nazis Worüber am Tag des Gedenkens an die Opfer des Naziregimes   in der Regel geschwiegen wird

 Kurt Nelhiebel

 

Bremen (Weltexpresso) – Am 8. April 1945, einen Monat vor der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands, verurteilte ein Standgericht unter Leitung des Chefrichters beim SS- und Polizeigericht München, Otto Thorbeck,  fünf Männer wegen Widerstandes gegen die NS-Herrschaft zum Tode durch den Strang. Am nächsten Tag wurden  sie im Konzentrationslager Flossenbürg auf demütigende Weise getötet. Die Opfer mussten sich vor ihrem letzten Gang entkleiden und nackt unter den Galgen treten.


Es starben damals Pastor Dietrich Bonhoeffer, Admiral Wilhelm Canaris, Hauptmann Ludwig Gehre, Generalmajor Hans Oster und Generalstabsrichter Karl Sack. Sie wurden beschuldigt, von dem geplanten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 gewusst und sich damit des Landes- und Hochverrats schuldig gemacht zu haben. Nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde das Urteil gegen die Widerstandskämpfer durch das in Bayern erlassene Gesetz Nr. 21 vom 28. Mai 1946 zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für nichtig erklärt und aufgehoben.

1955 verurteilte das Schwurgericht Augsburg den Leiter des Standgerichtsverfahrens, Otto Thorbeck, zu vier Jahren, und den Vertreter der Anklage, Walter Huppenkothen, Abteilungsleiter im Reichssicherheitshauptamt, zu sieben Jahren Zuchthaus. Beide legten Revision beim Bundesgerichtshof ein, der das Augsburger Urteil am 25. Mai 1956 aufhob und beide mangels Beweises vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord freisprach. Er tat dies mit einer Begründung, die alles auf den Kopf stellte, was bis dahin als gesichertes Wissen über das Wesen des nationalsozialistischen Unrechtsstaates galt und immer noch gilt.

Im Einzelnen hieß es in dem Freispruch: „Ausgangspunkt … ist das Recht des Staates auf Selbstbehauptung. In einem Kampf um Sein oder Nichtsein sind bei allen Völkern von jeher strenge Gesetze zum Staatsschutz erlassen worden. Auch dem nationalsozialistischen Staate kann man nicht ohne weiteres das Recht absprechen, dass er solche Gesetze erlassen hat. ...

Einem Richter, der damals einen Widerstandskämpfer wegen seiner Tätigkeit in der Widerstandsbewegung abzuurteilen hatte und ihn in einem einwandfreien Verfahren für überführt erachtete, kann heute in strafrechtlicher Hinsicht kein Vorwurf gemacht werden, wenn er angesichts seiner Unterworfenheit unter die damaligen Gesetze nicht der Frage nachging, ob dem Widerstandskämpfer etwa der Rechtfertigungsgrund des übergesetzlichen Notstandes unter dem Gesichtspunkt eines höheren, den Strafdrohungen des staatlichen Gesetzes vorausliegenden Widerstandsrechts zur Seite stehe, sondern glaubte, ihn des Hoch- und Landesverrats (§ 57 Militärstrafgesetzbuch) schuldig erkennen und deswegen zum Tode verurteilen zu müssen.“

Damit wurde  das nationalsozialistische Unrechtsregimes im Widerspruch zum Nürnberger Juristenurteil der Alliierten vom 4. Dezember 1947 vollständig rehabilitiert und der gesamte Widerstand gegen das Naziregimes für rechtswidrig erklärt. In dem Urteil wird der Einwand, jeder Staat wende während eines Krieges strenge Gesetze an, entschieden zurückgewiesen.  Bei den Verbrechen der Nazirichter, heißt es dort. handle es sich nicht um die bloße Überschreitung solcher Kriegsbräuche; vielmehr habe das gesamte Rechtssystem der Förderung von Plänen für einen Angriffskrieg  gedient. Das verderbte nationalsozialistische Rechtssystem als solches stelle in sich selbst ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Dann folgte der zum geflügelten Wort gewordene Satz: „Der Dolch des Mörders war unter der Robe der Juristen verborgen.“

Sieben Monate nach dem skandalösen Freispruch für Otto Thorbeck, und Walter Huppenkothen baute der Bundesgerichtshof eine weitere Sicherung ein, mit der alle ehemaligen Nazijuristen vor der Strafverfolgung  geschützt wurden. In einem Verfahren gegen den ehemaligen kommandierenden General  eines SS-Armeekorps, Max Simon, entschied er: Wer wegen seiner Tätigkeit als Beamter oder Schiedsrichter bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zur Verantwortung gezogen wird, kann auch nach anderen Vorschriften als § 336 nur dann verurteilt werden, wenn ihm eine Rechtsbeugung im Sinne des § 336 nachgewiesen wird. § 336 erfordert bestimmten, nicht nur bedingten Vorsatz. (Urteil vom 7. Dezember 1956,  I StR 56//56).

In der Praxis bedeutete das, dass ein Beschuldigter wegen Rechtsbeugung nur verurteilt werden konnte, wenn er gestand, vorsätzlich gegen geltendes Recht verstoßen zu haben. Betonte er hingegen, sich stets an die Gesetze, und damit waren auch Nazigesetze gemeint – gehalten zu haben, blieb er straffrei. – Das ist es, worüber am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus einmal gesprochen werden sollte. Bis auf den BGH-Präsidenten Günter Hirsch, der den Freispruch für die Mörder der Widerstandskampfer um Pastor Bonhoeffer und Admiral Canaris  2002 als „Schlag ins Gesicht der Angehörigen“ bezeichnet hat, haben all anderen geschwiegen.

Kein einziger ehemaliger Nazirichter ist von einem Gericht der Bundesrepublik Deutschland jemals rechtskräftig verurteilt worden.

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