Die provozierend-satirische Wochendepesche vom 11. September 2022
Nikolaeus Maërthon
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Geflüster aus dem Frankfurter Römer. Robert Habecks Plädoyer für ein volkswirtschaftliches Denken.
Geflüster aus dem Frankfurter Römer
Zur Pressekonferenz im Römer am 6. September kam Oberbürgermeister Peter Feldmann zwar einige Minuten zu spät (was bei ihm nicht ungewöhnlich ist), aber er strahlte, wie es während der letzten Monate nur selten der Fall war. Sichtlich entspannt stellte er die bisherigen Pläne zu den Feierlichkeiten anlässlich des Paulskirchenjubiläums im Mai 2023 vor. Die gute Laune lag mutmaßlich nicht nur am 175-jährigen Jubiläum des ersten demokratischen Parlaments in Deutschland, das am 18. Mai 1848 in der Paulskirche zusammengetreten war. Gut informierte Kreise ahnten, warum.
Denn Feldmanns Ehefrau, von der er getrennt lebt, war von ihrem Arbeitgeber, der Frankfurter AWO, gekündigt worden, weil sie seit über zwei Jahren wegen Krankheit ihren Dienstaufgaben als Leiterin einer Kita nicht nachkommen kann. Daraufhin hatte sie das Arbeitsgericht angerufen und entweder auf Rücknahme der Kündigung oder auf Zahlung einer Abfindung geklagt. Während der Güteverhandlung in der vorletzten Woche zeigte sich die neue AWO-Geschäftsführung zwar nicht bereit, auf die Forderungen einzugehen. Aber sie bestätigte den ordnungsgemäß und ohne Beeinflussung von dritter Seite zustande gekommenen Arbeitsvertrag mit Zübeyde Feldmann sowie dessen Inhalte (übertarifliche Eingruppierung und Dienstwagen). Damit ist formaljuristisch der Hauptanklagepunkt der Staatsanwaltschaft gegen Peter Feldmann wegen Vorteilsannahme vom Tisch. Der andere, das angebliche Versprechen von Vorteilen für seine Wahlkampfunterstützer aus der AWO, basiert ohnehin nur auf Hörensagen. Es gibt keine Beweise dafür, dass die AWO durch den Bürgermeister oder dessen Amt bevorzugt worden wäre. Lediglich das Sozialdezernat, das von einer Christdemokratin geführt worden war, hatte einer überhöhten Abrechnung für die Unterbringung von Flüchtlingen zunächst stattgegeben. Daran war der Oberbürgermeister jedoch nicht beteiligt.
Feldmann hat gut Lachen. Seine für den 6. November vorgesehene Abwahl wird voraussichtlich scheitern, weil das Quorum nicht erreichbar ist. Und vor Gericht wird er sich aus den erwähnten Gründen ebenfalls durchsetzen. Also bleibt er Oberbürgermeister. Möglicherweise sogar bis zum Ende seiner normalen Amtszeit im Jahr 2024.
Diese Zeit könnte er nutzen für die Abrechnung mit seinen politischen Gegnern in SPD, Grünen, FDP und Volt. Gemäß der Hessischen Gemeindeverfassung kann er Dezernenten abberufen, falls diese nicht in der Lage sind, ihren Pflichten nachzukommen. Angesichts der desolaten Lage im Straßenverkehrs- und im Ordnungsamt (die sich beispielsweise gegenüber der E-Roller-Lawine und deren Gefahren für Fußgänger als völlig überfordert erweisen) und den unzureichenden Maßnahmen beim geförderten Wohnungsbau, der vom Planungsdezernat zu verantworten ist, kann man sich ausrechnen, wem bald die Stunde schlagen könnte.
Unbeantwortet ist derzeit auch die Frage, ob Peter Feldmann Mitglied der SPD bleibt. In einigen Frankfurter Ortsvereinen brodelt es. Der Vorsitzende des Unterbezirks Hessen-Süd, Kaweh Mansoori (MdB), sowie der Vorsitzende des Unterbezirks Frankfurt am Main, Mike Josef (Planungsdezernent), gelten als nicht basisnah. Hinzu kommt die Unzufriedenheit über das Zaudern der Partei in der Berliner Ampelkoalition. Bereits wiederholt erhielten Mitglieder im Ortsverein Sachsenhausen E-Mails von einer „Initiative Soziale Demokratische Partei“. Einige Insider können sich Peter Feldmann als Kopf einer Abspaltung von der SPD vorstellen, die auch für Mitglieder und Wähler der LINKEN sowie für traditionelle Grüne interessant wäre. Doch noch sind die Würfel nicht gefallen.
