Eva Maria Markert Aalen 2Wichtige Rede auf der Kundgebung eines breiten Bündnisses für solidarisches Miteinander in Aalen am  7. Februar 

Eva Maria Markert und Rüdiger Walter

Aalen (Weltexpresso) - Für Montag, den 7. Februar, hatten eine  große Zahl von Organisationen, vom Bündnis Aufstehen gegen Rassismus Aalen/Ostalb  bis zur GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) zu einer Kundgebung für ein solidarisches Miteinander auf der Ostalb auf dem Rathausvorplatz Aalen  - an die 70 000 Einwohner im Osten Baden-Württembergs, Kreisstadt - aufgerufen und im Aufruf formuliert: "Seit fast zwei Jahren befinden wir uns in einer Pandemie und die Situation spitzt sich erneut zu. Die Lage in den Krankenhäusern ist konstant angespannt, Pflegekräfte sind völlig überlastet. Auch Einzelhandel und Gastronomie leider unter enormen Umsatzeinbrüchen. Viele KünstlerInnen leiden unter den sinkenden BesucherInnenzahlen. Wir alle nehmen Einschränkungen auf uns, um gemeinsam aus der Pandemie zu kommen.

Kundgebung Buehne
Ausgerechnet in dieser Zeit gehen in Aalen, Schwäbisch Gmünd und anderen Orten im Ostalbkreis sogenannte „Corona-Spaziergänger“ auf die Straße – ohne Masken und ohne Abstand - und tragen weiter zu einer Verbreitung des Virus bei. Wir wenden uns mit dieser Kundgebung an die stille Mehrheit..."  Auf der gut besuchten Kundgebung, an der auch der SPD-Oberbürgermeister der Stadt teilnahm, und die die erste große, aus vielen Bereichen kommende gesellschaftliche Reaktion auf diese "Corona-Spaziergänge" war, hatte  Eva Maria Markert (Omas gegen Rechts, Foto oben rechts) die Rede gehalten, die von ihr und Rüdiger Walter (Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. - RAG Ostwürttemberg) verfaßt worden war und die wir im folgenden auch deshalb gerne veröffentlichen, weil wir in und um Frankfurt derartige 'Spaziergänge'nur  in lächerlich-harmloser Form kennen und  die dagegen gehaltene Rede für ausgezeichnet halten. Die Redaktion 
 



Rechtsextreme Spaziergänge


Redebeitrag auf der Kundgebung in Aalen am  7. Februar 2022

Woche für Woche wiederholt sich das gleiche Spektakel. In Schwäbisch Gmünd, in Aalen, in Heubach, in Abtsgmünd, in Ellwangen, in Oberkochen, in Gaildorf. In mittlerweile über 2000 Orten der Bundesrepublik. Bundesweit machen Demonstranten mobil gegen den Rechtsstaat und die Demokratie, die sie eine „Corona-Diktatur“ nennen. Sie geben sich alle Mühe, als etwas anderes zu erscheinen, als sie sind. Ihre Masche ist die Mimikry, die Verstellung, das Vortäuschen. Und sie versuchen, die Sprache zu bestimmen und Begriffe zu vereinnahmen.

- Sie nennen es „Spaziergänge“ - aber das sind unverkennbar politische Demonstrationen mit einer aggressiven Agenda, die weit über Corona hinausreicht. 
- Sie geben sich als „bürgerliche Mitte“ - doch sie verstoßen systematisch und provokativ gegen Versammlungsrecht und Auflagen, die dem Schutz der        Bevölkerung dienen. 
- Sie geben vor, für „Bürgerrechte“ einzutreten, aber sie missachten demonstrativ die Rechte ihrer Mitbürger. Ohne Abstand, ohne Maske - einfachste Schutzmaßnahmen zu ignorieren ist geradezu zum Erkennungszeichen geworden. 
- Sie rufen „Freiheit“, meinen aber stets nur die eigene Freiheit, ohne Rücksicht auf ihre Mitmenschen. 
- Sie behaupten, zum „spontanen Protest“ zusammenzukommen, aber wenn an 2.000 Orten ein und dasselbe passiert - gleiches Auftreten, gleiches Erscheinungsbild, die gleichen Parolen, das gleiche Katz- und Mausspiel mit Verwaltungen und Polizei - dann ist natürlich nichts davon „spontan“. In Wirklichkeit werden diese angeblichen „Spaziergänge“ mit gewaltigem Aufwand von Rechtsextremen professionell organisiert und koordiniert. In Telegram-Gruppen wird das Vorgehen und das Auftreten explizit abgesprochen.

