Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Warum macht Putin das, was er macht? Hat er schlechte Laune und will sich nur vernehmlich machen? Oder schlägt ihm die Stunde, da er womöglich bald von der Weltbühne abtreten muss, ohne in die Annalen der Geschichte eingegangen zu sein - welche es auch seien.
Relativierungen aus dem links- und rechtspopulistischen Lager
Die Linke zeigt sich teils verständnisvoll zugunsten Putins. Das ist eine uralte Geschichte. Ein eingereichter Änderungsantrag zum mehrheitlichen Leitantrag zur Bekundung von Solidarität mit der Ukraine und der damit einhergehenden Positionierung gegen den „verbrecherischen Angriffskrieg Russlands“ wurde von der Wagenknecht-Gruppe in wesentlichen Teilen aus dem der Mehrheitsgruppe gestrichen. In einem Thesenpapier hatte diese festgehalten: „Russland verfolgt mit dem Krieg gegen die Ukraine imperiale und nationalistische Ansprüche“.
Ebenso sind Teile der AfD unterschwellig mit dem russischen Aggressor verbunden, sie wollen sich ja selbst die demokratische Gesellschaft in einem Staatsstreich zu ihren Gunsten vornehmen und liqudieren. Die demokratische Ära soll zu einem Ende kommen. Unter anderem ist Höcke ihr Exponent. Populistische Linke wie Rechte sind also in einem bestimmten Punkt hinsichtlich der neuen Zeitverfassung, so wie sie es sehen, durchaus verschwägert. Das sagt viel über eine voranschreitende Mentalität der Erosion des demokratischen Konsenses, was zentrale, bislang verbindliche Denkmuster angeht, aus.
Ein rechter linker Lafontaine und eine heillose Linke
Lafontaine war schon immer mehr als nur angehaucht populistisch verortet und insofern contra Kritik jener Verhältnisse, die gänzlich unhaltbar sind, in Hab-acht-Stellung. Das Wohl und Wehe einzelner juckt ihn überhaupt nicht. Darin hat er Marx abgesagt. Denn nach diesem waren alle menschlichen Verhältnisse, die Menschen zu Objekten der Entfremdung herabwürdigen, aufzuheben. Populisten aber haben eine Schwäche für die alleinige, persönliche, unbegrenzte Macht über den gesamten Rest. Dass sie zwischen linker und rechter unduldsamer Gesinnung changieren, ist nicht unüblich.
Die Partei Die Linke zeigt sich zunehmend von der Rolle. Sie ist im Begriff ihre rechtliche Gesinnung zu verraten. Ohne diese ist sie ohne jede Chance für einen Eintritt in die politische Praxis. Sie laboriert an einem verdrängten Verständnis für Despoten. Die eben alles umdrehen können sollten. Die Empathie für eine tägliche Zahl von Toten und Schwerverletzten, so etwas wie Mitgefühl, scheint nicht ihr Ding zu sein. Solche fallen in die Rillen des Kalküls politischer Unempfindlichkeit.
Die FR schrieb am 25 März dieses Jahres über Lafontaine: „Das Beispiel der Erklärung zum Ukraine-Krieg zeigt, wo der Mann nach all den Jahrzehnten gelandet ist: in jener Ecke des linken Spektrums, wo Menschen und Freiheitsrechte dehnbar geworden sind wie Kaugummi, wenn es darum geht, die westlichen „Eliten“ möglichst plump für alle Übel dieser Welt verantwortlich zu machen“. Was Amiri, Dagdelen und Wagenknecht im Bundestag von sich geben, hebt an dieser Weltsicht an. Kai Klose von Bündnis 90, Die Grünen sagt es treffend, wenn er urteilt, der Krieg Russlands sei von Hass und toxischer Männlichkeit unterfüttert. Aufgrund - unter anderem - der Queer-Feindlichkeit und „toxischen Männlichkeit“ des russischen Präsidenten sei schon lange bekannt, „dass er auch uns meint“. Diese von der tiefblickenden Psychoanalyse geleiteten Einsichten sind aber für Linke weitgehend immer noch ein Buch mit sieben Siegeln. Da wurde zu Protest-Zeiten eine Lektüre wohl doch nicht genügend für voll genommen und über sie hinweggegangen. Gerhard Schröder ist ein weiterer Geschädigter aufgrund von nicht gemachten und verweigerten Erkenntnissen, die unter anderem die archaische Männlichkeit betreffen.
Die Linke ist zum Zwerg geschrumpft. Sie weigert sich, sich menschenrechtlich unzweifelhaft zu positionieren. Kaltschnäuzig lässt sie die Ukraine im Regen stehen. Für Janine Wissler scheint das Gebilde und die Tragweite der Berliner Republik eine zu harte und zu große Nuss für ihre Linke zu sein. Sie ist erst noch dabei, die Bundesebene zu erklimmen. Die hier vorgefundenen spezifischen Disruptionen und Missverhältnisse erfordern eine zeitgemäße Interpretation; daher die Linke auch eine der Zeit geschuldete erweiterte Theorie benötigt, ein Gedankengewebe zur gänzlich veränderten und neuen Lage. Der Linken fehlt es an Horizont für die neuerlich veränderte Gegenwart. Sie kommt mit sich selbst in anspruchsvoller Zeit nicht zurecht. Immer wieder ist der böse Westen das Hauptproblem und der Osten die mystifizierte Bastion des postsowjetischen Leninismus. Sie spielt die Nachfolge des Sowjetstaats gegen das Existenzrecht der Ukraine aus.
