Bildschirmfoto 2022 01 26 um 22.17.24Zum Auschwitzgedenktag, der allen in den Konzentrationslagern Ermordeten gilt

Iris G. Schmidt

Friedrichsdorf (Weltexpresso) - Wer steckt dahinter? Es ist der Titel eines der Bücher von Prof. Dr. Susan E. Cernyak- Spatz, die buchstäblich der Hölle von Theresienstadt, Auschwitz-Birkenau und Ravensbrück entronnen ist und nur knapp überlebte. In den „Drei Stationen meines Lebens“ beschreibt die Autorin Ihre grauenhaften Erlebnisse, die sie geprägt haben, aber durch ihren kaum nachvollziehbaren unbändigen Willen, am Leben zu bleiben.  nicht vernichtet haben.

Von ihrer Kindheit an, die sie anfänglich in Wien und nach der Übersiedung ihrer Eltern nach Berlin, unbeschwert und kulturell geprägt verlief, war Susan ein fröhliches aufgewecktes Mädchen mit Träumen und Zukunftsplänen. Ihre Eltern führten ein aktives gesellschaftliches Leben mit Theaterbesuchen, Konzerten und Bällen. Als eine der besten Schülerinnen des Chamisso-Lyzeums in Berlin eröffnete sich schon in jungen Jahren eine Welt, die ihr zur damaligen Zeit diverse Möglichkeiten bot, ihre Zukunft nach ihren Wünschen zu gestalten.

Wie schwer fiel es ihr, plötzlich zu verstehen, welche Umstände dafür sorgten, von der Schule abgemeldet zu werden. Sie weigerte sich anfangs hinzunehmen, dass durch politische Ereignisse ein abruptes Ende ihrer Bildungschancen, das Abwenden einiger Freundinnen von ihr und überall eine angebliche Gefahr der jüdischen Bevölkerung ausgehen sollte. Warum? Absurd! Leider musste sie leidvoll erkennen, dass eine massive Verschlechterung der Lebensbedingungen stattfand und es keine Freiheit mehr gab. Ein fortwährendes: „Raus, raus, raus“ erscholl rücksichtslos auf Straßen und aus Häusern.  Juden wurden jeden Tag aufs Neue aus Ihren Wohnungen und Geschäften, eingepfercht in bereitstehende Transport-Fahrzeuge, buchstäblich wie Vieh, verfrachtet, ohne überhaupt zu wissen, wohin es ging.

„Nach einer beklemmenden Fahrt im Güterzug wurden wir in Gruppen eingeteilt. Ein unbeschreiblich ätzender Gestank untermauerte die Grobheit, mit der dieses geschah. Mir konnte nicht bewusst sein, dass ich meine Mutter und Schwester zum letzten Mal sah. Direkt in die Gaskammer brachte man sie mit vielen anderen Müttern mit ihren Kindern“.

„Wahrscheinlich", schreibt sie, "kann sich heute kaum jemand mehr an die Bedeutung des irregeleiteten Begriffes 'Schutzhäftlinge' erinnern." Man sollte vermuten, dass es sich dabei um den Schutz einer Person, etwa vor einer Volksmenge oder vor Personen, die durch staatsgefährdendem Verhalten eine Gefahr für die zu schützende Person bieten sollte.

Im Zuge des November-Progroms 1938 bedeutete dieser „Begriff“ für mehr als 26.000, nach Beginn des Zweiten Weltkrieges mehr als Millionen von Menschen Internierung in einem Vernichtungslager, für die Meisten endete dieser „Aufenthalt“ mit dem Tod.

