Walter Hubert mit GroßelternNeue Stolpersteine in Schlüchtern (3)

Hanswerner Kruse

Schlüchtern (Weltexpresso) - Vor eineinhalb Jahren berichteten wir über die jüdische Familie Hubert aus Schlüchtern, die im letzten Moment den Nazis entkommen konnte. Der Bericht sollte auf die Verlegung weiterer Gedenksteine in unserer Stadt einstimmen. Wegen der Corona-Pandemie musste der Festakt jedoch mehrfach verschoben werden, auch weil Nachfahren teilnehmen wollten und nicht anreisen konnten.
Nun ist es endlich soweit. Am kommenden Mittwoch, 17. August um 16 Uhr, werden im Beisein einiger aus London angereister Familienmitglieder elf Stolpersteine vor den Häusern Obertorstraße 4 und Schmiedsgasse 15 verlegt. Es ist sehr schwierig, Informationen über die vertriebenen, auf Grund des Nazi-Terrors verstorbenen oder ermordeten jüdischen Mitbürger zu bekommen. Die Verbrechen wurden von den Tätern natürlich nicht dokumentiert, Zeitzeugen sind sehr alt oder verstorben. Recherchen über das Leben und den letzten freiwilligen Wohnort werden jedoch von Gunter Demnig, dem Initiator des Gesamtkunstwerks und weltweiten Mahnmals der Stolpersteine, vor der Verlegung gefordert.

Im Fall der Familien Hubert und Goldschmidt konnten von der Initiative um Kerstin Baier-Hildebrand, Vorsitzende des Heimat- und Geschichtsvereins, detaillierte Infos nur teilweise recherchiert werden. Deshalb stehen Im Mittelpunkt der hier dargestellten Erinnerungen Arthur Hubert und seine Frau Martha, geborene Goldschmidt, sowie ihr Sohn Walter. Sie konnten sich 1939 bettelarm nach England retten und dort mühsam durchschlagen. Martha Goldschmidts Eltern starben, noch vor dem von den Nazis geplanten Massenmord, nach Demütigungen und Entrechtungen. Arthurs Eltern, Kathinka und Willi, wurden in Konzentrationslagern ermordet, einige Mitglieder beider Familien, für die auch Platten verlegt werden, konnten sich ins Ausland retten.

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Die Familie Hubert
 (v.l.n.r.)
Oma Kathinka Hubert,
Schwiegertochter Martha Hubert geborene Goldschmidt, Enkel Walter Hubert,
Sohn Arthur Hubert,
Opa Willi Hubert




Die nach England Geflüchteten wurden - trotz ihrer Verfolgung in Deutschland - nach Kriegsbeginn zunächst als „feindliche Ausländer“ interniert. Dennoch entwickelte sich Arthur Hubert nach seiner Entlassung zum erfolgreichen Unternehmer in der neuen Heimat. Er arbeitete in mehreren Metallwerken, denn er kannte sich - noch aus Schlüchtern - mit Recycling und Handel von Metallen hervorragend aus. 1948 gründete er seine eigene Firma, die Schrott wieder aufbereitete. Er war kein "Schrotti" wie die zwielichtige Gestalten hießen, die damals verspottet wurden:  Lumpen, Eisen, Silber und Papier / ausgeschlag’ne Zähne sammeln wir.“ Er war seiner Zeit weit voraus, indem er das älteste Verfahren der Menschheitsgeschichte für Recycling industriell aufgriff und erfolgreich weiter entwickelte.

Haus Hubert Obertorstraße 4
Seit seiner Jugend in Schlüchtern war Arthur ein streng orthodoxer Jude, der sich auch später für die Erhaltung der jüdischen Traditionen und Gebräuche in der modernen Welt engagierte. Und er war ein Philanthrop, der nach seinem Börsengang und dem späteren Verkauf seiner Firma 1976, mit sehr viel Geld englische, israelische und US-amerikanische Institutionen unterstützte. Die förderten jüdische Bildung und Religion, etwa die Jeschiwas (jüdische Hochschulen) und soziale Jugendprojekte sowie jüdische Altersheime und Schulen.

