Bildschirmfoto 2022 11 03 um 01.56.22Binyamin Netanyahu ist neuer Regierungschef und feiert zusammen mit der politischen Rechten

Jacques Ungar

Tel Aviv (Weltexpresso) - Schon wenige Stunden nach der Schliessung der Wahllokale zur 25. Knesset kann der frühere und aller Wahrscheinlichkeit nach auch neue israelische Regierungschef Binyamin Netanyahu den Schampus aus seinem Weinkeller holen (er soll sich dort ja einen beträchtlichen Vorrat von diesem Schaumwein angelegt haben...). Große Sprünge wird er sich mit seinen 61 oder 62 Mandaten allerdings zunächst nicht leisten können.

Vielmehr wird er auf loyale Helfer angewiesen sein, von denen Shas-Chef Arieh Deri mit seinen zehn Mannen sicher an vorderster Front mitmischen wird, wenn es beispielsweise darum geht, ein vernünftiges Gegengewicht gegen die Heissporne Smotrich und Ben-Gvir zur Hand zu haben. Nach der Auszählung der Stimmen bis 5 Uhr früh am Mittwoch kann Netnyahu mit 62 Mandaten rechnen, während die bisherige Koalition auf ihren 54 sitzen zu bleiben droht. In einer ersten Verlautbarung meinte der de facto Sieger Netanyahu: «Wir haben einen beeindruckenden Vertrauensbeweis vom Volk erhalten. Wir wollen nun den inneren Frieden unter den Israeli stärken."

Itamar Ben-Gvir, der mit seinen wahrscheinlich 15 Mandaten zu Buche steht, meinte die Israeli wollen wieder in Sicherheit auf den Straßen gehen können, und das habe er erreicht. Die Koalitionsverhandlungen werden alles andere als leicht sein, und Netanyahu dürfte einiges an Federn lasse müssen, sei es an finanziellen Zugeständnissen, aber auch beim zu erwartenden Ringen bei der Vergabe bestehender und der Schaffung von neuen Ämtern.

Die internationale Welt wird es vor allem interessieren, ob und wie es Netanyahu gelingen wird, die in seiner Abwesenheit von der Spitze errungenen außenpolitischen Erfolge zu seine eigenen umzuwandeln und weiter zu entwickeln. Nach der Konsolidierung seiner Regierungsmannschaft wird Bibi aber auch beweisen müssen, dass seine guten Beziehungen zu Moskau aufrecht erhalten kann, ohne sich deswegen mit den USA, London, Paris usw. durch eine Brüskierung der Ukraine schon frühzeitig ins Fettnäpfchen zu setzen.

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass die Israelische Arbeitspartei, ein Mitkämpfer der ersten Stunde des politischen Israel langsam aber sicher ans traurige Ende ihrer parlamentarischen Laufbahn angelangt zu sein scheint. Jedenfalls war es am Mittwochfrüh noch alles andere als sicher, dass die IAP den Einzug über die Mindestklausel geschafft hat.

Wie gesagt: Netanyahu wird mit aller Wahrscheinlichkeit wieder im Büro des israelischen Premierministers einziehen. Ob ihm das gelingen wird, indem er sich gleichzeitig von Alt-Lasten wie Miri Regev, Dudu Amsalem oder Israel Katz befreit, ist schon wieder ein anderes Kapitel.

Foto:
Ein Anhänger von Binyamin Netanyahu küsst ein Wahlplakat von Bibi.
©tachles

Info:
Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 2. November 2022