Polizei-, Militärspitzen und Geheimdienst stehen einem neuen Projekt ablehnend gegenüber
Jacques Ungar
Tel Aviv (Weltexpresso) - Itamar Ben-Gvir, der israelische Minister für innere Sicherheit, dürfte mit der Errichtung einer unter seinem Kommando stehenden Nationalwache mehr Mühe bekunden als ihm lieb ist. Militärische und polizeiliche Spitzenleute sehen dem Projekt nämlich größtenteils mit gemischten Gefühlen entgegen. So warnte Kobi Shabtai, der israelische Polizeikommissär, Ben-Gvir vor der Schaffung einer nationalen Wache unter seinem Kommando.
In einem letzte Woche an Ben-Gvir geschriebenen Brief nannte Shabtai den Schritt nämlich laut «Haaretz» «unnötig und mit extrem hohen Kosten verbunden, die die persönliche Sicherheit der Bürger beeinträchtigen könnte». Gemäß dem Polizeichef besteht keine Notwendigkeit für die Errichtung dieses neuen Körpers, der sogar «schweren Schaden für die zentralen internen Sicherheitssysteme des Landes schaffen könnte». Abgesehen vom Polizeichef brachte auch Bar, der Leiter des Shin-Bet-Inlandgeheimdienstes, seine Missbilligung für den Vorschlag zum Ausdruck. Bar meinte laut «Haaretz» in geschlossenen Sitzungen keinen Hehl aus seiner Opposition, indem er meinte, es sei nicht möglich für zwei Polizeikräfte, in der gleichen Örtlichkeit im Fele zu arbeiten.
Als Antwort auf diesen Bericht erklärte der Shin-Bet, dass seine Position in der Sache «den Entscheidungsträgern» überreicht werde. Juristische Größen im Gebilde weisen zudem auf «bedeutende legale Schwierigkeiten in der Errichtung einer Nationalwache unter Minister Ben-Gvir hin. Auch wenn die Regierung «autorisiert» sein könnte, einen solchen Körper zu schaffen, weisen die juristischen Experten darauf hin, dass der Entscheid getroffen worden sei, bevor die Stabsarbeit erledigt worden sei, die die Notwendigkeit des neuen Körpers definieren würde, seine Mission, seine Rollen und Aufgaben, sowie seine organisatorische Affiliation, seine Operations-Muster und seine Finanzierungsquellen. Die Anfangskosten sollen ja bei rund einer Milliarde Schekel liegen. Und schliesslich soll nicht vergessen werden, dass die Aufgabe der Nationalwache sein müsste, die Sicherheit auf den Strassen wieder herzustellen.
Mit der Betonung dieser Zwänge deuten die Gegner von Ben-Gvirs Ideen an, dass der Minister möglicherweise von ganz anderen, vielleicht sogar entgegengesetzten Motiven getrieben wird. Schliesslich darf nicht vergessen werden, dass Premier Netanyahu Ben-Gvir die Schaffung der Wache sozusagen als Geschenk versprochen hat, dessen Verbleib in der Koalition zu sichern. Wir wollen hier nicht weitergehen und Netanyahu noch ganz andere, pesönliche Gründe für die Errichtung dieser Privatmiliz zu unterschieben. Immerhin sei erwähnt, dass am Sonntag das Kabinett mit seiner inhärenten Rechts-Mehrheit der Gründung von Ben-Gvirs Nationalwache ihren Segen erteilt hat. Während Ben-Gvir verständlicherweise von einer «grossen Stunde für das israelische Volk» gesprochen hat, gibt es nicht wenige Bürger, die von einer anderen grossen Stunde träumen, die dann Wirklichkeit wird, wenn sogar ein Netanyahu von der begrenzten Nützlichkeit der Ben-Gvirschen Privatmiliz überzeugt sein und das unnatürliche Gebilde wieder abschaffen wird.
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Kobi Shabtai, der israelische Polizeikommissär, warnt vor Ben-Gvirs Vorhaben
©tachles
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Nachdruck des Artikels mit freundlicher Genehmigung aus dem Wochenmagazin TACHLES vom 3. April 2023