog als Hauptgründe dafür, dass das Vertrauen der Öffentlichkeit einen  Rückschlag erlitten habe.

Wenn die Konfrontation an die Stelle von Partnerschaft und Zusammenarbeit treten, seien für Herzog die Resultate klar. Man dürfe diesen Zustand allerdings nicht tatenlos hinnehmen: «Wir können und müssen anders handeln». Drei Viertel der arabischen Israeli und 44 Prozent der jüdischen Bürger glauben, dass die demokratischen Grundsätze in Israel gefährdet seien. Auf der jüdischen Seite meinen 63 Prozent der Linken, dass die israelische Demokratie in ernsthafter Gefahr sei. Im Zentrum des jüdischen Bevölkerungsteils sind nur noch 43 Prozent dieser Ansicht, und auf der Rechten sind es gar nur 39 Prozent. Diese zentralen Ergebnisse der IDI-Studie lassen die Vermutung aufkommen, dass die langfristig wacklige Position der Demokratie in Israel wohl erkannt wird, doch ein beachtlicher Teil des Volkes ist noch weit davon entfernt, schon lieber heute als morgen gemeinsam die sich aufdrängenden Schritte zu ergreifen. Bleibt denn nur noch die Ratlosigkeit, der Defaitismus oder wirklich nur noch die Diktatur?

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Vor allem die rechtsgerichtete Bevölkerungsschicht befürwortet die Umgehung der demokratischen Strukturen.
©tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 10. Januar  2022