De Linke könnte erodieren
Martin Kliehm, Linker in Frankfurt, trat aus der Partei Die Linke aus. Die Außenpolitik dieser Partei betrachtet er als „eine ziemliche Katastrophe“. Sarah Wagenknecht sei zum Fremdschämen. Die Partei übernehme Putins Argumente, von wegen Immer dieser böse Westen. Die Ukraine wird als faschistisch verdächtigt. Aber gerade Putin ist ein Wiedergänger des Faschismus unter anderen Umständen. Alles, was nicht Westen ist, erscheint als gut. Opfer fänden sich nur auf der Gegenseite.
Auch die SPD ist traumatisiert, wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann feststellt. Den Russland-Verlust habe die SPD nicht aufgearbeitet. Das wurde ihr zum Komplex. Immer wieder nicht ganz von dieser wirklichen Welt ist auch das Ausspielen der Sozialstaatspolitik gegen den Aufwand für die Ukraine und die schweren Waffen, mit denen sie ihre Existenz in schwerster Zeit gerade noch so zu sichern vermag. Womit sie stellvertretend für den Westen handelt, worin sie ausnehmend Erfolg hat; wozu sie aber auf Rückendeckung und gemeinsames Vorgehen angewiesen ist. Aus all dem will sich eine konfuse Linke aber heraushalten. Sie begreift nicht im geringsten, dass Putin nur der Vorbote des großen Schlags und Kriegs gegen den Westen und speziell gegen Europa ist, das er abgrundtief hasst und verachtet. Wegen dessen Liberalität und des geltenden Rechtsanspruchs auf persönliche Freiheit. Aber wohl auch, weil er hier die ihm nötige Anerkennung nicht gefunden hat, möchte er ihn eliminieren und endterminieren.
Es kann sein, dass wir in vielem gut sind - das Klima, der Wald, der Boden, die Biotope und Ökosysteme von uns gerettet werden können, Putin dann aber auf das ihm verhasste Europa vorrückt. Was unsere größten Gegner und Skeptiker des westlichen Freiheitsmodells prophezeit haben, könnte dann wahr werden. Aber eigentlich geht es ihm um gar nichts wirklich konkret Frommendes. Daher die pauschalen Verunglimpfungen von wegen der Nazis und Faschisten, von denen die Ukraine gesäubert werden müsse. Er reagiert sich auf Kosten einer Hemisphäre ab, um sich selbst besser zu fühlen und bessere Laune zu bekommen. Die Anatomie einer besonderen menschlichen Destruktivität kommt bei ihm krass zum Vorschein. Bis auf Weiteres.
Der Putinismus ist ein Problem der männlichen Selbstkonstitution
Kurz gesagt, er erfolgt aus der autokratischen Weltsicht heraus. Putins Zwangslage besteht darin, dass er als kreierte Persönlichkeit, die von der Natur mit unverwechselbaren guten Eigenmerkmalen ausgestattet worden ist, keine Akzeptanz gefunden hat, weil er immer als Mann der Geheimdienste erkannt wurde. Er ist ein Anonymus, kein Individuum. Seine Tragik ist wahrscheinlich auch eine unglückliche Kindheit und Jugend. An Putin lässt sich ablesen, was aus einem Menschen werden kann.
Putin knüpft am Zarenreich an. Sein Problem ist traditionell ein sehr archaisches. Stalin müsste ihm eine Warnung sein. Da er die Ukraine nicht unterwerfen kann, setzt er auf die Zerstörung dieser als Nation, mit eigener Sprache und Kultur. Je mehr er an der Ukraine scheitert, desto mehr steigert er sich in einen Vernichtungskrieg. Koste es, was es wolle. Die sog. Zeitenwende ist nur eine Wiederkehr. Oberflächlich erscheint sie als Rückwende, eigentlich aber ist sie mit der allseits wohlbekannten Regression in die Vorzeit verbunden. Die Ukraine könnte zum Land werden, das dem archetypischen Geschichtsprozess ein Drehmoment verleiht, sofern wir sie dabei unterstützen. Es ist ein Irrsinn, sich von der Geschichte her zu definieren, wie es den Ostbereich heute kennzeichnet. Der Westen weist langfristig kulturell eine viel mehr in sich gebrochene Geschichte auf.
Foto:
© news.de
Der Putinismus ist ein Problem der männlichen Selbstkonstitution
Kurz gesagt, er erfolgt aus der autokratischen Weltsicht heraus. Putins Zwangslage besteht darin, dass er als kreierte Persönlichkeit, die von der Natur mit unverwechselbaren guten Eigenmerkmalen ausgestattet worden ist, keine Akzeptanz gefunden hat, weil er immer als Mann der Geheimdienste erkannt wurde. Er ist ein Anonymus, kein Individuum. Seine Tragik ist wahrscheinlich auch eine unglückliche Kindheit und Jugend. An Putin lässt sich ablesen, was aus einem Menschen werden kann.
Putin knüpft am Zarenreich an. Sein Problem ist traditionell ein sehr archaisches. Stalin müsste ihm eine Warnung sein. Da er die Ukraine nicht unterwerfen kann, setzt er auf die Zerstörung dieser als Nation, mit eigener Sprache und Kultur. Je mehr er an der Ukraine scheitert, desto mehr steigert er sich in einen Vernichtungskrieg. Koste es, was es wolle. Die sog. Zeitenwende ist nur eine Wiederkehr. Oberflächlich erscheint sie als Rückwende, eigentlich aber ist sie mit der allseits wohlbekannten Regression in die Vorzeit verbunden. Die Ukraine könnte zum Land werden, das dem archetypischen Geschichtsprozess ein Drehmoment verleiht, sofern wir sie dabei unterstützen. Es ist ein Irrsinn, sich von der Geschichte her zu definieren, wie es den Ostbereich heute kennzeichnet. Der Westen weist langfristig kulturell eine viel mehr in sich gebrochene Geschichte auf.
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