selen heute.atSelenskij möchte mit Putin über einen Waffenstillstand verhandeln

Conrad Taler

Bremen (Weltexpresso) - Rascher als zu erwarten war, wird über eine mögliche Neutralität der Ukraine als Ausweg zur Beilegung  des militärischen Konflikts an der Südflanke der Russischen Föderation  diskutiert. Aus der Umgebung des ukrainischen Präsidenten Selenskij hieß es, ernsthafte Verhandlungen darüber seien durchaus möglich.

In den ARD-„Tagesthemen“ sagte der außenpolitische Berater Selenskijs, Igor  Showkwa, auf eine entsprechende Frage, allerdings müsste der russische Präsident Putin zu einer Treffen mit Selenskij bereit sein, was bisher nicht der Fall sei. Verhandlungen und eine mögliche Übereinkunft könnten aber erst zustande kommen, wenn die Kriegshandlungen aufgehört hätten und es einen Waffenstillstand gebe. Die internationalen Partner sollten helfen, ein solches Treffen zustande zu bringen.

Die Idee einer Neutralität für die Ukraine war bereits vor sieben Jahren vom ehemaligen amerikanischen Außenminister Henry Kissinger ins Gespräch gebracht worden, der dabei auf Finnland verwies, das eng mit dem Westen zusammenarbeite, jede Feindschaft zu Russland aber laut Verfassungsgebot sorgfältig vermeide. (Siehe Weltexpresso  8. 3. 2022 https://weltexpresso.de/index.php/zeitgesehen/24817-bruecke-statt-vorposten. Ein weiteres Beispiel eigenen Wohlstandes durch eine militärisch ungebundene Politik bietet Österreich, das sich seine Unabhängigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg durch das Bekenntnis zur Neutralität auf Dauer sicherte. Das geschah am 26. Oktober 1955 durch ein Gesetz, dessen entscheidende Sätze so lauten:

„Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zweck der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich  aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen. Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in der Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet nicht zu lassen.“

Formell hatte Österreich seine volle Souveränität durch den am 15. Mai 1955 unterzeichneten Staatsvertrag erhalten. Als Nationalfeiertag wird jedoch der 26. Oktober begangen, an dem sich der Nationalrat, das Parlament des Landes, zur immerwährenden Neutralität verpflichtete, die im Staatsvertrag nicht auftaucht. Zahlreiche Meinungsumfragen belegen, dass die Neutralität von der Bevölkerung stets voll akzeptiert wurde und als Teil der österreichischen Identität empfunden wird. Daran änderte sich auch nichts, als Österreich 1994 gemeinsam mit Finnland und Schweden der europäischen Union beitrat.

Es war Moskau, das bei den Verhandlungen über den künftigen Status von Österreich auf dessen Neutralität drängte. Die österreichische Delegation, zu der neben den konservativen Politikern Julius Raab und Leopold Figl auch dessen sozialdemokratischer  Staatssekretär Bruno Kreisky gehörte, legte Wert auf die Feststellung, dass es nicht um eine Gesinnungsneutralität oder einen dritten Weg zwischen Ost und West gehen könne. Die gesamte Politik müsse darauf angelegt sein, im Falle eines Krieges die Neutralität aufrechterhalten zu können.

Man darf gespannt sein, mit welchen Ideen sich die Bundesregierung in die Beratungen über den künftigen Status der Ukraine einbringen und wie sie den Begriff Neutralität interpretieren wird.

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