NZZ-Chefredakteur Eric Gujer erhielt den Ludwig-Börne-Preis 2022, Teil 1
Klaus Philipp Mertens
Frankfurt am Main - Ludwig Börne bleibt die Kenntnis vom Missbrauch seines guten Namens für eine falsche Sache erspart. Die herbe Posse seiner Heimatstadt Frankfurt am Main kann ihn nicht mehr rühren.
Der nach ihm benannte Preis einer etwas undurchsichtigen Stiftung, vor allem des Preisträgers des Jahres 2022, stehen im Kontrast zu dem, was beispielsweise Heinrich Heine über den unfreiwilligen Namensgeber geschrieben hat. So schildert er in „Ludwig Börne. Eine Denkschrift“ die Szene eines Gasthausbesuchs:
»Das deutsche Volk«, brummte der deutsche Patriot aus seiner Ecke, »hat auch das Pulver erfunden.« Börne wandte sich rasch nach dem Patrioten, der ihn mit dieser Bemerkung unterbrochen hatte, und sprach sarkastisch lächelnd: »Sie irren sich, mein Freund, man kann nicht so eigentlich behaupten, dass das deutsche Volk das Pulver erfunden habe. Das deutsche Volk besteht aus dreißig Millionen Menschen. Nur einer davon hat das Pulver erfunden... die übrigen, 29.999.999 Deutsche, haben das Pulver nicht erfunden. – Übrigens ist das Pulver eine gute Erfindung, ebenso wie die Druckerei, wenn man nur den rechten Gebrauch davon macht. Wir Deutschen aber benutzen die Presse, um die Dummheit, und das Pulver, um die Sklaverei zu verbreiten.«
Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne) wäre gut beraten gewesen, bei der Feierstunde in der Paulskirche aus Heines Schrift diese oder eine andere geeignete Passage zu zitieren. Und Kulturdezernentin Ina Hartwig (SPD), die der Preisverleihung fernblieb, hätte bereits beim Bekanntwerden des Jury-Entscheids protestieren laut müssen.
Denn der Ludwig-Börne-Preis 2022 wurde Eric Gujer, Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), zuerkannt. Laut Urkunde als Anerkennung für seine politischen Essays und Kommentare, in denen er „mutig auch unpopuläre und unkonventionelle Meinungen“ vertrete. Der diesjährige Preisrichter, der niederländische Schriftsteller Leon de Winter, erklärte, Gujer setze „sich für kritisches, selbständiges Denken, für Toleranz und individuelle Freiheit ein – mit einem klaren liberalen Standpunkt“.
Nun galt die „Neue Zürcher Zeitung“ tatsächlich über Jahrzehnte als publizistische Avantgarde einer liberalen demokratischen Gesinnung. Der unvergessene Willy Bretscher, Chefredakteur von 1933 bis 1967, der 1992 im Alter von 94 Jahren starb, legte sich auch während der NS-Gewaltherrschaft mit großen und kleinen Nazis an. Überliefert ist sein Brief an einen Sympathisanten der braunen Bewegung: »Sie sind nicht würdig, diese Zeitung zu lesen. Ich entziehe Ihnen Ihr Abonnement.«
Nach Einschätzung liberaler Schweizer Journalisten wäre es dem heutigen Chefredakteur, also Eric Gujer, der seit 2015 dieses Amt innehat, zuzutrauen, dass er Adolf Hitler ein Frei-Abonnement einrichtete. Jedenfalls müsse von einem erkennbaren Rechtsruck in diesem Blatt gesprochen werden.
Ehemalige Mitarbeiter konstatieren eine „innere Zensur“, gar eine „Säuberungswelle in der Redaktion“. Auf den Fluren breite sich zunehmend Angst aus. Sieglinde Geisel, die über 20 Jahre für das Feuilleton der NZZ aus Berlin und New York berichtet hatte, spricht von einem neuen Führungsstil. Früher habe man schreiben können, was man wollte, solange man es gut begründete. Heute gebe es Vorgaben, wer über welche Themen schreiben dürfe. Betont rechte Meinungen genössen Vorrang. In den Kommentaren haben sich ein „giftiger" Ton durchgesetzt.
Kasper Surber, Mitglied der Redaktionsleitung der „Wochenzeitung“, erkennt bei der NZZ ein marktwirtschaftliches, gar marktradikales Kalkül, das mit rechtskonservativer Ideologie gepaart sei.
Tatsächlich ist nicht zu übersehen, dass Eric Gujer die NZZ um typisch rechtskonservative Themen und Meinungen erweitert hat, die vordem dort keinen Platz hatten. Anscheinend zielt er damit auch auf den deutschen Markt. Denn der Platz rechts von der FAZ sei nach seiner Meinung bislang noch unbesetzt. Gujer selbst formuliert das öffentlich anders: „Ich habe allerdings darauf geschaut, dass wir den publizistischen Kurs oder unser publizistisches Profil wieder etwas geschärft haben im Sinne dieses bürgerlich liberalen Kurses."
