Ices Earth Something Wicked this way comesKünstlerinnen und Künstler haben bessere Sensorien und geeignetere Fähigkeiten, um zum Ausdruck zu bringen, was sich abspielt

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Sie machen sich weniger vor als der Alltagsverstand, operieren aber auch erratischer, haben es weniger mit Diskursivität, die aber selbst wiederum der Sache gegenüber limitiert ist.

Krankheitsakten und ärztliche Termini haben ihre Legitimität, verharren aber in Fällen von Kriegführung in den Grenzen ihres normalen Bereichs und erscheinen daher wie übereinander gelegte Folien auf dem Reißbrett. Freud fragte: Warum Krieg, warum Gewalt? Allein das zu stellen, wiegte damals viel.

Kriegsausbrüche wurden zu damaligen Zeiten gefeiert. Die Sagen und Legenden der Alten machen das schwer zu Fassende anschaulicher deutlich als Worte, liegen näher beim Wesen. - Leben ist Leiden. Mit dieser Aussage leitet Buddha seine Schriften ein. Dabei fragt sich so mancher: Warum gerade Ich? Dabei ist es die untilgbare, ehern gefügte Problematik der Natur, mit der zu rechnen ist. Reiche und Arme, Könige und Bettler sind hierin insgeheim miteinander verkettet.


Der Krieg Russlands in der Ukraine wirft Fragen auf

Orthodoxie, Reich und Rus lassen wir mal weg.- Zugegeben: die Friedensdemonstrationen, so gut sie auch gemeint sind, laufen ins Leere. Sie haben etwas Unangemessenes und Läppisches, weil die exzessive Ungeheuerlichkeit der Sache unter den Teppich gekehrt wird. Über kurz oder lang ist da wenig regelbar. Die freiwilligen Legionäre, die sich aus Europa zur Unterstützung des Kampfs gegen einen untrüglich irren Invasor in die Ukraine aufgemacht haben, erscheinen, bei allen Zweifeln, die bleiben, doch als irgendwie gemäßer. Sie gehen mitten rein. Die Staatenlenker sind blockiert, waren unvorbereitet und auch ein großes Stück weit der Naivität verfallen. Es erschien ja so lange alles als ewig rosig. Westernhagens „Freiheit“ am Brandenburger Tor wirkte unpassend und aufgewärmt. Er ist als Schröder-Fan-und-Kumpel von vornherein diskreditiert.

Im Artikel „Putin - Mann des asiatischen Despotismus“ vom 7. März 2022 dieser Zeitung war begleitend auf das Album „Something Wicked This Way Comes“, der Gruppe Iced Earth, aus dem Jahr 1998, abgestellt und dies mit einem Zitat aus dem beiliegenden Textbuch belegt:

- So, behold the birth, the wicked child, Born of the Beast, in eastern sands
- (Chorus) He will arise. He will divide He has the power to bring the end

(Song 12, Birth oft he Wicked)

Das angedeutete Album ist nun schon fast ein Vierteljahrhundert alt, aber erscheint im späthinein als durchaus prophetisches Elaborat. Diese eben auch erratischen Amis haben da Nägel auf den Kopf getroffen. Die Band ist eine Schöpfung von Jon Schaffer, Tom Morris und John Greely. Sie sind dezidierte Anti-Illusionisten. Das Genre ist durch eine ultraharte und aufgrund der bis zum Äußersten angespannten Zupf-Hand immer nur knappst angerissene Rhythmusfolge, Riffs also, gekennzeichnet (ähnlich auch „Enter Sandman“ von Metallica, im Introitus und in den Überleitungen). Damit ist Gnadenlosigkeit gesetzt, die alle Weltläufe zumindest begleitet. Denn die Weltgeschichte ist keine erfreuliche Sache. Diese Combo des schonungslosen Metals trat 1996 im Leonhard-Eißnert-Park in Offenbach nach der Gruppe Nevermore auf die Bühne. Sie spielten auf der langen Lichtung, die sich dort hinzieht. Als die Nacht hereinzog, wurde der Auftritt durch herankommenden Donner untermalt. Das Gewitter konnte sich aber nicht durchsetzen.

Was bei Bloch unter Katastrophe oder Befreiung lief hat sich verengt und ist ins tief Schwarze umgeschlagen

Wesentlich von Interesse ist die Trilogy am Schluss der Folge von 14 Songs. Diese ist bezeichnet mit „Prophecy“, „Birth oft he Wicked“ und „The Coming Curse“ (der Lauf, das Gericht, das Verfahren, der Kurs). Bekanntlich ist die Metal-Musik eine von Leutchen, die sich Aug in Aug mit der Apokalypse befinden, die sich nichts vormachen, aus längerer Erkenntnis wie aufgrund unvermittelter Regung. Daher überwiegt auch kleidungsmäßig das Schwarz, wobei Gothic und Black/Death Metal - letzterer als Aufweis und nicht Bestätigung eines Vor-sich-Gehenden - nochmal ein etwas anderes Ding sind, aber ein durchaus benachbartes Genre, in Betracht dessen, was Iced Earth generell als Aussage zu treffen haben. Worauf es aber sehr ankommt, sind die Lyrics der besagten Stücke. Sie arbeiten auch mit erratischen Elementen, versuchen damit aber einen wirkmächtigen Kern zu umkreisen.