Kundgebung 1Im Internet hat ein rechtsextremer Verein eine „Protestkarte“ erstellt, auf der die Teilnehmer Treffpunkt und Ort erfahren. Der Verein nennt sich ganz harmlos „Filmkunstkollektiv“, die Webseite tarnt sich als „Kunstprojekt“. Aber hinter dem vorgeblichen „Kunstprojekt“ stecken altbekannte Namen der rechtsextremen Szene: Aktivisten aus dem Umfeld von Identiären und Pegida, des Compakt-Magazins, des „Instituts für Staatspolitik“ des Höcke-Vertrauten Götz Kubitschek, sowie die vom Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ eingestufte Agentur „Ein Prozent“. 2019 hätte deren Budget für „patriotische Projekte“ 550.000 Euro betragen, gibt der Verein selbst an. Inzwischen dürfte es ein Millionengeschäft sein. Es ist ein wohlorganisiertes und finanzstarkes rechtsextremes Netzwerk, das hinter diesen angeblichen „Spaziergängen“ steckt. Und alle sind dabei: NPD, AfD, 3. Weg, Reichsbürger, Identitäre.

Die Corona-Pandemie ist dabei nur der Vorwand. Man brauche ein „Türöffner-Thema“, hatte der Vordenker und Finanzier Kubitschek schon 2013 erklärt: „Unsere Themen kommen hinterdrein gepoltert, wenn wir nur rasch und konsequent genug den Fuß in die Tür stellen“. Was „ihre Themen“ sind, wurde in Ravensburg deutlich. Dort erinnert ein Mahnmal an die nach Auschwitz deportieren und ermordeten Ravensburger Sinti. In der neuesten Ausgabe der ZEIT berichtet Magdalena Guttenberger, Vorstandsmitglied im Landesverband der Sinti und Roma in Baden-Württemberg von den CoronaDemonstrationen in Ravensburg, ich zitiere: „Wenn die Corona-Leugner, die sich Spaziergänger nennen, an unserem Mahnmal vorbeikommen, wird skandiert: ‚Den Holocaust gab es nie!‘ Doch niemand unternimmt etwas dagegen, auch nicht die Polizei. Das macht mir große Angst."

Zu den Parolen der selbsternannten „Spaziergänger“ gehört auch das Wort „Frieden“. Aber tatsächlich ist die Gewaltandrohung allgegenwärtig. Pressevertreter und Polizisten werden beschimpft und manchmal auch verprügelt. Kliniken werden gestürmt, erst vorige Woche in Leipzig. Was sie dort wollten, wissen die agressiven „Querdenker“ selbst nicht, alleine auf das Signal der Gewaltdrohung kommt es an.

„Nicht, dass ich irgendjemandem drohen möchte“, rief in Ravensburg der „Spaziergänge“-Organisator Ralph Niemeyer, „aber ich möchte mal sagen, werte Politikerinnen und Politiker der regierenden Parteien: (...) Passen Sie auf, dass Ihnen nichts Schreckliches passiert.“ Der neueste Schrei sind nun Aufzüge vor Wohnhäusern von Politikern, Landräten, Bürgermeistern. Die Botschaft ist: „Wir wissen, wo Du wohnst, wer zu Deiner Familie gehört. Pass auf, dass Euch nichts Schreckliches passiert“.

Das geschieht auch bei uns. In Ellwangen herrschten letzte Woche zwei CoronaDemonstranten einen Reporter der SchwäPo an, um ihn am Photographieren zu hindern. Der Journalist fühlte sich bedrängt und bedroht, inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft. Wenn sie „Freiheit“ brüllen, meinen sie jedenfalls nicht die Pressefreiheit.

Laut einer Analyse der Tagesschau vergeht kein Tag, an dem nicht in TelegramGruppen der Corona-Leugner Mordaufrufe verbreitet werden. In der rechtsextremen Zeitung „Sezession“ freute sich der Publizist Martin Semlitsch darüber, dass im Land "eine Art von Bürgerkriegsstimmung" wachse. Ein Oberfeldwebel der Bundeswehr rief zum bewaffneten Kampf gegen die Corona-Maßnahmen auf und kündigte an, "Leichen über Felder verteilen" zu wollen. Die Älteren erinnern sich: Früher nannte man solche Leute „Terror-Sympathisanten“.