In seinem wöchentlichen Newsletter „Der andere Blick“ schreibt er seit wenigen Jahren aus der „objektiven Auslandsperspektive“ über die Politik der Bundesrepublik. Etwa, dass er im Zuge der seit 2015 nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge den Eindruck gewonnen habe, Journalisten verstünden sich als „Sozialarbeiter der Nation“ und als „geistiger Verfassungsschutz“. 80 Prozent der Journalisten in Deutschland hätten „nur noch eine Wahrheit“ transportiert. Nach seiner Ansicht herrscht in Deutschland „im Namen des politischen Anstands eine geistig-moralische Ödnis, die man nur deswegen nicht als Gleichschaltung bezeichnen kann, weil der Begriff eine zentrale Steuerung voraussetzt“. Artikel wie »Der hässliche Deutsche trägt keinen Stahlhelm mehr – er belehrt die Welt moralisch«, »Berlin, das tiefrote Labor des Staatssozialismus« oder »Deutsche Asylpolitik – wenn die Ideologie über die Realität siegt« sind keine Ausnahmen, sondern allzu häufig die Regel.
Solche Aufmacher finden exakt jene Leser, für die sie gedacht sind. Beispielsweise Hans-Georg Maaßen, den entlassenen Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz. »Für mich ist die NZZ so etwas wie „Westfernsehen“« verbreitete er über Twitter. Das heißt nichts anderes, als dass es den Medien in der Bundesrepublik an seriöser Berichterstattung mangelt und ihnen nicht zu trauen ist. Die Menschen seien darum auf eine Stimme von jenseits der Grenzen angewiesen. Nämlich auf die NZZ. Volker Beck, Politiker der Grünen, fragte daraufhin nach: »Wir haben also nach Ihrer Ansicht, geschätzter Herr Maaßen, in Deutschland Zensur & staatlich gelenkte Medien wie in der DDR?«
Beatrix von Storch, Mitglied der AfD-Bundestagsfraktion, empfahl gestandenen Journalistinnen und Journalisten ebenfalls via Twitter, sich bei der NZZ um ein Volontariat zu bewerben. Sie verlinkte ihren Aufruf u.a. mit den Accounts von Claus Kleber, Dunja Hayali und Anne Will.
Der Schweizer „Tagesanzeiger“ hat nachgezählt und in der NZZ im Jahr 2020
„über hundert, meist ganzseitige Artikel, in denen gegen ‚politische Korrektheit‘ angeschrieben wird“, gefunden. Also an jedem dritten Tag festgehalten, was man in der Schweiz und in Deutschland angeblich nicht mehr sagen dürfe.
Wer solchen gemeingefährlichen Ungeist mit der Verleihung des Ludwig-Börne-Preises auszeichnet, gar für unbedenklich und vorbildlich erklärt, stellt sich außerhalb der demokratischen Ordnung. Zwar wird der Preis von einer privaten Stiftung verliehen und ist keine offizielle Auszeichnung der Stadt Frankfurt. Aber die Verleihung in der Paulskirche unter Anwesenheit von hohen Repräsentanten der Stadt trägt einen offiziösen Charakter.
Der diesjährige Festakt in der Paulskirche wurde medial überlagert von der Aufforderung einiger Stadtpolitiker, Oberbürgermeister Peter Feldmann solle von seinem Amt zurückzutreten. Wegen seines ungeschickten Verhaltens bei der Feier des Fußballvereins „Eintracht“ und wegen einer zu missbilligenden sexistischen Äußerung. Mutmaßlich auch wegen Vorwürfen im Zusammenhang mit dem Geschäftsgebaren der Frankfurter Arbeiterwohlfahrt, die jedoch die rechtlich gebotene Unschuldsvermutung gegenüber Feldmann bis zu einem letztinstanzlichen Gerichtsurteil nicht in Zweifel ziehen dürfen.
Doch die Frankfurter Kommunalpolitik scheint in ihrer Wahrnehmung und in ihrem Rechtsempfinden getrübt zu sein, sie misst mit zweierlei Maß. Allem Anschein nach sind große Teile der Stadtverordnetenversammlung und des Magistrats unfähig, offen faschistische und gegen das Grundgesetz gerichtete Propaganda, wie sie von Eric Gujer und der NZZ verbreitet werden, als gefährliche Bedrohung des Rechtsstaats zu erkennen. Ich erwarte, dass es nun Strafanträge wegen des Verdachts der Volksverhetzung (§ 130 StGB) hagelt.
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Bürgermeisterin Eskandari-Grünberg ehrt Eric Gujer, den diesjährigen Träger des Ludwig-Börne-Preises
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