Robert Habecks Plädoyer für ein volkswirtschaftliches Denken
Wirtschafts- und Energieminister Robert Habeck wird vom konservativen und rechten Lager vorgeworfen, er sei mit der Bewältigung der aktuellen Energiekrise überfordert. So habe er beispielsweise in einem Interview mit Sandra Maischberger offenbart, dass er den Unterschied zwischen vorübergehender Betriebsruhe (wegen zu teurer Produktionskosten) und Insolvenz (Zahlungsunfähigkeit) nicht kenne. Ja, er hätte das transparenter beschreiben sollen. Vor allem den Punkt, dass eine vorübergehende Produktionseinstellung trotzdem Fixkosten verursacht, die wegen fehlender Einnahmen schließlich zur Geschäftsaufgabe führen könnten. Bei der Covid-19-Pandemie hatte man geschlossenen Betrieben durch die Übernahme von Kosten, insbesondere von Lohnkosten, geholfen. Zugegeben: In den Jahren 2020 und 2021 waren die finanziellen Polster größer. Jetzt sind sie kaum noch vorhanden. Wollte man diese Art der Hilfe aktivieren, müssten die Steuern für all jene erhöht werden, die das tragen können, also für deutlich Besserverdienende und Reiche. Doch dem stellt sich die FDP mit ihrem Doppelmantra (keine Steuererhöhung, Rückkehr zur Schuldenbremse) entgegen. In ähnlicher Weise tritt die FDP bei anderen volkswirtschaftlich wichtigen Maßnahmen auf die Bremse. So bei der Fortsetzung des 9-Euro-Tickets, das nicht nur dazu in der Lage ist, den Energieverbrauch des privaten Autoverkehrs spürbar zu reduzieren, sondern auch ein Instrument zur Schaffung eines neuen Klimabewusstseins sein könnte. Doch diese intellektuellen Höhen sind für die kleinkrämerisch strukturierte FDP unerreichbar. Ständig verweist sie auf Wirtschaftlichkeit, meint damit aber betriebswirtschaftliche, ausschließlich an privatem Profit orientierte Erwägungen, die volkswirtschaftlichem Denken zumeist diametral entgegenstehen.
In diesem Zusammenhang ist auch die von FDP und CDU wieder aufgewärmte Liebe zur Kernkraft zu verstehen. Deutschland hat als Reaktion auf die Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011 diese Energiegewinnung aufgegeben, allerdings mit Übergangsfristen. Denn was sich in Three Mile Island (Harrisburg/Pennsylvania) 1979 nur teilweise, in Tschernobyl 1986 dann aber vollständig und in Fukushima in besonders katastrophaler Weise ereignete, widersprach der bisherigen Theorie vom statistisch eher unwahrscheinlichen Super-GAU beim Normalbetrieb von Kernkraftwerken. Damals griff die Erkenntnis um sich, dass bereits der Normalbetrieb von Atomkraftwerken nicht ausreichend steuerbar ist. Und es gibt noch einen weiteren Negativposten. Die sichere Endlagerung des atomaren Mülls ist bis heute noch nicht wirklich begonnen worden. Denn unterirdische Aufbewahrungsstätten, die für Millionen von Jahren den Nachlass dieser Energie unter Verschluss halten können, hat die Natur nicht zu bieten. Und ob man sie je nach bergmännischen Kriterien wird bauen können, darf nach dem Stand der Dinge angezweifelt werden.
Aber auch angesichts der Gesamtkosten, sowohl der betriebs- als auch der volkswirtschaftlichen, ist Kernenergie nicht wettbewerbsfähig. Darauf hatte bereits im Jahr 1974 der Frankfurter Naturwissenschaftler Karsten Prüss in seiner Studie „Kernforschungspolitik in der Bundesrepublik“ (Suhrkamp Verlag) hingewiesen. In dem Buch kann man u.a. nachlesen, wie der CSU-Politiker Franz Josef Strauß in seiner Eigenschaft als Atomminister (1955/56) die staatliche Subventionierung der privatwirtschaftlichen Atomindustrie in die Wege leitete.
Robert Habeck verweigert sich einer neuen Grundsatzdiskussion über die Nutzung der Kernenergie und befindet sich damit in einer Kontraposition zu Christian Lindner. Dessen Strategie ist durchsichtig. Die Verlängerung der Laufzeiten für die drei noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke dient als eine Art trojanisches Pferd. Blieben sie noch ein halbes Jahr oder länger am Netz, wäre dies kein verlängertes Ende, sondern ein Neuanfang. Robert Habeck wird das verhindern müssen. Denn andernfalls wäre die Energiewende hierzulande am Ende und damit die ökologische Weiterentwicklung der Bundesrepublik künftig willkürlichen Entscheidungen der Wirtschaft unterworfen.
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