Feld und LindnerChristian Lindners Marsch in ideologische Abgründe

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Immer wenn ich Christian Lindner sehe oder höre, bin ich erinnert an jenen Mann, dem ich vor etwa 28 Jahren in einer Kölner Direktvertriebsagentur begegnete, die um Verlagskunden warb.

Er war eine smarte Erscheinung, ordentlich, aber nicht zu elegant gekleidet, mit einfühlsamer Stimme, verständnisvollem Gesichtsausdruck und guten Manieren. Er antichambrierte in Alten- und Pflegeheimen sowie vor den Wohnungen älterer Menschen mit dem Ziel, Zeitschriftenabonnements zu verkaufen. Mit einem Zweijahresabo, dem Mindestverpflichtungszeitraum, könnten die Umworbenen laut seiner Aussage einen guten Zweck unterstützen und sich selbst Gutes tun. Zu den guten Dingen gehörten die evangelische bzw. katholische Kirchenzeitung der Region, mehrere Rätselillustrierte oder sogenannte Frauenzeitschriften, welche das Privatleben von Prinzessin Diana, Prinzessin Anne und Prinzessin Caroline von Monaco ausloteten. Wer sich auf das Geschäft einließ, wurde eher selten zufriedengestellt. Denn nach dem freundlichen und seriös wirkenden Herrn X stellte sich alsbald eine Horde ähnlicher Klinkenputzer ein, um angebliche Zusatznutzen anzubieten. Die Leiter der Heime bezeichneten diese Drücker schlicht als „Oma-Bescheißer“.

Was hat das mit Christian Lindner zu tun? Zum einen die Zufälligkeit der äußeren Erscheinung. Vor allem aber das Warenangebot, das eine Welt des schönen Scheins spiegelt und die Tatsachen ausblendet. Und die Art der Vermittlung, die alles verspricht und nur das einlöst, was dem persönlichen Vorteil des Werbers nutzt. Mit einer solchen Strategie kann man viel erreichen, kann sogar Bundesfinanzminister werden. Wobei es noch einer Partei bedarf, die aus gleichem Holz geschnitzt ist und unverhohlen Freiheit als Chance der Rücksichtslosen definiert. Sei es in Sachen Corona, sei es beim privilegierten Zugang zu Pfründen. Da geht es längst nicht mehr um das Übervorteilen von alten Damen. Sondern um das Selbstverständnis und die Ziele einer Gesellschaft. Soll sie das Miteinander der Menschen organisieren oder Objekt der Ausbeutung sein?

Bundesfinanzminister Christian Lindner hat schnell erkannt, dass er unverzüglich Bestandssicherung betreiben muss. Denn nach der endgültigen Bilanzierung der Corona-Folgen wird auch der Status der Demokratie abzufragen sein. Wurde die Würde des Menschen geschützt? Ist man Immanuel Kants Ideal vom Menschen als „Zweck an sich“ gefolgt, das er in seiner „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“ ausführte und das Vorbild für Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes war?  Zweifel sind angebracht und diese wachsen, seit bekannt wurde, dass Lindner den ehemaligen „Wirtschaftsweisen“ Lars Feld zum „Persönlichen Beauftragten für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung“ ernannt hat.

Lars Feld ist ein Vertreter des Ordo-Liberalismus, der für eine weitestgehende Deregulierung der staatlichen Daseinsvorsorge und folglich auch für minimale Unternehmensbesteuerung und eine strikte Schuldenbremse eintritt. Dabei ist die Bilanz der Deregulierung katastrophal. Ihr verdanken wir die Klimakatastrophe und das ständig anwachsende Millionenheer von Flüchtlingen, die um ihre jeweilige Heimat und ihre Existenzmöglichkeiten gebracht werden. Wären die Eingriffsmöglichkeiten des Staates in das Handeln großer Konzerne nicht beschränkt, ideologisch und rechtlich, wären Energie- und Verkehrswende längst keine wankenden Zukunftsprojekte mehr. Steuervermeidung und Immobilienspekulation genössen den Ruf von Kinderpornografie und Wohnen könnte längst ein überall praktiziertes Menschenrecht sein. Die Digitalisierung hätte Einzug gehalten, ohne dass die menschliche Innovationskraft einer künstlichen „Intelligenz“ untergeordnet würde.

Ja, das alles und noch viel mehr wäre möglich, falls wir uns von irrationalen Einschätzungen verabschieden würden, die uns intellektuell einschränken und uns sämtliche kreativen Möglichkeiten nehmen.
Dazu gehörte zwangsläufig auch ein Abschied von der FDP und ihrem Vorsitzenden Christian Lindner. Doch das sollte uns die Zukunft wert sein.

Foto:
Lars Feld und Christian Lindner
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