Die Jerusalemer Hand-in-Hand-Schule ist die erste zweisprachige Schule in Hebräisch und Arabisch weltweit – dank Schweizer Unterstützung
Yves Kugelmann
Jerusalem (Weltexpresso) - Wie wichtig Initiativen der Zivilgesellschaft sind, zeigte am letzten Montag die Eröffnung des neuen Gymnasiums der Hand-in-Hand-Schule in Jerusalem. 2007 zog die 1998 gegründete Primarschule auf den neu errichteten Campus. Möglich wurde dies damals dank Geldern aus der Schweiz. Das Gebäude mit Schweizer Klassenzimmern, die von einzelnen Kantonen finanziert wurden, ermöglichte nur Unterricht bis zur 8. Klasse. Damals gab das israelische Bildungsministerium noch keine Bewilligung für Unterricht auf Gymnasialstufe. Jerusalem stellte zwar Land gratis zur Verfügung und wurde Eigner der gebauten Häuser. Geld gab's jedoch keines.
Die Jerusalem Foundation (JF) mit der Schweizer Leiterin Irene Pollak glaubte an das Projekt und finanzierte es mit Spenden, als das noch eine Pionieraufgabe war: Gemäss Pollak wollte Israel damals keine solche Schule fördern, in der Unterricht auf Hebräisch und Arabisch mit paritätischen Lehrkörpern und einer religiös gemischten Schülerschaft sozusagen Hand in Hand den Bildungsweg beschreiten sollte.
Die Herausforderung im Blick
Nun ist vergangenen Montag auf dem Max-Rayne-Campus der Hand-in-Hand-Schule das neue Gymnasium in Jerusalem offiziell eingeweiht worden. Diesmal hat Israel die Hälfte finanziert, der Rest stammt von Donatoren unter substanzieller Schweizer Beteiligung. Über Jahre hinweg wurden durch die Unterstützung verschiedener Stiftungen, so u.a. neben der DEAR Foundation, Benecare Foundation, JIse & Ernst Braunschweig Foundation, Dr. h.c. Emile Dreyfus Foundation, Daniel Gablinger Foundation und der Merzbacher Foundation Neuerungen in der Schule möglich gemacht.
Die Schule avancierte zu einem nachhaltigen Projekt mit Weitsicht. Eine Perspektive, die sich symbolisch auch bei der Einweihung der Schule mit der atemberaubenden Sicht von der Dachterrasse auf das arabische Quartier Beit Safah, die jüdischen Quartiere Gonen und das Teddy-Kollek-Stadion anwenden lässt. Denn mit einem Blick wird deutlich, wie wichtig der Campus als Bindeglied der Kulturen, Ethnien und Religionen in diesem Teil Jerusalems ist. Seit den Tagen Teddy Kolleks, des 2007 verstorbenen ehemaligen Bürgermeisters Jerusalems, ist viel passiert. Kollek hatte mit der Gründung der Jerusalem Foundation eine Stadt der friedlichen Koexistenz auf Augenhöhe mit Chancengleichheit für alle Bewohnerinnen und Bewohner im Visier. Doch die Stadt hat sich zunehmend verändert und wurde zum Spielball politischer Entwicklungen. Mit der Einführung des 2018 vom Likud-Abgeordneten Avi Dichter wieder lancierten Nationalgesetzes erfolgte letztlich dann ein massiver Eingriff ins israelische Grundgesetz. Hebräisch wurde zur alleinigen Nationalsprache erklärt, während das bis dahin ebenfalls als offizielle Nationalsprache geltende Arabisch einen nicht näher definierten Sonderstatus erhielt. Dagegen setzt das Hand-in-Hand-Projekt seit Gründung ein klares Zeichen und mit dem neuen Gymnasium ein Statement. Denn es ist das erste seiner Art weltweit, in dem Unterricht auf arabisch und hebräisch jeweils mit zwei Lehrerinnen und Lehrern durchgeführt wird.