Die Funktion dieser Elemente ist durchweg als Überbringung schlechter Aussichten und Nachrichten zu verstehen. Die Gruppe betätigt sich grundsätzlich als Advocatus diaboli. Sie schlägt sich nicht auf eine Seite, weder auf die jener Jünger der Wache (Disciples oft he Watch), noch auf die Seite des Biests, das, aus dem Inferno des Dante aufsteigend, eine heillos degressive Geschichte ausbrütet und anzettelt. Und könnte es nicht sein. dass die Geschichte auf anderen Planeten des Universums nicht ganz ähnlich abläuft? "Dantes Inferno" findet sich explizit auf dem Album Burnt Offerings sowie auch das Paradigma "Creator Failure".

Die Musiker lassen offen, wer gewinnt. Das hat auch mit der Ästhetik des Fragwürdigen und Abschreckenden zu tun, das anzieht und abstößt. Das Album ist schwärzer als das Schwarze Album von Metallica, das von ganz ähnlichen Einsichten und Motiven getragen wird. Aber das eben ist Kunst mit ihrem driftenden Spiel der widerstreitenden Möglichkeiten und Vorkommnisse. Eine Rechtfertigung kann nur darin bestehen, dass der Kampf ausgefochten werden muss. Die simple Entscheidung mittels eines Erlösers aber wäre keine Rettung, sondern schöbe alles, was da ausgehandelt werden muss, nur hinaus. Geschichte muss laufen. Die Palette der Personalitäten reicht von Jesus Christ über Kennedy bis zu jenem ominösen Wicked Child, „born of he Beast“, das uns sofort an eine aktuelle geschichtliche Gestalt erinnert.

Dieses gebrannte uns quasi desolate Kind kündigt einen Kampf an. Den wir jetzt vor uns finden. Somit waren durch diese Musiker schon vor Jahren eine Reihe an plakativen Bildern aus dem Schutthaufen der Geschichte (Bloch) anhand des Irreal-Bereichs, der real werden könnte, aufgewiesen. Es gibt also so etwas wie die dialektische Beziehung und Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse. Als anschauliche Botschaft hierzu fungiert jenes oben vorangestellte vierzügige Zitat. Es scheint als müsse einer den Bösen machen, der das Gute, das auch nur ein Moment der Zeiten ist, herausfordert. Darin liegt eine Zirkularität, die das Ende offenlässt, d.h. es gibt immer wieder Anfänge und Enden. Wie auch sonst? Das Universum ist ja schon nahezu von Ewigkeit an. Es ist wohlorganisiert, auch in den großen Verwerfungen. Das scheint eine kosmische Regel zu sein. Aber desillusionierend ist das alles doch. Was Iced Earth so daher singen, ist also eine einzige große bildhaft vorgebrachte Überschneidungsorgie. Der Phantasie und Auslegung sind keine Grenzen gesetzt.


Exzess der zivilisatorischen Naturbeherrschung, Misslingen der Kultur

Warum Gewalt, warum Krieg. Freud zufolge ist die Menschheit tief in eine desolate Natur verstrickt. Bloß keine Illusionen machen über den hohen Grad der Verstrickung. Die Schlechten und Gierigen nehmen die Menschen als Geißel ihrer zerrütteten Triebnatur, organisieren den Krieg aller gegen alle. Technik und Medien potenzieren Prozesse der Gier, des Hasses und der Verblendung. Wieviel Saturierte und Gutsituierte glauben nicht gleichwohl, dass sie im Leben etwas nicht abbekommen haben, was ihnen ihrer Meinung nach unbedingt noch zugestanden hätte. Wie z.B. die Oligarchen in den Luxus-Kreuzern, die rund um die Welt ankern ankern. Sie sind ein Ausbund der kollektiv frustrierten Triebnatur! Der moderne Weltstress tut ein Übriges und verbreitet die Frustration durchs komplette Gesellschaftsgefüge hindurch (zumal auch bei den unglücklichen Verlierern). Einer wie Putin ist seit seinen frühen Jahren zutiefst unbefriedigt. Er war schon ein unglückliches Kind. Davon wusste Freud ‚ein literarisch Lied‘ zu singen. Auch indem er über Kunst schrieb, die das zu heilen und zuvergegenwärtigen sucht. Und weil der Frust Putins über seine Seelenlage so unerträglich ist, muss die gequälte Natur versuchen, den Kulturzustand wieder aufzuheben. 


Gegen den Einwand des Automatismus und Determinismus aus Triebnatur

Der Trieb ist das Agens und Movens der dem Naturzusammenhang überantworteten und insofern sehr ausgelieferten endlichen Wesen. Trieberhellung und Trieberkenntnis setzt Weisheitskultur, zumindest aber eine Kultur des Nachdenkens, des sowohl auf die umgebende Welt hin Reflektierens wie auch sich ihrer/seiner selbst Erkennens, voraus. Hierzu bedarf es einer Entscheidung zur kritischen Rück- und Selbstbezüglichkeit auf das Ich, des Selbst (es kann als umfunktionierter Descartes dienen, der zu Beginn der sich aufmachenden Neuzeit mit dem „Ich denke“ das Programm der äußerlichen und inneren Naturbeherrschung einleitete). Wobei es aber über kurz oder lang zur Selbsterkenntnis meist nicht hinreicht. Vielmehr herrscht die Kultur des blinden Selbstinteresses und des seriellen Augenblicksgenusses vor. Unbewusst sind fast Jegliche davon überzeugt, dass sie und Ihresgleichen allen anderen Wesen gegenüber von Natur aus ganz, ganz schwer benachteiligt sind. Die umgebende Natur ist auch die Mutter Natur außerhalb der Leiblichkeit.

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CD-Booklet Iced Earth