Sie rufen an 2000 Orten der Bundesrepublik auf Kommando die gleichen Parolen: „Friede, Freiheit, Keine Diktatur“ und „Wir sind das Volk“. So möchten sie gesehen werden. Aber hinter den Kulissen wird gezielt Radikalisierung und Hetze in den „Sozialen Medien“ betrieben. Das Agressionspotential steigt, und es wird von Rechtsextremen gezielt geschürt. Wo dies hinführt, wissen wir nicht erst seit den Schüssen von Idar-Oberstein. Im hessischen Korbach ist Folgendes passiert: „Am 26. März 2021 versuchten zwei Männer gewaltsam einer Mutter ihre Schutzmaske abzunehmen. Als die Frau sich dagegen wehrt, wird sie getreten und ihr Kinderwagen umgestossen. Der sechs Monate alte Säugling wird schwer verletzt mit einem Hubschrauber in eine Klinik geflogen.“

Man muss es klar benennen: Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik erleben wir flächendeckende Aufmärsche von Rechtsextremisten. Und doch ist das nur das halbe Bild. Rechtsextremisten organisieren diese Proteste, sie geben die Richtung vor, sie missbrauchen die Pandemie und sie bewegen sich in den Corona-Protesten wie die Fische im Wasser. Aber sie stellen nicht die Masse der Demonstranten. Was also treibt Menschen, die sich, aus welchen Gründen auch immer, einer Impfung verweigern, dazu, mit diesen Rechtsextremisten gemeinsame Sache zu machen? Warum sehen sie nicht, mit wem sie sich da einlassen? Ein Teil der Antwort liegt in der von allerlei Wichtigtuern geschürten Hysterie. Im September seien „alle Geimpften tot“, tönten im letzten Sommer die prominenten Schreihälse der Bewegung, die Hobby-Virologen, Vegan-Köche und Schlagersänger. Der September kam und ging, von den Abertausenden Impftoten, gar dem „geplanten Massenmord am deutschen Volk“ war nichts zu sehen. Nun behaupten die “Influencer“, die Leichenberge gäbe es wohl, aber alles werde vertuscht. Oder, die meisten Geimpften hätten bloß Placebos erhalten, nur deshalb lebten sie noch. Wenn die Realität nicht passt, muss sie eben umgestrickt werden, per Trommelfeuer auf Youtube und Facebook. All das sickert dann unerbittlich in die Köpfe der Menschen, die dort den Marktplatz der Wahrheit vermuten.

Was sei das denn anderes als eine Diktatur, erklärte uns kürzlich eine Passantin in Aalen, denn sie könne nicht mehr einkaufen gehen. Das eigene Fell ist der Maßstab aller Dinge: Sie als „Ungeimpfte“ werde in noch nie dagewesener Weise „diskriminiert“. Und überhaupt sei alles ein großer Betrug, die Abertausenden Impftoten würden verschwiegen. Der Absturz in die Verschwörungstheorie ist logisch vorgezeichnet: Dann müssen sich alle, Politiker, Ärzte, Journalisten, die Pharmaindustrie, der Staat, die Medien, miteinander verschworen haben, um das zu vertuschen. An diesem Punkt angelangt, könnte sie dann bereit sein, Leuten auf den Leim zu gehen, die darüber schwadronieren, den „Bürgerkrieg“ anzuzetteln. Doch wer mit Nazis marschiert, darf sich nicht beschweren, daran gemessen zu werden.

Vielleicht wird sie eines Tages erschrecken. Und sich überlegen, in welchen gedanklichen Strudel sie ihr unermessliches Selbstmitleid geführt hat - und wie sie dort wieder herauskommt. Wir alle müssen uns das überlegen.

Eva Maria Markert (Omas gegen Rechts) & Rüdiger Walter (Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. - RAG Ostwürttemberg)

Fotos:
Eva Maria Markert
©Eva Maria Markert
Die beiden Organisatorinnen der Kundgebung Herma Geiß und Laura Weber
©Laura Weber
Kundgebung
©Eva Maria Markert