Bildung als Eckpfeiler
Jerusalems Bürgermeister Moshe Lion hob den Vorzeigecharakter der Schule bei der Eröffnung hervor: «Wir sind stolz darauf, Partner in diesem Projekt zu sein, und gemeinsam haben wir es geschafft, diesen Traum für die Kinder und Jugendlichen Jerusalems zu verwirklichen. Bildung ist der Eckpfeiler meiner Vision für die Zukunft.» Und weiter meinte er: «Wir müssen in unsere Kinder investieren und sie mit dem Rüstzeug für das 21. Jahrhundert und darüber hinaus bereit machen. Die Unterstützung des Ausbaus des Hand-in-Hand-Schulcampus ist Teil einer Reihe von Bildungsinitiativen in der ganzen Stadt, die alle Kinder in Jerusalem bereichern und befähigen werden, aus allen Sektoren und allen Stadtvierteln.» Nach Jahren mit Platzmangel und Improvisation hat die Schule nun als einzige hebräisch-arabische eine Bewilligung für ein Gymnasium mit Maturabschluss. Von den 700 Schülerinnen und Schülern, die aus der ganzen Stadt täglich auf den Campus kommen, sind rund 200 im neuen Gymnasium untergebracht.
Shai Doron, Präsident der Jerusalem Foundation, sagte bei der Eröffnung: «Juden, Christen, Muslime müssen zusammen lernen können. Dass dies in der Realität möglich ist, beweist die Hand-in-Hand-Schule jeden Tag.» Dabei dankte er den Eltern, Lehrerinnen und Lehrern sowie der Schülerschaft, die sich täglich Herausforderungen stellen. Denn: «Jeden Tag müssen wir Brücken bauen, die anderen verstehen, und wir kommen uns Schritt für Schritt näher für eine bessere Zukunft Jerusalems und Israels.» Chagai Schmueli, Co-Präsident der JF, verwies auf den zentralen Punkt bei der täglichen Vermittlung: «In der Schule, im Unterricht, bei den Menschen kommen verschiedene Narrative zusammen. Niemand hat das andere Narrativ zu akzeptieren. Aber jeder muss zuhören.» Zu welchen Resultaten das führt, zeigten zwei ehemalige Schülerinnen Alma und Daniev auf, die am Schluss der Zeremonie vortrugen, wie sie auf Basis der Hand-in-Hand-Schule ziviles Engagement im Alltag nutzen können.
Räume für Dialog schaffen
Die Max-Rayne-Hand-in-Hand-Schule in Jerusalem ist die grösste von bisher sieben Hand-in-Hand-Schulen in Israel und die einzige, die von Vorschule, Kindergarten bis zur 12. Klasse reicht. Die Gymnasiasten haben die Schule im Oktober 2021 bezogen. Auf rund 2500 Qua-dratmetern haben die Schülerinnen und Schüler nun den nötigen Raum für diesen Austausch. Das Gebäude ist barrierefrei gebaut, umfasst neben den Schul- und Lernumgebungen Labore, einen naturwissenschaftlichen Trakt und ein eigenes Auditorium. Begleitet wurde die Einweihung des Gymnasiums von einer einwöchigen Konferenz zum Thema «Shared Living 2022». Neben Vertretern von Stadt, Behörden und der JF waren diese Woche zahlreiche Schweizer Gäste zugegen. Darunter der Präsident der JF Schweiz Hans-Ulrich Bigler mit seiner Gattin, die Spender Peter und Catherine Lyssy sowie das Schweizer JF-Vorstandsmitglied Jitzchak Schächter. Dass letztlich Praxis überzeugender als Theorie ist, zeigte der Gang über den Campus mit einer sichtbar gelebten Zivilgesellschaft. Ab wann ausserhalb des Campus in den Quartieren Jerusalems diese Koexistenz Wirklichkeit wird, bleibt offen. Das gute funktionierende Beispiel auf jeden Fall ist da.
Foto:
Gelebte Koexistenz findet in der Hand-in-Hand-Schule jeden Tag statt
©tachles
Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 20. Mai 2022