Sarah Fromson, die Tochter Walter Huberts, wird nach Schlüchtern kommen und beim Festakt die Geschichte ihres Vaters erzählen (siehe den Brief unten). Ein Chor wird mehrere deutsche Kinderlieder singen, die sie einst von ihrer Oma Martha vorgesungen bekam.




Als die Stolperstein-Initiative Gruppe vor drei Jahren erste Platten verlegte, spotteten Kritiker, da müsste ja die ganze Innenstadt gepflastert werden. Jetzt wird es 34 Steine in Schlüchtern geben - und die Aktion wird fortgesetzt: „Es geht solange weiter wie nötig“, erklärte Baier-Hildebrand, „aber es ist wichtig ausreichende Informationen über die zu würdigenden Personen sammeln. Das ist aufwendig und braucht viel Zeit.“

Brief von Sarah Fromson, Tochter von Walter Hubert an die Initiative / Geplante Rede bei der Verlegung

Walter Hubert 2
„Im Jahre 1939 verabschiedete sich tränenreich ein siebenjähriger Junge von seinen Klassenkameraden (
in der jüdischen Schule in Frankfurt / hwk), nachdem sie ‚Hänschen klein‘ für ihn gesungen hatten, als er sein Zuhause, seine Schule und Heimatstadt verließ. Das war mein Vater, Walter Hubert, dem es gelang, mit seinen Eltern, Arthur und Martha Hubert, im September 1939 aus Nazi-Deutschland zu fliehen. Sie gelangten am Ende in die kleine Industriestadt Blackburn im Norden Englands. Seine Klassenkameraden teilten sein Glück nicht, ein Klassenfoto in Yad Vashem bezeugt, dass er der einzige Überlebende war
(Yad Vashem ist die internationale Holocaust Gedenkstätte in Jerusalem / hwk).


Die Hubert- und Goldschmidt-Familien wohnten seit Generationen in Schlüchtern. Arthur betrieb einen kleinen Metallhandel, der Schrott aufarbeitete, während Martha, eine geborene Goldschmidt, sich um das Heim und den kleinen Sohn kümmerte. Es war ihre Absicht, in Schlüchtern ein Leben lang zu bleiben, in der Familie, mit ihren jüdischen und nicht-jüdischen Nachbarn. Es sollte nicht sein – und sie landeten in Großbritannien, mit 10 Schillingen und einem englischen Sprachführer, einige Tage bevor der Weltkrieg ausbrach.

Wir haben einiges über ihren Werdegang gehört und ich zolle meine Anerkennung für ihre Widerstandskraft, ihre Tapferkeit und ihren Optimismus. Sie schafften es, ein Leben für sich und einen sehr erfolgreichen Recycling- Metallhandel aufzubauen – und gleichzeitig das Familienleben und Zeit zusammen zu genießen. Arthur war ein Philanthrop, spendete Geld für Stiftungen mit dem Fokus auf jüdische Erziehung und Kontinuität.

IMG 20200127 WA0001Sie fanden Trost in den jüdischen Gebräuchen und in den Besuchen in Israel. Beide starben zuhause eines natürlichen Todes in der Erkenntnis, Glück gehabt und den Nazi-Terror überlebt zu haben. Am siebzigsten Geburtstag meines Vaters spielte eine Enkelin auf der Flöte „Hänschen klein” und schloss damit nach 63 Jahren den Kreis. Mein Vater starb vor zwei Jahren und erlebte noch die Geburt dreier Urenkel. 
„Wir verneigen uns heute außerdem vor Willi und Kathinka Hubert, die Eltern von Arthur und seiner Schwester Ricka. Sowohl Willi und Kathinka wurden im Holocaust ermordet (Willi in Theresienstadt und Kathinka in Auschwitz). Ihre Tochter Ricka heiratete Arthur Rosenstock aus Eiterfeld. Sie flohen nach New York, wo sie eine Tochter hatten, Edith.“



Foto:

privat, Repro Hanswerner Kruse
Oben: Walter mit den Großaeltern Kathinka und Willi Hubert
Mitte: Das ehemalige Haus der Familie Hubert in der Obertorstraße 4 in Schlüchtern 
Mitte: Sarah Fromson
Unten: Kinderpass von Walter Hubert zur Flucht

Info:
Bisherige Berichte des Autors über Stolpersteine in Schlüchtern