"Das Leben in allen mir inzwischen bekannten Lagern unterschied sich kaum voneinander. Um einen kleinen Einblick zu geben:  4:30 Uhr schrillten die Pfeifen „Stavaite! Aufstehen! Stavat“ meist Polnisch, Deutsch. Jede von uns versuchte, zur Latrine zu gehen. Natürlich gelang das nicht allen. Wenn auf dem Weg dahin „etwas Natürliches“ passierte, gab es unbarmherzig Prügel. So mussten die dreckigen nassen und blutbeschmierten Uniformen, nach Entlausungsmitteln stinkend – andere Kleidung gab es nicht – in Windeseile, nur irgendwie glattgestrichen werden. Die Macht über unerfahrene Neuankömmlinge wurde brutal ausgenutzt. Wenn man ausgetretene Uniform-Schuhe bekam, war das gegenüber zusammengeschusterten harten Holzpantine ein „wahrer“ Luxus. Wenn jemand durch Wunden an den Füßen nicht mehr weitergehen konnte, wurde er liegengelassen oder kurzerhand „beseitigt“.

In der Nacht durfte nicht aufgestanden werden. Unvorstellbar! Jeder Lagerinsasse musste die Schüssel für seine Notdurft benutzen, die u.a. zum „Waschen“ – es gab nur einen Wasserhahn in der Latrine – und zum „Essenholen“, wenn es denn überhaupt etwas gab. Da wir oft 3-stöckig übereinanderlagen, ein katastrophaler Zustand.

Die Arbeit, oft ausgebombte Gebäude einzureißen, war extrem hart. Ein weiblicher Kapo kam die Reihe entlang und schlug mit einem Knüppel auf den Kopf. Viele ansteckende Krankheiten überschatteten den noch vorhandenen Lebenswillen. Unaufhörlich wiederholte ich bei jeder Peinigung und Erniedrigung: „Ich will leben!“ Irgendeine höhere Macht muss mir immer wieder die Kraft gegeben haben, jeden noch so zermarternden Tag zu schaffen. Zwischendurch war ich eingeteilt, um in anderen Baracken zu arbeiten, was mir wohl die Kraft gab, nicht aufzugeben.“

Wer will nach diesem nur in Ansätzen geschildertem Erleben wieder nach Deutschland kommen: Susan, Prof. Dr. Cernyak-Spatz, die sich bis zum Ende ihres Wirkens dafür einsetzte, dass so etwas nie, nie wieder passieren darf. Sie besuchte Schulen, Universitäten, auch das Anne-Frank-Haus und das Jüdische Museum in Frankfurt, um nicht anklagend, aber mahnend immer wieder darauf hinweisend, wachsam zu sein!

Ihre Ausstrahlung berührte unzählige Menschen jedes Alters. Besonders oft saß sie stundenlang mit jungen Leuten zusammen, die keine Scheu hatten, sie zu befragen, was ihr Herz erwärmte. Auch Trude Simonsohn traf sie in Frankfurt. Die beiden tauschten leidvolle Erinnerungen aus, obwohl sie zur gleichen Zeit in unterschiedlichen Lagern lebten, gab es da keine Unterschiede.

Susans eindrucksvolle Vorträge und Berichte „erlebte“ sie auch in ihrem geliebten Heidelberg. Man muss von „Erleben“ sprechen, denn sie vermittelte ihren Zuhörern „life“ ein Dabeisein, eben mit ihr zusammen.

Die Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, wo sie sich liebevoll – wie sie stets betonte, besonders zuhause fühlte- war oft der Ausgangspunkt ihrer Besuchs- und Lehrreisen in ganz Europa. Nicht nur dort, aber die Herzen aller Menschen um sie herum, flogen ihr zu. Wo auch immer man sie traf, schätzte man ihre offene positive besondere Art und ihren Humor.

„Hier in Deutschland habe ich die liebsten Freunde meines Lebens gefunden“, so Susan, „Außerdem gibt es nirgends auf der Welt so fantastische Torten, wie hier!“

Prof. Dr. Susan E. Cernyak-Spatz (27. Juli 1922 – 17. November 2019) lebte zuletzt mit ihrem Mann Hardy Spatz, ebenfalls ein Überlebender des Holocausts, und Familie in Charlotte, North Carolina, wo sie an der dortigen Universität lehrte.

Zum Holocaust Gedenktag gibt es sicher unzählige Berichte über Schicksale, die tief berühren von Menschen, die noch unter uns sind oder schon vorangegangen sind. Achtsam mit ihren Erinnerungen umzugehen, sollte nicht vergessen werden.

Foto:
Cover ihres Buches "ich wollte leben..."